Von Wegen Lisbeth sind fünf Berliner Jungs Mitte zwanzig, die sich gerade in frischer Aufmerksamkeit als deutsche Indie-Pop-Band sonnen können. Obwohl sich ihre Bekanntheit erst in den letzten Monaten entwickelt hat, musizieren Matze, Doz, Julian, Robert und Julian schon seit der siebten Klasse zusammen. Bereits in der Schule produzierten sie ihr erstes Musikvideo, damals noch unter dem Bandnamen Harry Hurtig, mit Green Screen und Pikachumasken. Es entstand als Kunstprojekt mit dem Namen Als ich erfuhr, dass ich ein Schaf war und wurde selbstverständlich mit einer Eins benotet. „Das war unser visueller Durchbruch!“*, berichtet Bassist Julian. Der große musikalische Durchbruch gelang den Jungs allerdings erst ein wenig später, nach diversen Namens- und Stilmodifikationen, als Von Wegen Lisbeth. Den nach wie vor krassesten medialen Meilenstein ihrer Karriere erlebten sie allerdings als Harry Hurtig bei ihrem ersten Fernsehauftritt im Zibb Sommergarten. Den Hinweis einer älteren Dame, da müsse noch dran gearbeitet werden, nahmen sie sich, nach Überwindung der schmerzhaften Kritik, zu Herzen. Mittels Knickzettel ermittelten sie einen neuen Namen und den ihrer ersten EP Und plötzlich der Lachs. Fast wäre die Benennung andersherum erfolgt, doch als Bandname war Von Wegen Lisbeth dann doch handlicher. Als Vorband begleiteten sie Annenmaykantereit und Element of Crime und gerieten dann mit ihrem Debütalbum Grande selbst in den Fokus.

Grande verdient das in den Namen integrierte Selbstlob tatsächlich. Obwohl ihr Genre das Wort ‚Pop‘ enthält, ist diese Musik durchdacht und selbst bei ‚klassischen‘ Themen wie Mädchen oder Trennungen angenehm kreativ. Die Lieder sind geprägt durch instrumentale Details wie Kinder-Keyboards, ein Megaphon oder einen Wok, musikalisch exquisit und zutiefst tanzbar. Wer durch den instrumentalen Teil noch nicht motiviert und erheitert wird, kann dies bei genauerem Studium der Texte kaum verhindern. Denn die Genialität der Worte, die so charmant und unerwartet aufeinander folgen, ist ein Grund, diese Musik mehr als nur gut zu finden. Metaphern werden verwoben oder provokativ weitergedacht, wie in Becks Ice mit „Warum kommst du eigentlich unter Einfluss eines reichlich süßen Alkopopgetränks auf eine Schnapsidee?“. Dabei werden Verhaltensweisen oder Themen angesprochen, die besonders von Studenten oft gleichzeitig gelebt und belächelt werden. Dies erfolgt in Form von Empörung, unter- bis überschwelliger Kritik, beiläufiger Erwähnung, enthusiastischem Bericht und charmanter Ironie. „Das ist auch spannender als direkt mit dem Finger zu zeigen“ , findet der Sänger, Matze. Manche Sätze ertappen einen selbst und können dem reflektierten Hörer damit einen Spiegel vorhalten.

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Besonders meisterlich werden Andeutungen in Der Untergang des Abendlandes verknüpft – einem unpolitischen Lied über ein politisches Thema, wie sie es nennen. Missstände oder Ängste wie diese „Oh Nein! Was ist, wenn diese Linda von Tinder mich anlügt und eigentlich Kinder will?“ werden als Indikatoren für den Untergang des Abendlandes gewertet. Dass sich die Ängste einiger Deutscher bei Wahlen in AfD-Stimmen manifestierten kritisierten Von Wegen Lisbeth auf Nachfrage nicht mehr indirekt und nannten das Berliner Wahlergebniss „erschütternd“.

Ihre visuelle Karriere wird noch immer selbst vorangetrieben. „Bei den Videos wollten wir uns auch nie reinquatschen lassen“, erklärt Matze. So ist auch das Slow-Motion-Video für den Song Bitch ein gemeinsames Projekt mit vielen Freunden gewesen. Darin joggt ein junger Mensch über einen Platz, auf dem verrückte Dinge passieren, die in Zeitlupe und durch aufwändige Details imposant wirken. „Wir haben zwei Tage lang gedreht, der Take, der in Zeitlupe gezeigt wurde, war am Ende 15 Sekunden lang. Alle hatten voll viel Spaß, die Sektflaschen waren natürlich auch nicht nur Atrappe.“

Eigentlich studieren die Jungs, „gerade aber nicht so viel“. Dass auf einmal viele Menschen bei den Konzerten seien und die Lieder mitsingen, sei ziemlich krass und motiviere auch dazu, sich die Zeit für die Musik und die Tour zum Album zu nehmen. Diese Tour ist bereits die zweite der Band, diesmal allerdings in teilweise ausverkauften, größeren Räumlichkeiten und ohne Minus. Auch in Kiel beehrten sie den fast vollen Orange Club mit ihrem tanzbarem Indie-Pop und vielen Instrumenten. Der Schweiß floss trotz September und der Weigerung des Publikums, die Mosh-Pit-Tauglichkeit der Band zu bemerken.

Es bleibt zu hoffen, dass noch viel mehr raffinierte Worte und Mini-Pianos zugunsten genialer Musik verschlissen werden und die Jungs damit bald wieder Kiel und die Robbenbabys, die sie so mögen, besuchen. Vielleicht erfüllen sie sich dabei dann auch ihr Ziel, wie Kanye West auf einer fliegenden Bühne zu spielen. „Mega geil. Das nächste Mal in Kiel machen wir das. Vielleicht mit ’ner alten Luftmatraze.“

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Bilder: Marian Lenhard

Autor*in

Studiert seit 2013 Psychologie in Kiel, und frönt dem ALBRECHT seit dem Wintersemester 2014/15, von 2015 bis 2017 als Bildredakteurin und von Januar 2017 bis Januar 2018 als stellvertretende Chefredakteurin.

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