Als frisch gebackene:r Master-Absolvent:in machte ich mich vergangenes Jahr auf, die Arbeitswelt zu erobern. Wobei „erobern“ zu viel gesagt ist – die Jahre des sozialwissenschaftlichen Studiums hatten ihre Spuren hinterlassen: Statt voller Leidenschaft und Tatendrang bereitete ich mich eher ernüchternd auf die Realität kapitalistischer Lohnarbeit vor. Meine Selbstverwirklichung hatte ich mit dem endenden Studium abgehakt und freute mich nun vor allem über ein Einkommen oberhalb der Armutsgrenze. 

Ein fetter Pluspunkt für den Arbeitseinstieg während Corona ist das Homeoffice. Als Arbeitsdrohne in der Dienstleistungsbranche habe ich seit Beginn meines ersten Vollzeitjobs vor einigen Monaten nicht einmal eine volle Arbeitswoche im Büro verbracht. Stattdessen lief die Einarbeitung, wie bei so vielen Neueinsteiger:innen in den letzten zwei Jahren, per Videokonferenz und E-Mail. Meine Kolleg:innen lernte ich per Zoom in Teammeetings – gerne auch Kriegsrat genannt – kennen, in denen mein neuer Chef leidenschaftlich von „Q4-Welle reiten“ und richtigem „Growth Mindset“ sprach. Wie bei so vielen anderen Unternehmen auch, waren diese Meetings meistens überflüssig, sorgten bei mir aber für Unterhaltung, als ich anfing, währenddessen Bullshit Bingo zu spielen. 

Ich bin ein ausgesprochen bequemer Mensch und sah mit der beginnenden Erwerbsarbeit schon meine Felle davonschwimmen. Glücklicherweise erwies sich mein Job als mehr Schein denn Sein – seit Ende der Einarbeitungszeit habe ich selten mehr als vier Stunden am Tag mit Arbeitsinhalten verbracht. Und dabei ist es nicht einmal so, dass ich es nicht versucht hätte! Zum Ende des Jahres hin riefen meine Kolleg:innen regelrecht einen Wettbewerb aus, wer am lautesten über seine Arbeitslast stöhnen konnte. Da niemand bereit war, mir trotz mehrfacher Angebote Aufgaben zu übertragen, kam ich zu dem Schluss, dass es anscheinend doch nicht so viel zu tun gab, wie immer alle behaupteten… 

Seitdem mache ich jeden Morgen meinen PC an, beschäftige mich einige Zeit mit den dringendsten Anliegen und gehe dann zu wichtigeren Tätigkeiten über – unter anderem, diesen Artikel zu schreiben (von wegen mit kreativem Schreiben verdient sich nix!). Einer muss dafür umso mehr arbeiten, Señor Hafersahne. Es tut sich nämlich bei meiner Strategie ein Problem auf: Sobald Angestellte länger als zehn Minuten nicht tippen, erscheinen sie im firmeninternen Chat-Programm als abwesend. Abhilfe schafft ein kleines rechteckiges Objekt mit den richtigen Maßen und einem ausreichenden Eigengewicht, zum Beispiel eine Packung Hafer Cuisine, die sich geschickt auf der Leertaste positionieren lässt. Steht diese Packung dann tage-, wochen-, monatelang treu für jemanden auf der Tastatur, entwickelt sich eine enge Bindung zu dem fleißigen kleinen Helfer. Für einen Touch mehr Persönlichkeit werden dann Wackelaugen aufgeklebt, Ärmchen aus Papier gebastelt, ihm eine Krawatte gemalt und das Kerlchen auf den Namen Señor Hafersahne getauft. 

Der Gute erledigt neben seiner größten Aufgabe auch noch anderes für mich, zum Beispiel Anrufe ignorieren. Vor allem führt er mir aber vor Augen, wie überflüssig und sinnlos meine Stelle ist. Der Anthropologe David Graeber hat den Begriff des Bullshit Jobs als Tätigkeit ohne Mehrwert für die Gesellschaft geprägt – einen Job, der die Hälfte der Zeit genauso gut von einer Packung Hafer Cuisine übernommen werden kann, fällt eindeutig darunter. Es ist nur der erste Job und irgendwo müssen Berufsanfänger:innen einen Fuß in die Tür bekommen. Trotzdem setze ich alles daran, später nicht dauerhaft wie Señor Hafersahne zu enden: treu irgendeinem stumpfen Job nachgehen und ja keine Fragen stellen. 

Autor*in

Hier veröffentlicht DER ALBRECHT seine Gastartikel – eingesandt von Studierenden, Professor*innen und Leser*innen der Zeitung.

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