Özlem Ünsal (SPD) im Interview zur Landtagswahl 2022 in Schleswig-Holstein

Am 8. Mai findet in Schleswig-Holstein wieder die Landtagswahl statt. Daher hat sich der ALBRECHT mit dem Campus Radio Kiel zusammengetan. Philipp Nyzik vom Radio und Eileen Linke vom ALBRECHT interviewen gemeinsam Politiker:innen aus Kiel, die Rede und Antwort zu hochschulbezogenen Themen stehen und uns dabei die Forderungen und Programme ihrer jeweiligen Partei näherbringen.   

Für das letzte Interview dieser Reihe wurde die Kieler Politikerin Özlem Ünsal von der SPD in das Studio des Campus Radio eingeladen. Sie war selbst Studentin an der CAU, fing 1997 ein Studium in Soziologie, Politikwissenschaft und Psychologie an und beendete es mit einem Magister Artium. Während des Studiums war sie im Vorsitz der türkischen Studierendenvereinigung. Seit 2017 ist sie Mitglieds des Landtags in Schleswig-Holstein und tritt in dieser Wahl als Direktkandidatin für Kiel-West an.  

Philipp: Als im letzten Wintersemester die Präsenzlehre wieder anfing, hieß es in vielen meiner Seminare, dass wir nun wieder Unterrichtsmaterialien ausdrucken sollen, weil die digitale Lehre nun schon zwei Jahre gemacht wurde und das nicht mehr gewollt sei. Muss das so sein? 

Nein, das muss überhaupt nicht so sein! Die wichtigste Lehre aus der Pandemie ist, dass die Digitalisierung funktionieren kann, wenn man sich darauf einlässt und man die politischen Rahmenbedingungen schafft. Da haben wir durch die Pandemie eine Beschleunigung erfahren. Es hat uns aber auch gezeigt, dass wir nicht gut aufgestellt waren und deshalb darf mit den Errungenschaften, die wir gemeinsam durchgekämpft und bewegt haben, nicht mehr zurückgerudert werden. Dort sollte angeknüpft und weiter optimiert werden.  

Eileen: Wie zum Beispiel? 

Zum einen mit einer grundsätzlichen Ausstattung für die digitale Lehre. Besondere Herausforderungen wie eine Pandemie können wieder vorkommen. Dafür brauchen wir Rahmenbedingungen wie Digitalisierung, die Ausstattung der Arbeitsplätze insgesamt – aber auch das Personal.  

Philipp: Wie sieht es mit dem Hochschulgesetz aus? Das war nun eine Errungenschaft von CDU, Grüne und der FDP. Ist die SDP damit glücklich?  

Glücklich sind wir erst dann, wenn alle unsere Forderungen mit aufgenommen sind. Wir haben es auch an einigen Stellen deutlich kritisiert. Professor Dunkel, unser hochschulpolitischer Sprecher, hat das auch mehrfach thematisiert. Gerade die Situation der Studierenden, sei es die psychologische Situation oder die Fachkräftesituation. Oder die Frage nach der Ausstattung der Hochschulen: Auch hier gibt es noch einiges zu tun. Wir sind noch nicht zufrieden mit dem Paket und haben das aus der Opposition heraus entsprechend infrage gestellt.   

Philipp: Tarifverträge für Hiwis zum Beispiel? 

Ja, das war eines der Themen. TV Stud ist hier ein großes Thema und ein wichtiges Instrument, um aus der Opposition heraus Informationen zu bekommen. Daher habe ich da zusammen mit meinen Kollegen aus der Bildungspolitik Anfragen gestellt, um zu erfahren, was da eigentlich los sei. Was wir dann gesehen und gehört haben, hat uns klar bestätigt, dass etwas passieren muss. Wir haben dann gemeinsam mit TV Stud mehrere Demonstrationen organisiert, haben Raum für politische Diskussionen geschaffen und die Finanzministerin konkret adressiert. Sie hat an den Verhandlungen teilgenommen und ist für die Finanzen zuständig. Geld wird durchaus gebraucht. Da haben wir klare Forderungen gestellt. Beschäftigte an Hochschulen müssen von ihrer Arbeit leben und diese mit dem normalen Leben in Einklang bringen können.  

