Ist der Tag gekommen, erkennt man das Phänomen schon von Weitem: Lange Schlangen, sorgfältig nach Männlein und Weiblein getrennt, ein Stau vor dem Mensa-Eingang, dass wer hier nur zum Essen gekommen ist, eindeutig den Kürzeren zieht. Es werden Handzeichen gegeben, sich ganz wie im Kindergarten in der Disziplin des Vordrängelns geübt – es könnte ja zu lange dauern, und wehe das Objekt der Begierde ist schon vergriffen, bevor man vorne ankommt. Handys werden gezückt, schnell noch dem Rest der Truppe Bescheid geben, nicht dass die anderen ausgerechnet heute nicht vorbeikommen, schließlich gibt es etwas UMSONST! „Soll ich dir eine mitbringen?“, schallt es von drüben herüber – eindeutiger Anfängerfehler! Wer schon mal dabei gewesen ist, weiß, dass pro Person nur ein Exemplar vergeben wird. Deshalb lässt sich am Seitenausgang auch das fleißige Rucksackpacken beobachten, bevor die Übeltäter vergnügten Mutes wieder zum Ende der Wartenden zurückkehren, um sich erneut mit leeren Händen anzustellen.

Das Aufgebot ist beachtlich. Palettenweise stapeln sich die bunten Lockvögel sowohl auf Pinnwand- als auch Fensterseite. Die Helfer arbeiten im Akkord, die Handgriffe sitzen. Wie junge Vogelküken wartet die Gattung Student darauf, den Schnabel gestopft zu bekommen. Erst wenn dieser fröhlich erhalten, worauf so lange gewartet, hat der Futterneid ein Ende und die allgemeine Zufriedenheit breitet sich auf seinem Gesicht aus. Es ist deutlich ersichtlich, wie der Stress der vergangenen Sekunden von ihm abfällt. Die Genugtuung könnte nicht größer sein.

Dann der entscheidende Moment – ein Blick ins Innerste der Trophäe. Selbst das unförmigste Weihnachtsgeschenk hat kaum eine Chance, bei diesem Wettlauf der Adrenalinkicks zu gewinnen.

Nach einem ersten Eindruck versucht man durch die Schlange der noch nicht Versorgten erneut in die Mensa vorzudringen, diesmal mit Kurs auf die Tischreihen. Gemeinsam wird nun ausgepackt und die Beute analysiert, Energydrink gegen Gummibärchen getauscht und über die Broschüre zum Organspendeausweis diskutiert. Vor allem aber bleibt zum Schluss ein ganzer Berg an Papier: Rabattgutscheine für den Friseur an der Holtenauer, Angebote der Deutschen Bahn, Werbung für eine Genitalpilzcreme.

Mit nach Hause kommt am Ende vielleicht noch der Rasierer aus der männlichen Edition, das Kondom und die Mischbiersorte, die danach ein halbes Jahr den WG-Kühlschrank blockiert, weil sie doch keiner trinken mag. Langanhaltend effektiv genutzt wird lediglich der gelb-schwarze Kugelschreiber eines Lieferservice – doch die Vorfreude auf die nächste Campustüte ist ungebrochen. Schließlich sind wir alle doch Jäger und Sammler.

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