Die Kieler Unikirche hat keine feste Gemeinde – dafür aber die ungewöhnlichsten Prediger

Sie prägt die Skyline der Christian-Albrechts-Universität wie kaum ein anderes Gebäude und trotzdem haben nur die wenigsten Studierenden die Kirche auf dem Campus jemals betreten. Dabei ist, wer sich mit schweren Barockkirchen noch nie anfreunden konnte, hier genau richtig: Durch die unzähligen bunten Glasscheiben fällt die gleißend helle Morgensonne hinein. Blaue, grüne und gelbe Dreiecke finden sich zu immer größeren Dreiecken zusammen, bis diese in der gesamten Form des Gebäudes gipfeln. Der ganze Innenraum wirkt wie ein einziges großes Kirchenfenster. Wenn es in der Bibel heißt: „Ein Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten“, fühlt der Besucher hier weniger die Dunkelheit sondern vor allem den Schein. Doch biblische Szenen lassen sich nirgends finden. Vielmehr sind es die Formen, zu denen der Blick während des Gottesdienstes immer wieder aufsteigt. An ihnen bleibt er hängen, sie regen aufgrund ihrer Abstraktheit zum Nachdenken an.

Die Idee für den Bau einer Campus-Kirche kam vor mehr als 50 Jahren von Professoren des Historischen Seminars, die sich daraufhin maßgeblich für ihre Finanzierung engagierten. Die Entwürfe lieferten die Kieler Architekten Erhart Kettner und Hermann Weidling, angelehnt an die sogenannten „Lippenstift und Puderdose“-Neubauten der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin. Zum 300-jährigen Uni-Jubiläum wurde die Kieler Variante 1965 eingeweiht und blieb über viele Jahre die einzige Universitätskirche in Deutschland.

Die inneren Verflechtungen sind nicht ganz einfach, denn das Gebäude selbst gehört nicht der CAU sondern der Nordkirche. Gleichzeitig ist die Unikirche keine Körperschaft öffentlichen Rechts – sie hat keine eigene Ortsgemeinde, keinen Pastor, sie betreibt keine Diakonie und keine Senio – rennachmittage. Einzig und allein zum Gottesdienst versammeln sich die Menschen in ihr – und Studierende sind dort eher selten dabei. Vor allem Emeriti, ältere Professoren der Theologischen Fakultät und Bürger, die zwar nichts mit der Uni zu tun haben, aber in der Nähe wohnen, finden sich sonntagmorgens hier ein. Die ungewöhnlich abwechslungsreichen und anspruchsvollen Predigten scheinen die Leute zu begeistern. Denn wer hier auf der Kanzel steht, muss kein Pastor sein. Professoren, Doktoranden oder wissenschaftliche Mitarbeiter können frei zu einem aktuellen oder universellen Thema sprechen – mindestens die Hälfte von ihnen muss einer anderen Fakultät als der Theologischen angehören. Aber auch Politiker wie der ehemalige Präsident des Deutschen Bundestages Wolfgang Thierse, der derzeitige Ministerpräsident Schleswig-Holsteins Thorsten Albig oder der Landtagsabgeordnete Andreas Tietze haben in dieser Kirche schon einmal ihr Wort erklingen lassen. Sowohl die Konfessions- als auch die Religionszugehörigkeit sind dabei nicht relevant. Einen offiziellen Universitätsprediger als Mann für das Drumher – um gibt es dennoch. Andreas Müller, Professor für Kirchengeschichte, füllt dieses Amt, das wiederum von der Uni vergeben wird, seit 2010 aus.

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Nicht Bibelfestigkeit, sondern vor allem das Reflektieren des eigenen Handelns stehen in der Uni-Kirche Kiel im Mittelpunkt.

Und was ist nun mit all den Studenten? Wer sich auf dem Campus kirchlich engagieren möchte, wird im angrenzenden Flachbau gegenüber der Campus Suite -Terrasse fündig. Hier hat die Evangelische Studierendengemeinde (ESG) ihre Räume – und auch eine eigene, hauptamtliche Pastorin. Regine Paschmann kümmert sich um Seelsorge und Unterstützung, das offizielle Semesterprogramm und die Anliegen all derer, die zu ihr kommen. Unabhängig von der Uni findet hier ein eigenes Gemeindeleben statt. Theologiestudenten finden sich jedoch nur wenige. Stattdessen treffen so unterschiedliche Studiengänge wie Ökotrophologie, Jura, Psychologie, Lehramt und Elektrotechnik aufeinander. Eine der Engagierten ist Wiebke Sykulla, die seit Oktober 2013 mit dabei ist: „Bei uns beruht Vieles auf ehrenamtlicher Arbeit. Um alles, was organisiert und erledigt werden muss, kümmern sich die Studierenden auf eigene Initiative hin.“ Sie selbst sei damals durch eine Freundin zur ESG gekommen, die meisten blieben aber bei Veranstaltungen wie dem Semestereröffnungsabend hängen. Gerade wer zu Anfang des Studiums nach Anschluss suche, werde schnell fündig.

Nicht nur Studenten der Universität, auch von der Fachhochschule und Muthesius sind einige dabei. Die Kerngemeinde besteht aus rund 30 Mitgliedern – zwar sind es nach wie vor mehr aktive Frauen, doch die Tendenz der Männer ist steigend. Jeden Mittwoch treffen sie sich zu gemeinsamen Abenden mit Andacht und wechselndem Programm. In der benachbarten Unikirche gestalten sie jedoch nur einen Gottesdienst pro Semester. Trotzdem bleibt viel zu tun. „Wir haben viele Kontakte zum Medizinischen Institut“, erzählt Regine Paschmann. „Ethische Fragen stellen sich überall in der Wissenschaft, in Bereichen wie Anatomie jedoch ganz besonders. Es ist nicht entscheidend, ob die Studierenden mit einem religiösen Blick an die Sache herangehen – Hauptsache, sie denken über ihr Handeln nach.“ Die Universität sei eben nicht nur ein Ort des Wissens sondern auch der Weisheit. Auch die finanzielle Unterstützung von internationalen Studierenden aus Entwicklungsländern liegt der Pastorin besonders am Herzen. Nicht selten wird die Kollekte diesem Zweck gewidmet. Das Kirchenkollegium, das über solche Formalitäten entscheidet, verbindet als Verwaltungsgremium schließlich die drei Komponenten von Universität, Kirche und ESG miteinander. Sicherlich stünde immer die Frage im Raum, ob Religion an einem wissenschaftlichen Ort überhaupt etwas zu suchen habe, betont Paschmann. Das Dreieck als prägende Bauform der Kirche soll Symbol für beides sein – die Trinität genauso wie die Wissenschaft.

Selbst wer keine Affinität zur christlichen Lehre hat – ein Besuch der Kieler Universitätskirche ist auch so lohnenswert. Spätestens bei einem der von der Universitätsorganistin und Allgemeinmedizinerin Dr. Christiane Godt organisierten Semesterkonzerte. Die Resonanz auf die viermal jährlich stattfindenden Musikdarbietungen ist hoch, die Kirche brechend voll. Nur das Lichtspektakel der Morgensonne fehlt dabei ein wenig.

( Foto: Jürgen Haacks / Uni Kiel
Bearbeitung: mt, rb )

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