Wie ein Pakt und ein Bauplan die Integrationspolitik in Schleswig-Holstein verändern wird

Etwa 20.000 Flüchtlinge erwartet Schleswig-Holstein laut Experten bis zum Ende des Jahres. Im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren bedeutet dies einen immensen Anstieg der Asylsuchenden, die eine Fülle an Fragen mitbringt: Wie viele Flüchtlinge können wir aufnehmen? Wie können sie schnell integriert werden? Wer zahlt das alles? Mittlerweile in allen Medien und Diskussionsrunden vertreten, ist die Flüchtlingspolitik längst nicht mehr nur ein Thema von Politikern und Ehrenamtlichen, sondern etwas, das sich unmittelbar vor Jedermanns Haustür abspielt.

Das Leben der meisten Flüchtlinge wird zurzeit von überfüllten Erstaufnahmeeinrichtungen, fehlenden Beratungsstellen und der schleppenden Bearbeitung von Asylbewerbungen bestimmt. Eine sehr eingeschränkte Krankenversorgung und die immerwährende Ungewissheit, ob und wann das Asylverfahren positiv abgeschlossen ist, macht den dringenden Handlungsbedarf in der Politik mehr als deutlich.

Erheblich zur Verbesserung der Flüchtlingssituation soll nun der am 6. Mai dieses Jahres beschlossene Pakt beitragen, den die Landesregierung Schleswig-Holstein in Zusammenarbeit mit Kommunen, Verbänden, Wirtschaft und Kirchen entwickelt hatte und nun auf der Flüchtlingskonferenz vorstellte. So unterstützt das Land zukünftig die Kreise und kreisfreien Städte mit zusätzlichen zwei Millionen Euro im Jahr, um der steigenden Zahl ankommender Flüchtlinge gerecht zu werden. Ministerpräsident Torsten Albig stellte in diesem Zusammenhang eine einmalige Integrationspauschale in Höhe von 900 Euro für jeden neu ankommenden Flüchtling vor, von der unter anderem eine Sprachförderung ab der Erstaufnahme finanziert wird. Des Weiteren werden in Kitas nicht nur Kapazitäten sondern auch Sprachförderungsprogramme ausgebaut und Fortbildungen im Bereich der Traumapädagogik angeboten. Der Pakt beinhaltet außerdem Ziele zur schnelleren Arbeitsmarktintegration, mehr Wohnraum innerhalb der Kreise sowie verbesserten Schutz für minderjährige Flüchtlinge, die ohne Vormund ankommen. Weiterhin sollen neben den bereits vorhandenen Standorten in den kommenden Jahren in Lübeck, Flensburg und Kiel Erstaufnahmeeinrichtungen entstehen.

Auch die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel ist in diesem Zusammenhang nun Teil der schleswig-holsteinischen Integrationspolitik: Bis September 2016 entsteht auf dem Universitätsgelände ein „Studentendorf“, welches bis zu 600 Flüchtlinge beherbergen und langfristig gesehen Wohnraum für Studierende bieten soll. Somit wird, laut dem Ministerium für Inneres und Bundesangelegenheiten, eine „sinnvolle Nachnutzung und damit eine nachhaltige Investition gewährleistet“. Die rund 1500 Quadratmeter große Fläche, auf der das Projekt verwirklicht werden soll, befindet sich unweit der Universitätsbibliothek am Bremerskamp. Vizepräsidentin Prof. Dr. Anja Pistor-Hatam ludt Anfang Juni erstmals zu einer Veranstaltung ein, die sich mit den Planungen am Unigelände befassten. So tauschten  der AStA, Personalrat, Kanzler, der Flüchtlingsrat und zahlreiche  Interessierte Ideen und Konzepte aus. „Wir befassten uns vor allem mit der Frage, wie wir mit der geplanten Erstaufnahmeeinrichtung umgehen werden“, so Pistor-Hatam. Dass nur eine Erstaufnahmeunterbringung geplant ist, sieht die Vizepräsidentin für Studienangelegenheiten und Diversität als ein Potentialverlust. „Ursprünglich hatten wir dem Land ein anderes Konzept vorgeschlagen, dass die langfristige Unterbringung von Flüchtlingen vorsah und somit die Möglichkeit einer besseren Integration, sogar eines Studiums an der CAU, bot“. Dennoch stelle sich die Universität auf die neuen Pläne ein. Der AStA plant eine Sprachbegleitung und generelle Hife bei den ersten Schritten in ein neues Leben sowie eine Ringvorlesung zum Thema Deutsch als Fremdsprache. Frau Pistor-Hatam bestätigte außerdem eine Zusammenarbeit mit der Wohlfahrtseinrichtung, welche die Erstaufnahmeeinrichtung betreuen wird.

