Als im Jahre 1980 der Asterix Band Der Große Graben die Buchhandlungen und Comicläden Kiels erreichte, war noch nicht abzusehen, dass 36 Jahre später ein dem Comic ähnliches Thema die Politik der Landeshauptstadt spalten würde. In Uderzos Werk herrscht Krieg in einem gallischen Dorf, das daraufhin den Konflikt mit einem Graben abzumildern sucht. Damals waren die Allegorien zur Berliner Mauer und der sich vor der Wahl François Mitterands entzweienden Politik Frankreichs eindeutig.

Heutzutage ist man sich im Rathaus einig, dass Kiels Innenstadt ein Problem hat und versucht nun, diesem mit einem Wassergraben Herr zu werden. Die konservativen Kräfte stellen sich dagegen, die rot-grün-blaue Ratsmerheit steht hinter dem Projekt und hat am 16. Juli 2015 Kraft ihrer Mehrheit die bauliche Umsetzung der Maßnahme beschlossen. Zwischen März 2017 und Ende 2019 soll nun ein Kanal errichtet werden; dort, wo momentan noch die Holstenbrücke steht. Die Wasserverbindung zwischen Kleinem Kiel und Bootshafen ist ein Überbleibsel der ehemaligen Halbinsellage der Kieler Innenstadt und bestand, bis die Verbindung 1904 auf ein Rohr zwischen Kleinem Kiel und Bootshafen verringert wurde. Die Wasserverbindung zwischen Bootshafen und Förde wurde später ebenso auf ein Rohr reduziert.

Der ehemaligen Beschaffenheit der Kieler Innenstadt soll sich nun wieder angenähert werden, um die Aufenthaltsqualität in ihr zu verbessern und neben Einkaufsmöglichkeiten wie dem Citti-Park, dem Neumünsteraner Outlet, Raisdorf und zu guter Letzt dem Online-Shopping nicht hilflos zu unterliegen. Dazu soll der Kleine Kiel-Kanal, so der Arbeitstitel des Projekts, die Attraktivität der Kieler Innenstadt erhöhen.

Als Vorschlag aus der Perspektivenwerkstatt Innenstadt 2008 entstanden, erscheint bereits in einem Papier aus dem Sommer 2009 die Idee, die Kieler Innenstadt durch einen Kanal zu beleben. Ihm zugrunde liegt ein Werkstattverfahren, im Rahmen dessen auch drei Expertenabende mit bis zu 100 Teilnehmern stattfanden, an denen eine öffentliche Diskussion möglich war. Als Resultat dieses Verfahrens entstanden die ersten konkreten Pläne. Auch ein Beteiligungsverfahren ist im Rahmenkonzept Perspektiven für die Kieler Innenstadt angedacht, soll laut Papier Mitte 2010 stattfinden. Anders als im Falle Möbel Kraft fand ein Bürgerentscheid schließlich nicht statt. Bis Dezember 2014 wurden Vorschläge für die konkrete Durchführung des Projekts gesammelt und schließlich am 10. Februar 2015 in einer Abschlussveranstaltung vorgestellt. Das Ob stand somit nie öffentlich zur Debatte, nur das Wie. Mehrere Anträge auf eine Bürgerbeteiligung durch eine Entscheidung der Ratsversammlung wurden von der Regierungskoalition abgelehnt, eine Unterschriftensammlung kam nicht zustande.

Für die Bewohner der Landeshauptstadt heißt der Kanal zunächst einmal Veränderung, manche sprechen von Behinderung. In zwei Vorbereitungs- und drei Bauphasen soll die Verkehrsführung geändert und an die neuen Begebenheiten angepasst werden, die zeitgleich geschaffen werden. In den Unterlagen des Bauausschusses sind die einzelnen Phasen der Baumaßnahme detailliert aufgeschlüsselt. Ab September 2017 kommt es zu Einschränkungen des Individualverkehrs im Großraum Innenstadt, die auch den ÖPNV betreffen. Die Verkehrsströme werden über die Brunswiker Straße östlich und über die Rathausstraße westlich von der Holstenbrücke abgeleitet.  Die Westroute wird zwischen März und November 2018 unpassierbar, sodass der Jensendamm als Umleitung dient. Ab 2020 schließlich soll das Projekt fertiggestellt sein. Der ÖPNV passiert dann wie gehabt die Holstenbrücke, hält jedoch nicht. Der Bereich wird über Haltestellen am Bootshafen, im Jensendamm, der Rathausstraße (auf Höhe des Rathausplatzes) und der Andreas-Gayk-Straße erschlossen. Die Holstenbrücke ist und bleibt dann für den Individualverkehr gesperrt.

Die Pläne stehen und sorgen bei der Opposition für Unmut. Die Innenstadt werde durch falsche Baustellen beeinträchtigt, der Kanal werde die Innenstadt nicht beleben, so CDU-Ratsfrau Sigrid Schröter. In einer Pressemitteilung aus dem Sommer nennt sie den „Wassergraben“ weiterhin „unsinnig“ und bedauert, dass Oberbürgermeister Ulf Kämpfer dieses Projekt im Wahlkampf stoppen zu wollen schien und „diese Fehlentscheidung“ jetzt dennoch unterstütze. Auch fordert sie Verständnis und Unterstützung für die Einzelhändler, die in einer derart langen Bauphase nicht alleine gelassen werden dürften. Schon heute ist der Einzelhandel von den vielen Baustellen im Kieler Zentrum beeinträchtigt. Die FDP-Ratsfraktion steht der Baumaßnahme ebenso kritisch gegenüber, gelobt aber „das Projekt konstruktiv [zu] begleiten und zur gegebenen Zeit die Wirkung dieser Maßnahme kritisch [zu] hinterfragen“. Der baupolitische Sprecher der SPD-Ratsfraktion, André Wilkens, nennt den Kleinen Kiel-Kanal ein „Schlüsselprojekt zur Belebung der Innenstadt“.

Oberbürgermeister Ulf Kämpfer und Bürgermeister Peter Todeskino greifen etwaiger Kritik am fehlenden Bürgerentscheid in der Dokumentation Mitwirkungsprozess Kleiner Kiel-Kanal vor: Wer die Ergebnisse betrachte, bemerke, dass die Planungen im Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern besser an Qualität gewonnen hätten. Viele der eingebrachten Wünsche könnten weiterverfolgt oder erfüllt werden. Des Weiteren heißt es, es entstehe ein „einzigartiger, lebendiger, maritimer Ort“.

Die Stimmen der Opposition finden sich in den letzten Medienberichten nur am Rande, zu hohe Kosten und schwer erreichbare Geschäfte sind die hauptsächlichen Kritikpunkte. Am März 2017 beginnen die ersten Baumaßnahmen, die Kieler Nachrichten suchten bereits nach einem Namen für den Kanal; entschieden wird darüber, wie schon über den Bau, alleine in der Ratsversammlung werden.

Autor*in

Paul war seit Ende 2012 Teil der Redaktion. Neben der Gestaltung des Layouts schrieb Paul gerne Kommentare und ließ die Weltöffentlichkeit an seiner Meinung teilhaben. In seiner Freizeit studierte Paul Deutsch und Anglistik an der CAU.

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