Eileen: Passend zum Thema – BAföG. Was sind da die Vorstellungen von der SPD? 

Ich glaube unsere Forderungen gehen da komplett zusammen. Aber wir haben lange gerungen, nicht nur mit unseren bundespolitischen Vertretern, sondern insgesamt mit den Ländern, weil die Länder ganz unterschiedliche Sichtweisen auf das BAföG haben. Es ist uns aber auch gelungen, das BAföG-Paket zu schnüren und wird jetzt auch in die Richtung gehen, wie wir uns das gemeinsam wünschen.  

Eileen: Konkret gesagt seid ihr demnach auch für ein elternunabhängiges BAföG und eine Beitragserhöhung?  

Ja, ganz klar. Das ist keine neue Forderung, das elternunabhängige Bafög ist eine ganz alte sozialdemokratische Forderung, die wir jetzt auch umsetzen wollen. Wir sagen auch, dass Studierende deutlich entlastet werden müssen. Gerade in der Pandemie hat diese Erfahrung uns manche Sachen wirklich unter ein Brenngas offengelegt. Dadurch konnten wir viel mehr, als nur die Rahmenbedingungen für das BAföG zu erschließen. Wir konnten auch sehen, in welch prekären Situationen manche Studierende ihr Studium absolvieren müssen.

Das bricht mir das Herz und das kann ich auch gar nicht verantworten als jemand, die auch aus familiären Verhältnissen ohne viel Geld kommt. Ich habe selbst viel gearbeitet um mein Studium zu finanzieren. Wenn man dann zusätzliche Belastungen hat, die Miete zahlen muss und die Lebenshaltungskosten dazu kommen, dann ist das eine politische Aufgabe. Wir haben die Verantwortung dafür und ich sehe uns als Land auch in der Pflicht, dort genauer hinzuschauen. 

Eileen: Damit würde ich den Bogen schlagen zum Wohnungsmarkt, was genau dein Thema ist. Ihr wollt hunderttausend neue Wohnungen bauen. Im Triell, das am 4. Mai im NDR ausgestrahlt wurde, wurde diese Ambition von der Grünenpolitikerin Monika Heinold kritisiert, weil dafür keine finanziellen Mittel zur Verfügung stünden und das Vorhaben damit unrealistisch sei. Was sagst du dazu? 

Ich teile diese Einschätzung nicht. Wir haben Geld im System und ich habe aus der Opposition heraus in dieser Legislatur verhandeln können, dass wir 60 Millionen Euro zusätzlich für den bezahlbaren Wohnungsbau in den Haushalt einfließen lassen konnten. Ich habe darauf bestanden, dass dieses Geld auch für studentisches Wohnen eingeplant wird. Veranschlagt sind über einen Zeitraum von vier Jahre jeweils 15 Millionen Euro. Das ist nicht ausreichend, da sind wir uns einig. Aber es ist eine Summe, mit der man operieren kann. Ich bin im engen Austausch mit dem Studentenwerk. Wir haben uns Wohnheime angeguckt und geschaut, ob die Ausstattung ausreicht und ob wir vielleicht ganz anders in der Bauweise denken müssen.

Braucht es zum Beispiel überall einen Parkplatz? Nein, das braucht es nicht. Wir brauchen Abstellplätze für Fahrräder. In die Planung müssen wir auch die Studierenden mit reinholen und schauen, wie sich sozialer und studentischer Wohnraum realisieren lässt.  Daher teile ich Monika Heinolds Einschätzung nicht. Ich denke, das ist eine Frage der Prioritätensetzung. Ich glaube, das ist die soziale Frage unserer Zeit und das betrifft Studierende genauso wie Auszubildene oder Obdach- und Wohnungslose. Wer soll bezahlbare Wohnungen anbieten, wenn nicht die öffentliche Hand? Ich will deshalb die öffentliche Hand viel stärker befähigen, selber zu bauen, zu Preisen, die bezahlbar sind. Da haben wir eine Hausaufgabe und die muss Monika Heinold auch mit erfüllen.  

Philipp: Die Mieten steigen. Wieso gibt es keine Mietpreisbremse mehr in Schleswig-Holstein? 

