Wenn ich vor ein paar Jahren gefragt worden wäre, ob ich mir – als Frau – vorstellen könnte, etwas mit einer anderen Frau anzufangen, hätte ich diese Frage zu einhundert Prozent verneint. Doch mit der Zeit änderte sich diese Einstellung ein wenig. Vor allem, als ich mir im letzten Jahr die App TikTok runtergeladen habe. Dort landete ich – aus welchen Gründen auch immer – ziemlich schnell in der LGBTQ+-Bubble und bekam überwiegend Videos von Menschen angezeigt, die sich nicht als heterosexuell identifizierten. Und mir eröffnete sich eine vollkommen neue Welt. 

Von aufklärenden Videos, was es mit den verschiedenen Sexualitäten auf sich hat, über meist parodierte „Wie erkenne ich eine Lesbe”-TikToks bis hin zu normalen Tanzvideos, die an sich gar nichts mit LGBTQ+ zu tun haben, außer dass sich die Tänzer:innen dieser Gruppe zuordnen, war alles dabei. Und dann gab es dieses eine Video, welches meine Gedanken auf den Kopf stellte. Eine TikTokerin bekam von ihren Zuschauer:innen oft die Frage, wie sie gemerkt hatte, dass sie auf Frauen stehe und ihre Antwort war sinngemäß diese: „Schaue dir die unterschiedlichsten Frauen an. Und wenn du nur bei einer denkst, dass du sie sehr schön findest und dir mit ihr etwas Sexuelles vorstellen könntest – dann hast du deine Antwort.” 

Die Vielfalt der Gesellschaft  

Wir wachsen in den meisten Fällen in einem heterosexuellen Umfeld auf. Egal, wohin wir schauen, überall sind heterosexuelle Pärchen – im Fernsehen, in Zeitungen, in der Literatur, im Kino. Als ich 14 Jahre alt war, hat sich meine beste Freundin als bisexuell geoutet und ich empfand dies als vollkommen normal, obwohl ich bis dato noch keine andere Sexualität kennengelernt hatte (an dieser Stelle ein Hoch auf unseren grandios aufklärenden Sexualkunde-Unterricht). Ihr Outing war für mich selbst nichts Besonderes. Für mich war sie immer noch meine beste Freundin, die jetzt nur eben nicht mehr nur auf Männer, sondern auch auf Frauen stand.  

Für mich gehörte es spätestens von diesem Zeitpunkt an dazu, dass sich nicht alle Menschen nur von dem jeweils anderen Geschlecht angezogen fühlen. Ich habe jedoch nie meine eigene Sexualität infrage gestellt – bis ich auf TikTok gelandet bin. Gute 23 Jahre meines Lebens konnte ich mit Überzeugung von mir sagen, dass ich heterosexuell bin. Ich habe gelernt, dass es so viele Sexualitäten wie Farben gibt und diese Welt somit viel bunter ist, als ich bislang dachte.  

Bin ich wirklich das, was ich glaube zu sein?

Meine bisherigen sexuellen Erfahrungen habe ich nur mit Männern gemacht und ich befinde mich auch seit einigen Jahren in einer Beziehung. Aber je länger ich darüber nachdenke, desto mehr frage ich mich, ob mir das Geschlecht eines Menschen nicht vollkommen egal ist – solange es eben charakterlich und emotional passt.

Versteht mich nicht falsch, ich möchte meine Beziehung nicht aufgeben oder habe den großen Wunsch, mich noch einmal auszuprobieren. Ich bin glücklich, wie es ist. Aber ich habe einfach das Gefühl, dass „Ich bin heterosexuell“ nicht mehr auf mich zutrifft. Es gibt viel zu viele Frauen dort draußen, die ich auf sexuelle Art unfassbar attraktiv finde. Ich würde sogar wirklich sagen, dass das Geschlecht meines Gegenübers für mich gar keine Rolle spielt. Dennoch stelle ich mir selbst immer wieder die Frage, ob ich für mich sagen kann, dass ich pansexuell bin, wenn ich noch nie bewusst einem Menschen begegnet bin, der sich als non-binary oder genderfluid bezeichnet, geschweige denn sexuelle Erfahrungen mit anderen Geschlechtern gemacht habe.

Pansexuell bedeutet, dass der Mensch an sich geliebt wird, unabhängig seines Geschlechts. In gewisser Weise ist es wie die Bisexualität, nur dass bei der Pansexualität auch die Menschen geliebt werden, die sich weder als Frau noch als Mann identifizieren. Für mich definitiv ein schöner Gedanke. Solange ich mich mit dem Menschen gut verstehe, sollte es doch eigentlich egal sein, wie dieser sich identifiziert, oder? 

Aber genau wie ich mich frage, ob ich mich als pansexuell bezeichnen darf, obwohl ich nur Erfahrungen mit Männern habe, wäre andersrum doch auch die Frage, ob ich mich als Pubertierende als heterosexuell bezeichnen durfte, als ich noch keinerlei Erfahrungen hatte. Ist Sexualität somit nicht etwas, was sozial konstruiert wird? Woher sollte ich mit 14 Jahren wissen, dass es auch etwas anderes als Heterosexualität gibt, wenn ich darüber nie aufgeklärt wurde? Über zehn Jahre später weiß ich nun, dass es mehr als nur das gibt und fühle mich aufgrund meiner fehlenden Erfahrungen etwas verloren, um sagen zu können, welche Sexualität ich genau habe.  

Es ist okay 

Natürlich stellen sich viele vermutlich die Frage, was das Ganze hier soll. Denn ist es nicht egal, wenn ich sowieso in einer Beziehung bin? Vor allem, weil es eine heterosexuelle Beziehung ist und mich deswegen niemand nach meiner sexuellen Orientierung fragen wird? Ja, eigentlich wäre es egal. Aber diese Gesellschaft steckt Menschen gerne in Schubladen. Und wenn ich mich selbst schon keiner Schublade so richtig zuordnen kann, dann falle ich aus dem Schema und fühle mich nirgends zugehörig. Und dieses Gefühl ist kein schönes. 

Ich weiß nicht, ob ich jemals eine endgültige Antwort auf diese Fragen finden werde. Aber ich finde es wichtig, diese Gedanken zu reflektieren. Denn Sexualität ist nichts, was feststehen muss. Die Sexualität zu wechseln oder zu erweitern ist für mich inzwischen etwas Normales. Denn nur, weil ich vor sieben Jahren auf blonde Männer stand, muss es ja nicht für immer so bleiben. Demnach ist es auch nach vielen Jahren vollkommen in Ordnung, die sexuelle Orientierung zu wechseln. Es ist keine ‚Phase‘, wie viele immer sagen, aber Sexualität ist eben auch nichts, das fest in Stein gemeißelt ist. Und vielleicht ist es manchmal auch okay, diese Gedanken gar nicht so genau benennen zu können. Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig, auch meinem Partner nicht. Denn ob ich mich nun als heterosexuell, bisexuell oder pansexuell definiere, ändert nichts an meinen Gefühlen und auch nichts an meiner Beziehung. Ich denke, wir befinden uns auf einer Ebene, auf der solche Fragen durchaus offenbleiben dürfen. Denn eigentlich ist es doch egal, wen ich liebe und lieben könnte.  

Autor*in

Hier schreiben mehrere Autor:innen der ALBRECHT-Redaktion oder Personen, die ihren Text anonym veröffentlichen wollen.

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