von Eva-Lena Stange und Mimke Lena Teichgräber

Pralle Tomaten, glänzende Paprika, frischer Salat und knackige Äpfel: Beim Einkaufen verlocken uns diese gesunden Vitaminbomben zu jeder Jahreszeit und in den verschiedensten Variationen im Supermarkt. Umso besser ist es, dass seit geraumer Zeit auch Gemüse aus ökologischer Landwirtschaft oder fairem Handel bei Supermärkten und sogar Discountern einen Weg ins Sortiment gefunden hat. So scheint es, als könne sich jeder für einen meist geringen Aufpreis ohne viel Aufwand bewusst ernähren. Doch beim zweiten Blick auf die bunte Gemüseauslage springen glänzende Folien ins Auge: Paradoxerweise sind gerade diese ‚umweltfreundlicheren‘ Früchte oft von Plastik umhüllt. Wer nachhaltigen Lebensmittelkonsum betreiben möchte, befindet sich nun in einem Dilemma. Durch den Kauf von Bio-Bananen aus Ecuador wird unnötiger Plastikmüll in die eigene CO2-Bilanz geladen, doch die Alternative ist Gemüse aus konventioneller Landwirtschaft, für dessen Produktion möglicherweise Unmengen giftiger Pestizide und Düngemittel in die schleswig-holsteinische Landschaft gesprüht wurden. Und wie kann der Konsument sicher sein, dass die gekauften Bio-Bananen nicht von unterbezahlten Kindern in der dritten Welt gepflückt worden sind? Diese Fragen treiben die Verwirrung des Konsumenten, der doch eigentlich nur alles richtig machen will, auf die Spitze. Zwar gibt es eine riesige Auswahl an Produkten, doch wirklich alle Aspekte des Umwelt- und Menschenwohls gleichrangig zu behandeln, ist nahezu unmöglich. Sicherheit glauben wir in Logos und Zertifizierungen zu finden. Doch davon gibt es eine Menge. Wie soll sich der Verbraucher zwischen Bio, Fairtrade, CO2-neutral, regional sowie saisonal entscheiden und was steckt hinter diesen Begriffen?

Alles Logo? – Zertifizierung von Lebensmitteln

Mit biologischem Anbau verbinden wir, dass Pflanzen umweltfreundlicher angebaut werden als konventionelle, insbesondere, dass keine Unkraut- und Insektenvernichtungsmittel und wenig künstlich hergestellte Dünger verwendet werden. Dadurch scheint Bio nicht nur besser für die Umwelt zu sein, sondern auch für unseren Körper. Es gibt allerdings verschiedene Bio-Siegel, die in der Strenge dieser Kriterien sehr unterschiedlich sind. Die meisten Bioprodukte in normalen Supermärkten sind mit dem staatlichen Bio-Siegel nach der EU-Öko-Verordnung gekennzeichnet, das auch den Basis-Standard bei Bioprodukten darstellt. Es ist auf allen Arten von Lebensmitteln zu finden, teilweise in der sechseckigen Form und seit 2012 verpflichtend als grünes Blatt aus EU-Sternen. Das kleine grüne Symbol bestätigt, dass das Produkt zu 95 Prozent aus ökologischem Anbau kommt, weniger als ein Prozent gentechnisch veränderte Zutaten enthält und der produzierende Betrieb jährlich kontrolliert wird. Dieser Standard ist weltweit und auch in einigen Ländern Europas nicht so selbstverständlich wie in Deutschland. Anforderungen für den ökologischen Anbau sind unter anderem das Verbot von synthetischen Pestiziden und durchaus umweltschädlichen Kupfersalzen als Unkrautvernichter, ausgenommen sogenannter Pyrethreoide, ein Gruppe Insektizide, die in ähnlicher Form auch in bestimmten Pflanzen natürlich vorkommen. Für Gemüse sind diese beiden Punkte elementar – was den Tierschutz anbelangt, hat das Bio-Siegel noch einige Vorschriften mehr, die allerdings ebenfalls nur das Nötigste abdecken. Mehr Umweltschutz und Tierwohl sowie strengere Grenzen für die Verwendung von Dünger bieten die Siegel der Bioverbände demeter, Bioland oder Naturland, auch wenn sie im Supermarkt nicht allzu häufig zu finden sind. Trotzdem ist das EU-Bio-Siegel ein guter Wegweiser in Richtung bewussten Konsums – zumindest in Anbetracht der Anbautechnik und des Verkaufs im Bioladen. Das Bio-Siegel garantiert jedoch keine sozialen Standards, sodass Bio-Bananen trotzdem von Kinderarbeitern auf Großplantagen gepflückt worden sein können und Bio-Bauern ihre Angestellten selbst in Europa nicht angemessen entlohnen müssen. Leider sind Biolebensmittel im normalen Supermarkt in Plastik verpackt, um Verwechslungen mit den billigeren und in größerer Menge vorhandenen konventionellen Früchten zu verhindern. Wer also bewusst einkaufen will, muss trotzdem in den Bioladen. Der Lohn für den Aufwand: Meistens sind die Bioprodukte dort tatsächlich günstiger als im Supermarkt.

