Vom 20. bis 21. April 2018 fand im Kulturzentrum Die Pumpe das 22. Filmfest Schleswig-Holstein statt. Das Filmfestival wurde 1993, damals noch unter dem Namen Filmfest Schleswig-Holstein Augenweide, vom früheren Verein Kulturelle Filmförderung Schleswig-Holstein und dem Kino in der Pumpe (KoKi) initiiert. Seit 2008 wird das Filmfest SH von der Filmwerkstatt Kiel (Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein) und dem KoKi, mit Unterstützung vom Verein Filmkultur SH veranstaltet. Zusammengefasst handelt es sich um Einrichtungen, welche in kleinen Teams, aber mit viel Engagement, die schleswig-holsteinische Filmszene einem breiteren Publikum zugänglich machen.

Die Reduktion des Programms um beinahe die Hälfte der Filme, im Vergleich zu den Vorjahren (2018: 23; 2017: 41; 2016: 45), bot den Besuchern*innen Vor- sowie Nachteile. Primär halbierte es die Filmauswahl des Festivals, andererseits ergab sich daraus die Möglichkeit, jeden Filmblock zu besuchen der einen interessiert, da die Vorstellungen in diesem Jahr ausschließlich in einem und nicht wie zuvor in mehreren Sälen parallel stattgefunden haben. Somit traf das diesjährige Motto „regional, konzentrierter“ nicht nur auf die Filmauswahl, sondern ebenso auf die Spielstätte per se zu. Während im Kinosaal die Vorführungen einschließlich Filmgesprächen mit Filmemachern*innen stattgefunden haben, konnten Wissbegierige anschließend im facebook-Livestream der Filmkultur Lounge weiterführende Informationen zu den Produktionen erfahren.

Als ich am Freitagnachmittag im KoKi eintraf, war das Festival bereits im vollen Gange. In der Filmkultur Lounge saßen die Filmemacher*innen zu Null Komma Sieben (D 2018, Moritz Boll) und Deine Existenz (D 2017, Hauke Wendt/Marc Schulz) auf braunen Chesterfield ähnelnden Sesseln vor rotem Stoff und sprachen über ihre Produktionen. An der Ticketkasse sowie am Einlass zum Kinosaal hatten sich bereits Schlangen von Menschen gebildet. Wem die Räumlichkeiten vom KoKi bekannt sind, der weiß, dass auf dem Gang nicht viel Platz ist. Zum Glück hatte ich Karten vorbestellt, denn das Kurzfilmprogramm war so gut wie ausverkauft. Bei Vorstellungsbeginn blieben dennoch Sitzplätze frei, was vermutlich dem verfrühten Sommertag geschuldet war. Umso erfreulicher, dass die Veranstaltung nichtsdestoweniger sehr gut besucht war, denn als nächstes stand der Programmblock Junges SH bevor. In dem sozusagen alles passieren kann, denn Filmemacher*innen sind am Beginn ihres Schaffens häufig experimentierfreudiger und brechen mit den filmischen Konventionen; Erstlingswerke sind für das Publikum an sich eine Blackbox, die die fantastische Möglichkeit bieten, einen vollkommen neuen Blick auf Geschichten und Erzählweisen des*der unbekannten Regisseurs*in zu erhalten. Die Erwartungshaltung des Publikums kann dabei einen großen Einfluss auf die Bewertung des Gesehenen ausüben. Mit der Moderation von Dr. Eckhard Pabst stand jedoch bereits vor Beginn der Projektion eine Konstante im Programm fest. Mit seiner humoristischen und selbstreflektierten Art erst über das KoKi und später mit den Filmschaffenden zu reden, die mich teilweise an den Humor von Tatis Monsieur Hulot erinnert, führte Pabst souverän durch das Kurzfilmprogramm. Dieses begann darüber hinaus mit der bezaubernden norddeutschen rom-com Date op de Diek (D 2017) von Lara Pansegrau, den ich bereits auf dem DbA-Kurzfilmfestival sehen durfte. Gefreut hatte ich mich außerdem auf Fünf Prozent Heimat (D 2017) von Johann Schultz, welcher mir unter anderem aufgrund der schönen Kameraarbeit positiv im Gedächtnis bleibt, sowie den Horrorfilm Forsthaus (D 2016, Paul Vincent Mayr). Der Horrorfilm findet seinen Weg viel zu selten in Filmfestivals, die sich nicht ausschließlich dem Genre verschrieben haben, wie beispielsweise das ebenso empfehlenswerte Fantasy Filmfest. Ich wurde nicht enttäuscht; Forsthaus schafft es nicht nur aufgrund des tollen Settings, die gewünschte Atmosphäre zu erzeugen, sondern lässt neben den Figuren ebenso das Publikum buchstäblich im Dunkeln tappen und wird mittels der multiplen Verweise besonders Liebhaber*innen des Genres gefallen.

