Nach dem Feiern kommt der Hunger. Das ist eines der vielen ungeschriebenen Gesetze des Nachtlebens. Der Heißhunger ist eine Art Occupy-Bewegung der Partynacht. Mit 99- prozentiger Gewissheit steht er plötzlich vor der Tür und macht mit Nachdruck auf sein Anliegen aufmerksam.

Kaum etwas in Kiel verkörpert das Gegenmittel für die nächtlichen Hungerattacken dabei so sehr wie der Imbiss, der bereits in seinem Namen alles trägt was einen ausgemergelten Nachtschwärmer interessiert: „Hunger und Durst“.  Nicht erst seit dem Umzug von der Wilhelminenstraße direkt ins Zentrum des Kieler Partyberges ist es für Viele das Nonplusultra der Erfüllung nächtlicher kulinarischer Gelüste. Doch es brodelt nicht nur in der Fast-Food-Küche, sondern auch bei den Gerüchten- Besitzer Norbi sei NPD-Mitglied, wird auf dem CAU-Campus gemunkelt. Auf direkte Nachfrage sagt er: „Das ist absolut dummes Zeug“.

Das alles ist Grund genug für zwei angstfreie Albrecht-Journalisten in einem Selbstversuch dem Mythos einmal näher auf den Grund zu gehen.

0.00 Uhr

Das Leben in der Bergstraße pulsiert bereits, im „Hunger und Durst“ ist dagegen noch eher Dorfkneipenstimmung angesagt. „Richtig voll wird es hier erst zwischen vier und fünf“, erklärt Bernd. Der 40-Jährige arbeitet bereits seit 15 Jahren in dem Imbiss – immer in der Nachtschicht. Sein Chef „Norbi“ ist sogar schon seit 1992 da. Das Ambiente versprüht den Charme eines amerikanischen Burgerladens, zumindest in der Vorstellung eines durchschnittlichen Mitteleuropäers. Merkwürdig gedimmtes Licht im Sitzbereich verleiht dem Lokal zusätzlich eine leicht verruchte Note. „Basti“, der Junior vom Chef  hat als einziger schon ordentlich was zu tun: Er brät auf Vorrat. Modisch ist das mit Ketchup beckleckerte T-Shirt allerdings eher fragwürdig. Karl Lagerfeld scheint hier eher selten auf eine Cola Light vorbeizuschauen. Aus der Jukebox in dem überraschend sauberen Laden tönen deutsche Schlager. Ein vielversprechender erster Eindruck.

1:00 Uhr

Eine Stunde später betreten wir den Imbiss erneut. Jetzt lernen wir auch Chef Norbi, in Bowling-Shirt im Charlie- Sheen- Style und Jogging- Hose, kennen. Vermutlich würde sich hier nicht mal das sprechende Kik-T-Shirt seine abendliche Portion Crystal Meth in den Apfelsaft mischen. In unseren kunstlederbezogenen Sesseln fühlen wir uns wie vorm Fernseher. Es läuft: „Die Ludolfs – 4 Brüder im Imbiss“. Fehlt nur noch eine original 50er- Jahre- Tapete und ein Telefon hinter der Theke. Die beängstigend bildhafte Ludolf- Analogie beginnt unsere Fantasie zu beherrschen. Durchbrochen wird das Kopfkino nur gelegentlich durch besondere Meilensteine der deutschen Schlagergeschichte. Wir bestellen uns noch ein gut gekühltes Bier. Dann gönnen wir auch unseren Ohren etwas Gutes: Tanzpause im Luna.

2:00 Uhr

Zurück im „Hunger und Durst“. Mittlerweile darf Celine Dion, begleitet von billigen Plastikbeats, ihr Können unter Beweis stellen. Aber auch an der Theke tut sich Erschütterndes:  Ein Pärchen ist heftig am Knutschen. Die Frau ist gute 20 Jahre jünger als ihr Begleiter. Wie macht der das nur? Ob sie die von Norbi geschnippelten Burgerzwiebeln austauschen? Man will nicht alles wissen. Als der lüsterne Greis kurz in Richtung Toilette aufbricht, wird die Verfolgung aufgenommen. Eventuell gibt er ja in gelöster Atmosphäre ein paar Geheimnisse preis? Naja. Fazit der Unterhaltung: „Die Qualität eines Restaurant erkennt man an den Toiletten“. Parallel zu den Zweifeln an der eigenen Interviewtechnik steigt auch die Angst vor dem bevorstehenden Burgertest. Verständlich, wenn das Männer- WC von der erbrochenen Mahlzeit eines Gastes geziert wird. Wir müssen hier raus – erneut heißt es: Sorgen wegtanzen im Luna!

3:00 Uhr

Zurück auf dem Stammplatz. An der Bar wird immer noch geknutscht. „Entweder hat er Geld oder er ist extrem lustig“, vermutet Jan. Wir einigen uns darauf, dass er Geld hat. Bei einem weiteren Bier stellen wir fest, dass mittlerweile schon etwas mehr los ist. Zudem ist das Klo nun frei von Erbrochenem. Vorbildlich. Euphorisiert durch derart gute Nachrichten gönnen wir uns etwas frische Luft. Sofort fällt uns eine Gruppe Leute ins Auge, die mit Bratnudeln und Döner die Bergstraße entlang flanieren. Verräter!

4:30 Uhr

Es wird Zeit, die Angst zu besiegen. Zeit für den ultimativen Test. Zeit, Burger zu bestellen. Das ungleiche Paar ist nicht mehr aufzufinden. Dafür füllt sich das Lokal spürbar. Aber es ist längst noch kein Vergleich zum Sardinendosenfeeling im alten, kleineren „Hunger und Durst“. Kurze Zeit später ziehen wir uns endlich mit zwei frischbelegten Cheeseburgern und einer Pommes in eine ruhige Ecke zurück. Es schmeckt fantastisch! Genau das, was unser Heißhunger jetzt braucht. Die Ökotrophologin neben uns bewertet ihren Hot Dog fachmännisch: „Besser als IKEA“. Die Einwände einer Freundin –„so lecker ist der nicht!“ und „ihr würdet im Moment alles essen!“– werden kopfschüttelnd ignoriert. Lächerlich!

5:00 Uhr

Die investigative und selbstlose journalistische Arbeit fordert ihren Tribut und eine weitere Gesetzmäßigkeit der Nacht tritt in Kraft. Nach dem Appetit kommt die Müdigkeit. Mit einer seltsamen Mischung aus Erleichterung und Wehmut verlassen wir den Imbiss. Nur eine Frage bleibt noch offiziell zu klären: Welcher kreative Gedanke steckt hinter dem Namen „Hunger und Durst“? „Dann weißte halt, was dich drinne erwartet“,  sagt Basti und schüttelt den Kopf über die Sinnlosigkeit dieser Erkundigung. Einfache Frage, einfache Antwort. Noch so ein ungeschriebenes Gesetz einer Partynacht.

Foto: Thommy Weiss / pixelio.de

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