Das Fairtrade-Siegel zertifiziert anders als das Bio-Siegel nicht umweltfreundliche, sondern menschenwürdige Arbeitsbedingungen unter anderem für Produkte wie Kaffee, Schokolade und Bananen. Ähnlich wie beim Bio-Siegel werden Fairtrade-Betriebe in regelmäßigen Zeitabständen kontrolliert. Sie verpflichten sich zur nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung des Produktionslandes beizutragen, in dem zum Beispiel auf kleine Betriebe und Selbstbestimmung der Mitarbeiter sowie eine angemessene Bezahlung geachtet wird. Ein Problem des Fairtrade-Siegels ist, in deutlich größerem Maße als beim Bio-Siegel, dass für die Beantragung für kleine Farmer schwer aufzubringende Geldsummen benötigt werden. Die Zertifizierung ist also eher für große, ausländische Investoren geeignet, die vom Werbeeffekt des Siegels profitieren – beispielsweise Ben & Jerry’s. Obwohl das Engagement dieser Firmen auf keinen Fall in Abrede gestellt werden soll, ist es dennoch wichtig, sich der Begehrtheit des Siegels im Handel bewusst zu sein. Es gilt beim Kauf von vermeintlich zertifizierten Produkten die Augen offen zu halten, denn nicht selten drucken Firmen dem Fairtrade-Siegel zum Verwechseln ähnliche Logos auf ihre Produkte und heben so die Preise an.

Es bleibt die Frage nach der CO2-Neutralität: Hierfür gibt es kein anerkanntes Siegel, aber es gilt im Allgemeinen der bekannte Grundsatz: Je näher und frischer, desto besser. Im Winter sieht das anders aus, da im kalten Deutschland die Gewächshäuser zu dieser Jahreszeit geheizt werden müssen und das im Herbst geerntete Gemüse aufwendig gekühlt wird. Eine Recherche des Bayrischen Rundfunks aus dem Jahr 2013 hat ergeben, dass es sich unter diesen Umständen manchmal sogar lohnt, im Februar und März Äpfel aus Neuseeland statt heimischer Produkte zu kaufen – gegen den Klimawandel. Denn überraschenderweise verursache der Transport per Schiff zu dieser Jahreszeit weniger Treibhausgase als die Lagerung der Herbsternte in Deutschland.

Die Krux mit der Avocado

Anbau, Transport und Verarbeitung von Lebensmitteln unterscheiden sich in ihrem Energie- und Ressourcenaufwand stark. Im Oktober widmete sich DIE ZEIT in drei ihrer großformatigen Seiten der Produktionskette der Avocado und schrieb über die enorme Umweltbelastung durch den Hype um die Frucht. Während ein Kilogramm Tomaten 100 Liter Wasser verbrauche, schlucke ein Kilogramm Avocado 1000 Liter. Die teilweise illegale Rodung riesiger Anbauflächen, ein aufwändiges Heranzüchten der Bäume, Lagerung, Transport und der künstliche Reifeprozess würden Ressourcen und Energie in unverhältnismäßigen Mengen schlucken. Vom Kauf einer Avocado profititeren lediglich Großbauern. Dennoch gilt die Avocado als Superfood, der Wunsch nach Guacamole, wichtigen Nährstoffen und dem Umsetzen der Avocado-Rezeptflut greift in Deutschland um sich und erhob die Frucht zu einem Elementarlebensmittel der ‚bewussten‘ Küche. Dieser Hype wurde und wird durch große Marketingkampagnen vorangetrieben, die Lebensmittel aus dem Nichts zum Muss machen. Als Superfood werden Lebensmittel bezeichnet, die mehr oder bestimmte Nährstoffe enthalten, die dem menschlichen Körper besonders gut tun. Ihren Effekt entfalten sie, wie alles Gesunde, erst bei regelmäßigem Verzehr: Dennoch werden sie kaum als Routinespeisen genutzt, sondern erwecken gerade durch ihre seltene Verwendung den Anschein von Abwechslung und Ausgewogenheit. Dass zum Superfood auch Wildkräuter wie Brennesseln und Löwenzahn gehören, die teilweise am Wegesrand zu finden sind, findet dabei allerdings weniger Beachtung als die exotischeren Exemplare wie Avocado oder Quinoa. Denn obwohl der Konsum von letzteren als bewusste Ernährung gilt, ist aufgrund der massiven Umweltbelastung durch Avocados wohl keinesfalls von bewusstem Konsum zu sprechen.