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v.l.: Oliver Boczek, Nadine Sydow, Hauke Wendt, Marc Schulz und Moritz Boll. BQ: Daniel Krönke

Es gibt individuelle Gründe, die ein Filmfestival großartig machen. Für einige, ich spreche hierbei aus der Perspektive des Publikums, für die Filmemacher*innen sind es noch mal andere Dinge (Präsentation ihrer Werke, Feedback, Networking), ist es der frühere Zugang zu neuen, beziehungsweise in Retrospektiven zu älteren mitunter restaurierten Filmen, für andere ist es die Möglichkeit in Dialog mit den Filmschaffenden treten zu können. Beim Filmfest SH ist es ein wenig von beidem, plus die Tatsache, dass die hier gezeigten Filme eher kleine bis mittelgroße Produktionen sind, die größtenteils auf Festivals oder eventuell später auf einer der zahlreichen Video-on-Demand Plattformen erscheinen, jedoch keinen regulären Kinostart erhalten. Das ist schade, denn die Bilder und das Sound Design in beispielsweise Kursmeldung (D 2017) von Rainer Komers entfaltet seine Schönheit erst vollständig mittels den technischen Vorzügen eines Kinosaals (groß und laut). Ebenso verhält es sich beim wundervollen 32-minütigen Musikvideo Eure Kinder (D 2018) von Aron Krause, dessen Szenenbild in Verbindung mit dem Songtext der Band Kraus zum Teil so dicht an Informationen ist, dass einem beim ersten Schauen viele Dinge entgehen. Was einzig zur Folge hat, den Kurzfilm gleich noch einmal sehen zu wollen.

Neben den bereits erwähnten Titeln hat sich das Festival seinen Charakter mit dem Schwerpunkt auf Dokumentationen erhalten. Wie sehr der dokumentarische Film vom Charisma seiner Protagonisten*innen abhängig ist und gleichzeitig den Wert von vermeintlich großen und kleinen Biografien nivelliert, verdeutlichen Jahresringe (D 2017) von Jens Becker, Herr Möller (D 2017) von Johanna Borelli sowie Der schwarze Mann vom Bosporus (D 2017) von Natalie Beck. Die Lebensverläufe ihrer Protagonisten könnten unterschiedlicher nicht sein; Becker begleitet in Jahresringe Siegfried Wanke (vom Flakhelfer und Deserteur zum Top-Stasi-Agent und Waffenhändler) bei der Rückkehr an Orte seiner Vergangenheit. Johanna Borellis erzählt in ihrem Film vom Sommeralltag sowie den Philosophien des Strandkorbvermieters Herrn Möller und Natalie Beck begleitet den schwarzen Mann vom Bosporus, der entgegen seines selbst ernannten Spitznamens in Wirklichkeit am Kieler Vinetaplatz wohnt und ein herzensguter Mensch ist. Neu waren in diesem Jahr ebenfalls die im vierten Programmblock laufenden Webserien (Pentaquad [D 2018, Jessica Dahlke] und Deichbullen [D 2017, Michael Söth]). Für das nächste Jahr ist sogar eine separate Kategorie geplant, da die Webserien dieses Mal noch außer Konkurrenz liefen.

Den feierlichen Abschluss vom Filmfest SH bildete die Preisverleihung am Samstagabend. Der Kinosaal des KoKi war bis auf den letzten Sitzplatz belegt und wer nicht vor Spannung um den Wettbewerbs- und Publikumspreis unruhig auf dem Kinosessel wippte, tat dies, weil er immer noch den Refrain von Eure Kinder in Gedanken sang. Das Buddelschiff sowie den mit 2 000 Euro dotierten Kurzfilmpreis SH (gestiftet von der PSD-Bank) vergab die Jury an Abgetaucht (D 2018) von Moritz Boll. Eine Vater-Tochter-Geschichte, über eine Liebe, die so stark ist, dass alles daran zu zerbrechen droht. Den Publikumspreis Kurz, in Höhe von 1 000 Euro, gestiftet von Filmkultur Schleswig-Holstein e.V., haben Britta Potthoff und Adrien Pavie für ihren Film Mon Père Le Poisson ([Mein Vater der Fisch] F/D 2017) erhalten. Ein modernes Märchen über einen starken kleinen Jungen und dessen Vater, in einer ihnen fremden Welt. Den Publikumspreis Lang (ebenfalls von Filmkultur SH gestiftet) hat Nach dem letzten Schuss ist der Krieg noch nicht vorbei (D 2018) von Kay Gerdes und Jess Hansen erhalten. Eine Dokumentation über Kieler*innen, die nach Jahrzehnten des Schweigens von ihrer Vergangenheit als sogenannte Kriegskinder erzählen.

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v.l. Daniel Kroenke, Arne Sommer, Adrien Pavie, Britta Potthoff, Moritz Boll, Kay Gerdes, Joerg Bercher, Christoph Zickler. BQ: Lorenz Müller

Trotz des komprimierten Programmes und dem Fokus auf Produktionen aus und über Schleswig-Holstein, schaffte es das Filmfest SH, ein vielfältiges, konstant qualitativ hochwertiges und dabei überwiegend aktuelles Arrangement an Filmen zusammenzustellen, welche die Leinwand vom KoKi zum Fenster in die schleswig-holsteinische Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verwandelte. Außerdem hat die räumliche Zusammenführung von Vorführungsort und Filmkultur Lounge das Festival um ein Vielfaches bereichert. Vielleicht wird es beim 23. Filmfest SH sogar Akkreditierungen geben, summa summarum können wir gespannt und mit Freude auf die weiteren Entwicklungen dieses sich im Umbruch befindenden Filmfestivals schauen.


Bildquelle Titelbild: Filmfest SH, Abgetaucht (D 2018, Moritz Boll)

 

Autor*in

Marc studierte Politik, Soziologie und Medienwissenschaft in Kiel. Für den ALBRECHT schreibt er seit 2015 insbesondere für das Kulturressort und dessen Filmsparte KinoKatze.

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Ein Kommentar

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