Ein eindeutiger Geruch von Mensch, ungewaschen und schweißnass, mischt sich mit Bier, Parfum und Zigarettenasche und begrüßt mich, als ich meine Stammkneipe betrete. Obschon Ferien sind, ist der Laden – wie auch die meisten Gäste – gut voll. Max lässt es sich nicht nehmen, mit seinem dicksten Anhaltiner Akzent 1000 und 1 Nacht (Zoom!) zum Besten zu geben; als wäre Klaus Lage so nicht schon gemeingefährlich genug. Es ist nun einmal ein Grundgesetz einer jeden Karaokenacht, die zwischen Waikiki und Wellington stattfindet, dass weder schön noch gut, geschweige denn Schönes oder Gutes gesungen wird. Die Teilnehmer stört das aber nicht, zwei Kurze und drei Bier lassen einen auch am schandhaftesten Liedgut gesunden. Natürlich ist auch Linus wieder hier, wie immer nüchtern. Das bin ich seit etwas über zwei Monaten jetzt auch. Ich habe einige Dinge über mich und Menschen erfahren, die mich auch ein mehrwöchiger Aufenthalt in einem buddhistischen Kloster in Thailand nicht hätte lehren können.

Alkoholfreies Bier ist nicht wirklich alkoholfrei, schmeckt dafür aber nicht. In einer grünen Flasche befindet sich ein Drittelliter einer Flüssigkeit, die entfernt an herbes friesisches Bier, das den Willen zu leben verloren hat, erinnert. Auf dem Etikett prangt ein höhnisches FUN. Ich tränke ja anderes, gäbe es hier in Flaschen mehr als Limo und Wasser. Das Schöne an alkoholfreiem Bier ist aber, dass es bis auf den Rausch die gleiche Wirkung hat wie sein Bruder, dessen Freunde ihn damals immer gehänselt haben – er wird wohl nie richtig dazugehören. Alkoholfreies Bier stellt mittlerweile jeder her, es ist auch (sofern den Erzählungen der Alten am Lagerfeuer geglaubt werden darf) deutlich besser als früher. Unterm Strich bleibt es aber eine Notlösung für die, die nicht nur Wasser oder Brause trinken wollen. Am besten ist übrigens alkoholfreier Russ (Weizen mit Zitronenlimonade).

Betrunkene Menschen wiederholen sich, sie wiederholen sich oft. „Ich bin so betrunken!“ entwickelt als Phrase fast schon dadaistische Eigenschaften, wenn es binnen fünf Minuten zwanzig Mal in direkter Folge gesprochen wird. Man setzt sich dann ganz unschuldig neben einen betrunkenen Freund, bekommt die obligatorische Frage gestellt, ob man immer noch nichts trinke, bejaht und gibt kurz Feuer, um dann über den aktuellen Rauschzustand seines Sitznachbarn informiert zu werden. Beim vierten Mal kann der Text schon leise mitgesprochen werden. Wie ein Mantra wiederholt sich dieser Satz immer wieder, als würde die Nüchternheit heraufbeschworen werden, damit sie einen erlöse. Wie bei solchen religiös anmutenden Riten üblich, bleibt eine erkennbare Wirkung aus. Es sei wirklich viel getrunken worden, das Bier sei billig und dazu noch günstig gewesen, es wurde sich übernommen. Dann plötzlich: junge Frau, hinterher! Also: Kurz daneben stehen, sich nicht zu deutlich amüsieren und den Freund trösten, dass er seine gute Absicht nicht mehr korrekt artikulieren konnte, dann noch eine rauchen.

Zigaretten schmecken mir eigentlich wirklich nicht. Seit gut fünf Jahren rauche ich, mal mehr oder weniger enthusiastisch und regelmäßig, aber nach ein paar Bier war bisher immer die Fluppe nicht weit. Wache ich dann am nächsten Morgen, Gott sei Dank ohne Kopfschmerzen, dafür aber mit trockenem Mund auf, stinkt meist das ganze Zimmer nach Zigaretten, die Packung ist aus der Jeans, die auf dem Boden liegt, gerutscht und eine Kippe liegt unterm Bett, die Schachtel ist recht lädiert. Also: Fenster auf, sich eine anzünden, um den Gestank nicht mehr so mitzukriegen und dann weiß am Ende niemand mehr, ob die Nase nichts außer Qualm mehr riecht oder man wirklich bis auf die Sockenbündchen nach Teer, Kondensat und Nikotin mieft. Ohne Alkohol als Wirkungsbeschleuniger riecht Tabakrauch stärker und unangenehmer. Es mag sein, dass ein leichter Rausch die Inhibitionen herabsenkt, immerhin rauchen die meisten Partyraucher auch nur, wenn sie eh schon blau sind; also ist das Nichttrinken eigentlich die ideale Vorstufe zum Nichtraucherdasein.

Die Unvorstellbarkeit der Unendlichkeit ist nichts im Vergleich zu der des sich-nach-Sonnenuntergang-öffentlich-draußen-befinden-ohne-Alkohol-zu-trinken. Menschen gucken wahlweise erstaunt oder fangen an, einem mit Bier im Gesicht herumzuwedeln. Solange es den Straftatbestand der alkoholischen Nötigung nicht gibt, muss das mit einem müden Lächeln und einem „Ich trinke nicht.“ abgetan werden. Die weitere Diskussion läuft dann meist wie folgt ab: Erstaunte Frage, kurze Antwort, Nachfrage „Gar nicht?“, Antwort „seit Ende Mai nicht.“, „Gott, ich muss ja anstrengend sein, so nüchtern.“, Gedanke „Gott, ja!“, Ausspruch „Ach, nein, iwo!“. Ich trinke halt weder aus gesundheitlichen Gründen oder drohender Sucht nicht – ich habe irgendwann im Studium einfach begonnen, einmal die Woche betrunken zu sein, gefalle mir betrunken nicht und will gravierende Folgen frühzeitig ausschließen – ist Feiernden nicht klarzumachen, lasse ich also.

An einem Freitag Ende Mai bin ich in einem ziemlich miserablen, alkoholinduzierten Zustand aufgewacht. Nachdem ich die Ereignisse, die zu diesem Punkt geführt hatten, rekonstruiert hatte, fasste ich den Entschluss, in Zukunft keinen Alkohol zu trinken. Meine Eltern trinken Alkohol, meine Großeltern auch und bis auf eine Ausnahme prinzipiell auch mein gesamter Freundeskreis, eine handvoll Menschen jedoch sehr selten und wenig. Ein guter Freund hat meiner Meinung nach ein Alkoholproblem, eine gute Freundin redet sich aufgrund zweier Lappalien selbst eins ein, einer meiner Lieblingsautoren ist seit einem Jahrzehnt trocken. Ich rate nur jedem, es einmal zu probieren. Ich will nicht den Teufel an die Wand malen, aber wenn die Forschung von einem halben Liter Bier an fünf Tagen die Woche und gesund spricht, kann das adoleszente Kampf- und Rauschtrinken an Universitäten nicht gesund sein. Gerade im Studium ist Alkohol immer verfügbar und viele Studenten trinken überdurchschnittlich viel. Studenten haben auch überdurchschnittlich viel Freizeit, viele Sexualpartner und wenig Geld, aber ein Problem nach dem anderen.

Bildquelle: Wikimedia Commons

Autor*in

Paul war seit Ende 2012 Teil der Redaktion. Neben der Gestaltung des Layouts schrieb Paul gerne Kommentare und ließ die Weltöffentlichkeit an seiner Meinung teilhaben. In seiner Freizeit studierte Paul Deutsch und Anglistik an der CAU.

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