Da fragst du genau das Richtige, denn ich habe immer dafür gekämpft, dass sie nicht abgeschafft wird. Im Jahr 2017 bin ich in den Landtag gekommen und habe nach einem halben Jahr die Abschaffung kommen sehen und zur Vorsicht gemahnt. Wir haben momentan kein stärkeres Instrument als die Mietpreisbremse in der Hand. Solange das der Fall ist, muss sie und die Kappungsgrenze Geltung haben.  Darüber haben wir zwei Jahre gestritten und da ich leider in der Opposition bin und die anderen in der Mehrheit, haben sie gnadenlos die Mietpreisbremse abgeschafft. Wir sind das erste Bundesland, das sie abgeschafft hat, im Gegensatz zum Bund, der die Mietpreisbremse verschärft und den Ländern zusätzliche Instrumente an die Hand gegeben hat.

Wir aber können von diesen Instrumenten gar nicht profitieren, weil wir die Mietpreisbremse nicht mehr haben. Das ist eine falsche Entwicklung und deswegen wollen wir sie wieder einführen. Wir brauchen auch zusätzlich ein Wohnraumschutzgesetz und vor allem wollen wir im Zweifel selber bauen dürfen. Warum nicht als Land dort bauen, wo andere nicht bauen, weil es nicht attraktiv genug ist? Ich habe aus wirtschaftspolitischer Sicht vollstes Verständnis, wenn ein Wohnungsunternehmen sagt, dass sich ein Bau nicht rentiert. Aber es ist kein Argument für die öffentliche Hand. Sie muss dafür sorgen, dass Daseinsvorsorge funktioniert. Ein Dach über dem Kopf ist für mich ein Grundrecht. Dafür müssen wir gemeinsam kämpfen. 

Eileen: Die SPD stellt seit langer Zeit wieder den Bundeskanzler. Seht ihr darin einen Vorteil bei dieser Landtagswahl? 

Es ist immer gut, Rückenwind zu haben. Olaf Scholz hat gerade schwierige Aufgaben zu lösen, die internationalen Konflikte mit der Ukraine sind sehr bewegend. Da sieht man, wie große Politik im Kleinen berühren kann. Ich selbst begleite ukrainische Kinder und Jugendliche mit ihren Müttern und als Land sind wir auch für die Aufnahme zuständig. Dann ist es gut, wenn man zu diesen Themen jemanden direkt adressieren kann und wenn das auch noch der Bundeskanzler ist, ist das der beste Fall. Das hat uns auch in einer anderen Frage konkret geholfen, nämlich bei den Innenstädten. Wir müssen die Frage beantworten, wem eigentlich eine Stadt gehört und wie eine Stadt öffentlich zu bespielen ist. Ich sehe sie vor allem als öffentlichen Raum.

Handel und Gewerbe sind auch ein wichtiger Aspekt, aber ich wünsche mir eine Innenstadt mit Dynamik und Kultur. All das durfte ich dem Bundeskanzler vor einigen Monaten hier in Kiel persönlich zeigen. Wir sind dafür durch die Innenstadt gegangen, damit er auch sehen kann, dass die zehn Millionen Euro nicht reichen, die ich mit Jamaika auf Landesebene verhandelt habe. Daraufhin hat er angekündigt, die Innenstadtmittel um das zehnfache zu erhöhen. Davon profitieren auch Kiel und Schleswig-Holstein. Dafür ist es gut, einen Kanzler zu haben, den man in solchen Belangen ansprechen kann.   

Vielen Dank für das Gespräch!

Wenn ihr mehr erfahren wollt, das ganze Interview findet ihr als Podcast auf der Website des Campus Radio! Dort spricht Özlem Ünsal noch weiter über den Wohnungsbau und darüber, ob das Gerücht stimmt, dass sie für ein Bundesministeramt im Gespräch war.

Alle anderen Interviews mit den Politiker:innen findet ihr hier:

Autor*in

Eileen studiert Soziologie/Philosophie und war von Januar 2022 bis Anfang 2024 Chefredakteurin. Sie leitete von Februar 2019 bis Anfang 2020 das Ressort für Gesellschaft. Danach war sie stellvertretende Chefredakteurin. Außerdem werden viele der Illustrationen im Albrecht von ihr gezeichnet.

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