Die damals 31-jährige Texanerin Clara Bensen lernt auf der Datingseite OkCupid den Wissenschaftler Jeff kennen. Nach einer zweijährigen Existenzkrise, in der die Autorin zeitweise zu ihren Eltern zurückzog und sich ausschließlich von Erdnussbutter-Marmelade-Sandwiches ernährte, findet sie schließlich ihre Lebensfreude wieder. Dieser Umstand scheint auch zu erklären, dass sie sich 2013, wenige Monate nach ihrer Genesung und nach nur einigen Wochen ihrer stürmischen Romanze dazu entscheidet, zusammen mit einem fast Unbekannten eine ungewöhnliche Reise quer durch Europa anzutreten. Der Haken an der Sache ist nämlich: Jeff mag es gerne extrem, also fahren die beiden (fast) ohne Gepäck los. Nur Claras kleine Handtasche mit einigen essentiellen Dingen, wie Wechselunterhose und Pass, darf mit. Startpunkt ist Istanbul, Ziel ist London und dazwischen alles ungewiss. Nicht eine Unterkunft, nicht ein Flug ist im Voraus gebucht, der Zufall ist ständiger Begleiter der zwei Abenteuerlustigen.

Den Lesern von ZEIT ONLINE könnte der Name Clara Bensen bereits bekannt sein. Im Dezember 2013 gab sie der Zeitung ein kurzes Interview zu ihrer Reise. Drei Jahre später, Anfang 2016, wurde die Geschichte nun unter dem Titel No Baggage. Ein Date, drei Wochen, acht Länder – und kein Gepäck veröffentlicht. Auf fast 300 Seiten berichtet sie allerdings nicht ausschließlich von ihrem europäischen Abenteuer, auch ihre persönliche Krise und das Kennenlernen von ihrem Freund werden ausführlich erörtert. Da liegt auch schon der erste Knackpunkt. Die Autorin wird einfach nicht müde zu erzählen, wie toll und total verrückt Jeff sei. Seitenweise schildert sie ihre Dates, seinen leicht schrägen Lebenswandel und all die Details der Beziehung, die niemanden interessieren. Ihr verliebtes Gebrabbel von seinen „mit Blitzen geschmückten Socken“, dem Plan, in einer Mülltonne zu leben und seiner Weigerung ihre Beziehung genau zu benennen, lassen einen irgendwann genervt weiterblättern.

Zusätzlich nimmt die Schilderung der Lebenskrise einen unglaublich großen Teil des Buchs ein. Es ist zwar schön zu sehen, dass sie sich nicht scheut, über ihre psychischen Probleme zu sprechen, am Ende des Buchs hat der Leser aber das Gefühl, Clara Bensens Leidensgeschichte minutiös nacherzählen zu können. Selbst dem geneigten Leser geht bei den ausführlichen Beschreibungen irgendwann die Geduld verloren. Reduziert auf die Geschichten über die eigentliche Reise wäre das Buch um mindestens ein Drittel kürzer.

Auch der Schreibstil der Autorin ist gewöhnungsbedürftig. Einerseits schreibt sie blumig, mit vielen Metaphern und lässt im Kopf des Lesers lebhafte Bilder entstehen. Im Kontrast dazu stehen die Unterhaltungen des nicht-definierten-Liebespaares und Clara Bensens ausführliche Schilderungen zum Tamponwechsel auf einem Marktplatz mitten im kroatischen Dubrovnik. Dieser Mix ist gerade am Anfang anstrengend zu lesen. Eigentlich hat der Leser nach einigen Kapiteln in Gedanken eine feingeistige, junge Frau vor Augen, die selbst von sich sagt, dass sie eine „zurückgezogene Wissenschaftsjournalistin aus einer großen Familie unverbesserlicher Introvertierter“ sei. Das Umgangssprachliche scheint überhaupt nicht zu der Person der Autorin zu passen und wirkt verkrampft.

Dass Clara Bensen eine Vorliebe für die schönen Künste und Philosophie hat, merkt der Leser schnell. Kostprobe gefällig? Allein auf den ersten 130 Seiten werden Shakespeare, Diogenes, Hieronymus Bosch, Dante, Sartre (gleich zweimal), Kierkegaard, Sokrates und Sophokles zitiert oder mindestens erwähnt. Hätte sich die Autorin eher auf die Reise und nicht das geballte Wissen eines geisteswissenschaftlichen Bachelors konzentriert, wäre es unterhaltsamer geworden. Lichtblick sind die letzten 50 Seiten: Clara und Jeff haben sich endlich auf einen Namen für ihre Beziehung geeinigt und die Lebenskrise wurde bereits auf Seite 255 für beendet erklärt.

Fazit: Eigentlich eine super Idee für ein Buch, leider ist nicht drin, was draufsteht.

Autor*in

Rebecca war von 2014 bis 2019 teil der ALBRECHT-Redaktion. In der Zeit hat sie für ein Jahr das Lektorat geleitet und war ein weiteres Jahr die stellvertretende Chefredakteurin.

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