Der Weissenhäuser Strand glich an diesem Wochenende einem generationsübergreifenden Spring Break im November: Eine Gruppe Twens schleppt Plastiktüten voller Bierflaschen den Gehweg entlang, während eine Mutter in den Vierzigern versucht, ihre Kinderschar zu organisieren. Die Generation 60+ hat derweil längst eingecheckt und ruht sich in ihren Hotelzimmer noch mal aus, bevor der endgültige Startschuss fällt. Es herrscht Ausnahmezustand in der Ferienparkanlage, wenn das zweitägige „Rolling-Stone-Weekender“-Festival stattfindet. 27 Bands, darunter Wilco, Fleet Foxes und Cake haben sich angekündigt und dafür gesorgt, dass die Veranstaltung im dritten Jahr mit rund 4 000 Besuchern zum ersten Mal vollständig ausverkauft ist. Wer zu spät kommt, den bestraft der Anreisestau. Oder die überfüllte Konzertlocation.

Zwar versuchten die Veranstalter letzterem entgegenzuwirken, indem man eine vierte Bühne aufstellte, dennoch waren die Belastungsgrenzen bei drei der vier Spielstätten mehr als einmal erreicht. Negativfolge zudem: Da die Konzerte erst am frühen Abend beginnen und somit eine Vielzahl von Bands in einem vergleichsweise kurzem Zeitraum spielt, kommt es bisweilen zu heftigen Programmüberschneidungen: Wer mehr als ein Drittel der Konzerte sehen will, muss dafür bereits im Vorfeld einen genialen Masterplan entwickelt haben. Schneller Einlass ist nämlich lediglich im geräumigen und beheizten Musikzelt garantiert, in dem vor allem die Freitags-Headliner Wilco in Bezug auf Publikumsandrang und -resonanz reüssieren. Das Zelt weiß aber nicht nur akustisch zu überzeugen, dank Rauchverbot und täglich duschendem Publikum riecht es hier sogar besser als auf anderen Festivals.

Vor den anderen Bühnen wird der Sauerstoff hingegen knapp: Zwar merkt man dem „Baltic Festsaal“ nicht an, dass hier sonst Firmenfeiern und Konfirmationen abgehalten werden, aber eng wird es dennoch. Dies ermöglicht es Künstlern wie „Portugal.The Man“ oder Thees Uhlmann zwar euphorisch bejubelte Shows in echter Clubatmosphäre zu spielen, lässt aber lange Schlangen am Einlass entstehen, in denen so mancher vergeblich wartet. Deutlich weniger Andrang ist vor den kleinen Bühnen in der Blockhütte „Rondell“ und dem Restaurant „Witthüs“, auf denen der Nachwuchs spielt – dafür fassen die Räumlichkeiten aber auch nur je ein paar 100 Nasen. Die dürfen sich dann aber auf durchaus magische Momente einstellen: Beispielsweise den Auftritt der amerikanischen Sängerin Amy LaVere, die sich selbst auf einem Kontrabass begleitet der zwei Köpfe größer ist, als sie selbst. Die intime Atmosphäre vermag bei jedem Zuhörer den Eindruck zu erzeugen, sie sänge nur für ihn alleine.

Vielleicht liegt darin das Geheimnis des Weekenders: Die Unterschiedlichkeit der Locations spiegelt die musikalische Bandbreite zwischen Rock, Indiepop und Singer/Songwriter perfekt wieder und erzeugt bei jedem Bühnenwechsel das Gefühl, eine gänzlich neue Welt zu betreten. Vielleicht ist es aber auch nur der willkommene Anlass, die Festivalsaison im November noch einmal gebührend zu verabschieden. Insofern: Hat einer gesehen in welche Richtung die Kids mit dem Bier gegangen sind?

Autor*in

Janwillem promoviert am Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft. Er schreibt seit 2010 regelmäßig für den Albrecht über Comics und Musik, letzteres mit dem Schwerpunkt Festivalkultur.

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