Im Hinblick auf den Flüchtlingspakt betont die Vizepräsidentin das positive Verhalten des Landes: „Es wurden sehr viele Menschen in die Flüchtlingshilfe einbezogen, was die aufstrebende Willkommenskultur in Deutschland deutlich macht“. Auch Innenminister Studt (SPD) zufolge sei der Pakt ein „Zeichen von Solidarität und einer aktiven Anteilnahme bei der Bewältigung einer großen Aufgabe“. Martin Link, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Schleswig-Holsteins e.V. warnt jedoch, der Flüchtlingspakt sei „mit der heißen Nadel gestrickt“ – denn zwischen der Ankündigung einer Flüchtlingskonferenz mit den zugehörigen Zielvereinbarungen und dem tatsächlichen Beschluss des Paktes lagen nur knapp zwei Monate.

„Wir sind mit dem Ergebnis der Flüchtlingskonferenz insofern zufrieden, dass die Häuser der Landesregierung erkannt haben, wo ihre Zuständigkeiten liegen und allesamt Verantwortung im Bereich der nachhaltigen Flüchtlingsintegration tragen. Viele haben erkannt, dass es notwendig ist, sich heterogen zu vernetzen und somit eine bessere Organisation und effektive Zusammenarbeit zu gewährleisten“, fasst Martin Link zusammen. Trotzdem sei noch in vielen Bereichen intensiv zu arbeiten, um die besten Ziele erreichen zu können.So kritisiert Link die „Closed Shop – Strategien“ der Wohnbaugesellschaften, die sich mit Aufgaben nur intern beschäftigen, anstatt sich mit Nachbarschaftsinitiativen, Unterstützungskreisen und Wohlfahrtsverbänden zusammenzuschließen, welche durch langjährige Erfahrung Expertise und Kompetenz beisteuern könnten. Handlungsbedarf sieht er außerdem bei der ethnischen Selektion von Flüchtlingen. So gelten zum Beispiel syrische Flüchtlinge als besser integrierbar, Migranten aus dem Westbalkan hingegen als schlecht integrierbar, da sie aus sogenannten „sicheren Herkunftsländern“ stammen. Ihnen wird oftmals kein Sprachkurs bewilligt, weil davon ausgegangen wird, dass sie eine negative Asylprognose erhalten.

Wie viele Flüchtlinge können wir aufnehmen? Wie können sie schnell integriert werden? Wer zahlt das alles? Auf die eingangs gestellten Fragen reagiert Martin Link gelassen. „Schleswig-Holstein hätte auch Kapazitäten für 40.000 Flüchtlinge, es ist alles eine Frage der Organisation und einer verbesserten Bürokratie“. Und auch, wenn Flüchlinge kurz- und mittelfristig Kosten verursachen, versprechen neue Konzepte eine schnelle Eingliederung in den Arbeitsmarkt und zügigere Abläufe. Die Integrationspolitik ist und bleibt also ein brisantes, kontroverses und höchst dynamisches Thema, welches in vielerlei politischer, wirtschaftlicher und natürlich kultureller Hinsicht Potential birgt. Messbare Ergebnisse werden spätestens bei der Bilanzkonferenz 2016 ersichtlich.


Quelle Titelbild: Ilias Bartolini / flickr

Autor*in

Johanna schreibt seit Anfang 2015 vornehmlich für das Ressort Gesellschaft. Seit Februar 2017 ist sie Chefredakteurin des ALBRECHT. Sie studiert seit dem Wintersemester 2014 Deutsch und Soziologie an der CAU.

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