‚Bewusster‘ Konsum

Die üble Umweltbilanz der Avocado ist dem durchschnittlichen Konsumenten wohl nicht bekannt. Der Einsatz von Pestiziden bei konventionellem Gemüse, das Aussortieren nicht genormter Früchte, die häufige Ausnutzung unterbezahlter Arbeitskräfte und die Umweltbelastung durch Landwirtschaft sollten jedoch durch allgemeine Medien oder bewusstes Informieren den meisten bekannt sein. Dass dennoch weiterhin Unmengen dieser fragwürdigen Produkte gekauft werden, ist eine Diskrepanz, die sich besonders gut in den Zahlen einer Forsa-Umfrage von August 2016 zeigt. Hierbei sagten 94 Prozent der Befragten, Umweltschutz würde die Lebensqualität verbessern, 68 Prozent finden es allerdings schwierig darauf zu achten. Beim Überschreiten der Türschwelle des Supermarktes, scheinen also vorhandene Umweltgedanken zu verschwinden, sodass es 38 Prozent zu anstrengend finden, beim Einkauf auf Umweltsiegel zu achten und 46 Prozent aus Gewohnheit kaufen, was sie schon immer kauften.

Bewusster  zu leben, konsumieren und sich zu ernähren ist also das Ziel vieler Menschen, ‚bewusst‘ definiert dabei jeder anders. Jeder kann dieses Wort seinen eigenen Ansprüchen und Prioritäten anpassen und im selbst gesetzten Rahmen Ziele erreichen. Bei einem so alltäglichen und weitreichenden Aspekt wie Konsum und Ernährung hilft es, sich genau zu informieren und die eigene Definition gegebenenfalls auch um schwerer zu realisierbare Ziele zu erweitern. Wer dabei sowohl die eigene Gesundheit als auch das Befinden der Welt abwägen will, kann sich überfordert fühlen und seine Ziele niedriger ansetzen oder die Herausforderung motiviert annehmen.


Als Anregung werden hier drei Konzepte vorgestellt, die durch Regionalität, Saisonalität, Natürlichkeit und Nachhaltigkeit Alternativen zum konventionellen Lebensmittelkosum darstellen und neben Gewissensbissen, Umweltbelastung zu reduzieren:

Biokiste

Eine Möglichkeit für Experimentierfreudige, sich mit saisonal und regional angebautem Gemüse und Obst zu ernähren, ist das Bio-Kisten-Abo. Dabei liefert ein Bio-Hof oder eine Gemeinschaft aus Höfen in wöchentlichen Abständen Kisten mit Lebensmitteln direkt zu den Kunden nach Hause. Was drin ist, ist jedes Mal eine Überraschung: Auf diese Weise finden auch außergewöhnlichere heimische Früchte den Weg in den Kühlschrank und viele Höfe ergänzen im Winter ihr Lieferangebot durch Ankäufe, sodass nicht nur Kohl auf den Tisch kommen muss. Gleichzeitig ist das Abo nichts für krüsche Genießer oder Stammgäste der Mensa, denn wenn nicht der gesamte Kisteninhalt verbraucht wird und in den Müll wandert, war es das wieder mit der Nachhaltigkeit. Mehr Infos unter anderem auf www.wischhof.com oder naturkostservice.de.

foodsharing

Weltweit werden über eine Milliarde Tonnen Lebensmittel im Jahr weggeworfen. Dies geschieht in der Landwirtschaft durch die Selektion ungenormter Früchte, in Restaurants, wenn nicht alles gegessen oder verwendet wird und in privaten Haushalten. Die ehrenamtliche Inititative foodsharing will der Lebensmittelverschwendung aktiv entgegen wirken. Dies geschieht durch die Bereitstellung von Informationen und durch das Einsammeln und Verteilen von Lebensmitteln, die weggeworfen werden sollen oder nicht verwendet werden können. Dazu kooperieren die Ehrenamtlichen mit Märkten, Bäckereien und anderen Betrieben, um dort noch verwertbare Lebensmittel abzuholen. Über eine Plattform (auch als App verfügbar) können diese und private Lebensmittel angeboten werden, die dann von willigen Weiterverwendern abgeholt und verwertet werden. Auf der Website www.foodsharing.de finden sich außerdem Tipps zur Verarbeitung und Erkennung der Brauchbarkeit abgelaufener oder älterer Lebensmittel, um den eigenen Abfall zu reduzieren.

unverpackt

Als Alternative zu normalen Supermärkten bietet das Kieler Geschäft unverpackt die Möglichkeit des bewussten Konsums auf verschiedenen Ebenen, mit dem Hauptziel der Müllreduzierung. Alle Produkte werden lose verkauft und in selbst mitgebrachte oder vor Ort verfügbare Behältnisse gefüllt. Wo es möglich ist, werden regionale und saisonale Produkte angeboten, importierte Güter sind größtenteils mit dem Fairtrade-Siegel versehen und fast die gesamte Ware ist mit Bio-Siegeln zertifiziert. Als Beitrag gegen die Lebensmittelverschwendung dient zum einen die bedarfsgerechte Portionierung beim Einkauf und zum anderen die Abgabe von Produkten an foodsharing, die das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben. Das unverpackt-Geschäft ist in Kiel im Kronshagener Weg 10 und mittlerweile sogar deutschlandweit zu finden.

Autor*in

Studiert seit 2013 Psychologie in Kiel, und frönt dem ALBRECHT seit dem Wintersemester 2014/15, von 2015 bis 2017 als Bildredakteurin und von Januar 2017 bis Januar 2018 als stellvertretende Chefredakteurin.

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