Die Novellierung des Hochschulgesetzes bringt einige Umstellungen mit sich. Neben dem vergrößerten Senat und den öffentlichen Sitzungen ebenjenes ist es vor allem die geplante Abschaffung der Anwesenheitspflicht, an welcher sich die Geister scheiden. Was in anderen Bundesländern, wie zum Beispiel Nordrhein-Westfalen, schon lange gang und gäbe ist, sorgt in Schleswig-Holstein für hitzige Debatten.

Die größte Befürchtung der Gegner, zu denen auch die Opposition des schleswig-holsteinischen Landtags zählt, sind leere Hörsäle. Theoretisch könne jemand durch die neue Regelung sein Studium abschließen, ohne je ein Seminar besucht zu haben. Aber sind diese Ängste überhaupt berechtigt? Der AStA der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel beantwortet diese Frage mit einem klaren „Nein“. Steffen Regis aus dem Referat für Öffentlichkeitsarbeit betont, mit Anwesenheitspflicht würden viele Probleme einhergehen. Vor allem Studierende, die körperlich oder psychisch beeinträchtigt sind, Angehörige pflegen, bereits Kinder haben oder neben dem Studium arbeiten, würden durch die Abschaffung entlastet. Deshalb habe sich der AStA von Anfang an für die Regelung eingesetzt. Ziel des Hochschulgesetzes, so Steffen, sollte die „konkrete Verbesserung der Studiensituation für alle“ sein. Viele Studierende gerieten unter großen Druck, sollten sie mehr als die bisher erlaubten zwei Lehrstunden verpassen. Dies beträfe besonders diejenigen, die ihr Studium über BAföG finanzierten. Sobald die Regelstudienzeit nicht eingehalten werden könne, sei die Finanzierung des Studiums gefährdet. Das könne bereits geschehen, wenn nur ein Seminar beispielsweise aufgrund längerer Krankheit nicht regelmäßig besucht werden kann. Besonders problematisch werde die Situation, wenn der Kurs nur alle zwei Semester angeboten würde. Keine Anwesenheitspflicht bedeutet also vor allem weniger Druck. Und genau der ist es schließlich, der vielen Studierenden seit der Bologna-Reform zu schaffen macht.

Sophia Schiebe aus dem AStA-Vorstand sieht vor allem in den Gesetzen von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen eine große Unterstützung für die Initiative. Die anderen Bundesländer zeigen: „Studierende besuchen weiterhin fleißig ihre Lehrveranstaltungen.“ Steffen fügt hinzu, wie wichtig es sei, die Gründe für ein Studium immer im Hinterkopf zu behalten. „Wir sind hier alle freiwillig. Ich habe selbst auch Kurse ohne Anwesenheitspflicht, die einfach didaktisch und inhaltlich gut sind und wir sind da immer in voller Besetzung.“ Somit ist ein Nebeneffekt der Abschaffung auch die Überprüfung der Qualität der Lehre. Dozierende, deren Veranstaltung regelmäßig leer bleiben, müssen sich fragen, ob sie nicht ihren Unterrichtsstil überdenken und sich von dem reinen Vorlesen von Folien verabschieden sollten. Allerdings sei dies, meint Sophia, kein Hauptgrund. Es ginge nicht um „Dozenten-Bashing“ aufgrund schlechter Lehre an der CAU. „Es geht wirklich um den Aspekt, dass wir den Alltag der Studierenden verbessern wollen“, meint die Lehramtsstudentin.

Auch mit den Gegenstimmen hat sich der AStA auseinandergesetzt. So hat der Professor für Pädagogik an der Universität Hamburg, Rolf Schulmeister, in einer Studie aus dem November letzten Jahres herausgefunden, dass bereits das dreimalige Fehlen in einer Lehrveranstaltung eklatant schlechtere Ergebnisse in den Abschlussprüfungen hervorrufen würde. Steffen entgegnet: „Es wäre schade, wenn es andersherum wäre. Das ist, vorsichtig ausgedrückt, keine so große Erkenntnis.“
Außerdem sei besagte Studie eine Zusammenfassung mehrerer Auswertungen, die zum Teil noch aus Magister-Zeiten stammten und somit veraltet wären. Die Angst vor einem Einbruch der Noten sei nicht angebracht, denn die Studierenden würden auch nach der Abschaffung der Anwesenheitspflicht ganz normal ihre Lehrveranstaltungen besuchen, so die Meinung des AStA. Sollte dazu einmal nicht die Möglichkeit bestehen, hätten sie durch die neue Regelung die Freiheit, sich den Stoff auch auf andere Weise zu erarbeiten. „Anders als es dargestellt wird, ist es nur eine Befreiung von der Anwesenheitspflicht, aber kein Anwesenheitsverbot“, ergänzt Sophia. Die Befürchtungen, vor allem jüngere oder leistungsschwächere Studierende könnten ohne den Druck durch das Raster fallen, weist Sophia ab. Im Magister und Staatsexamen hätte noch die Möglichkeit bestanden, anzukommen. Jetzt stünden sofort Prüfungen an, ohne dass sich die Studierenden überhaupt zurechtgefunden hätten. „Von daher ist die Zurücknahme der Anwesenheitspflicht auch in dem Punkt besonders wichtig, dass man ankommen kann und merkt ‚Das ist mir gerade alles zu viel, ich muss mal eine Vorlesung sausen lassen, um mich neu zu justieren’.“

Insgesamt ginge es, so Steffen weiter, um die Freiheit, sein Studium wieder etwas eigenständiger gestalten zu können. Schließlich ist das genau der Aspekt, über den sich Studierende im Bachelor-/ Mastersystem häufig beschweren. Eine Abschaffung der Anwesenheitspflicht bedeutet demnach keineswegs leere Hörsäle, sondern die Möglichkeit zu mehr Verantwortung, Freiheit und Selbstständigkeit. Diese Grundlagen der Freiwilligkeit sollen wiederrum die Lust am Studium erhöhen. Und genau diese Punkte machen ein Studium im Idealfall doch aus.

Autor*in

Maline ist 25 und studiert Deutsch und Politikwissenschaft im Master an der CAU. Sie ist seit Mai 2015 Mitglied beim Albrecht.

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