Dornröschen, ein Märchen der Gebrüder Grimm, das vermutlich jeder mal im Kinderbett oder auf dem Schoß des Opas vorgelesen bekam. Diese schöne Geschichte gibt es nun als Ballett im Kieler Opernhaus von Ballettdirektor und Chefchoreograph Yaroslav Ivanenko erarbeitet. So ist jedenfalls die Vorstellung, bevor das Stück beginnt. Denn Yaroslav Ivanenko inszeniert das Stück anders, als es den Erwartungen entspräche.
Zu Beginn des Stücks tritt ein Mädchen auf, das im auf die Bühne rieselnden Schnee friert und versucht, Streichhölzer zu verkaufen, während fein gekleidete Gäste zum Hof des Königspaares eilen. Dort wird die neugeborene Königstochter Aurora präsentiert und von der Fliederfee und fünf weiteren Feen beschenkt. Ein männlicher ungebetener Gast, Cabanosse, erscheint und übernimmt in dieser Inszenierung den Part der bösen Fee, die aus dem klassischen Märchen bekannt ist. Dem Sohn des Königspaares zeigt Cabanosse im Schnelldurchlauf, wie die kleine Aurora heranwachsen wird. Anders als es der Zuschauer erwarte, sticht sich nicht etwa die herangewachsene Königstochter in den Finger und fällt daraufhin in einen tiefen Schlaf, sondern das Mädchen mit den Streichhölzchen. Dieser schenkt der ungebetene Gast eine Rose, an der sie sich sticht und in den Schlaf sinkt. Als sie erwacht, findet sie sich am Königshof wieder und darf sich eines der schönsten Kleider aussuchen. Unter weiteren Männern, die das junge Mädchen umwerben, taucht auch Cabanosse wieder auf und schenkt ihr einen Strauß Rosen, an dem sie sich erneut sticht und abermals in einen tiefen Schlaf fällt. Als der Prinz des Märchens sich eine Frau aussuchen soll, zeigt die Fliederfee ihm Aurora, die sich jedoch an einer Rose sticht und einschläft. Der verliebte Prinz küsst das schlafende Mädchen wach und hält um ihre Hand an. An dieser Stelle wird aus Aurora wieder das frierende Mädchen. Ein Wechsel der beiden Tänzerinnen zeigt die Verschmelzung der beiden. Nachdem eine prachtvolle Hochzeit gefeiert wurde, erstarrt das Geschehen und im Vordergrund erwacht das Mädchen mit den Streichhölzchen aus ihrem Schlaf während Cabanosse mit einer Rose und einem viel sagenden Blick vorübergeht. Zum Ende wird also noch einmal ganz deutlich gemacht, dass das ganze Geschehen lediglich in dem Traum des Mädchens mit den Schwefelhölzchen geschieht und sie dort mit der Figur der Aurora verschmilzt.
Das Stück, das Yaroslav Ivanenko kreiert hat, ist eine ganz eigene Version geworden. Die gesamte Bühne wurde inklusive verschiedener Raumelemente und verschiedener Farben von einem Hellblau über ein zartes Rosa bis hin zu einem starken Violett reichlich ausgenutzt. Die Darsteller und Darstellerinnen tanzten in ihren wunderschönen Kostümen so, als wäre es das Leichteste. Die Musik des Philharmonischen Orchesters und die Bewegungen der Tänzer und Tänzerinnen harmonierten durch das gesamte Stück hindurch besonders schön miteinander und an der einen oder anderen Stelle konnte sehr über das Dargebotene gestaunt werden. Doch so schön die Musik und Tänze waren, so verwirrend war die Inszenierung der Geschichte. Denn dass sie eine Mischung aus den drei Märchen Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzchen, Aschenputtel und Dornröschen sein soll, das muss der Zuschauer erst einmal durchschauen. So wartet der Besucher zu Beginn lange darauf, dass etwas Bekanntes aus der Dornröschen-Geschichte passiert und wundert sich umso mehr, als der Prinz, wie es in Aschenputtel der Fall ist, eine Frau aussuchen soll. Und auch das immer wieder auftauchende Mädchen, das versucht Streichhölzer zu verkaufen, lässt sich zunächst nicht so leicht einordnen. Mit den verschiedenen Traumphasen erinnert der Rahmen der Handlung fast schon an den Film Inception, doch selbst der ist womöglich beim ersten Anschauen leichter zu durchschauen, als es der Wechsel zwischen der Prinzessin Aurora und dem frierenden, armen Mädchen ist.
Wer die Musik des Philharmonischen Orchesters, die wunderschönen Kostüme und die herausragenden Tanzleistungen genießen, oder Dornröschen auf eine ganz neue Weise kennenlernen möchte, der sollte sich dieses Stück in jedem Fall ansehen. Doch wer lieber weiterhin von der klassischen Geschichte des Dornröschens nach den Gebrüdern Grimm verzaubert werden möchte und die drei hier vermischten Märchen lieber einzeln genießt, der könnte womöglich enttäuscht werden.

Autor*in

Judith ist seit April 2015 beim ALBRECHT. Sie studiert Deutsch und Geschichte auf Fachergänzung seit dem Wintersemester 2013/14.
Sie leitet das Lektorat des ALBRECHTS.

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