Als Daniel sechs Jahre alt war, erkrankte sein Vater an Multipler Sklerose und sitzt seitdem im Rollstuhl. Während seiner Kindheit kümmerten sich seine Mutter und seine Geschwister um seinen Vater. Nun ist Daniel 26 und hat die Rolle des Pflegers übernommen. Neben seinem Studium kümmert er sich vorwiegend an den Wochenenden um seinen Vater, hilft im Haushalt, macht Touren mit dem Auto. Im Interview spricht er über seinen ehrgeizigen Vater, die Endstation Pflegeheim und Leute, die helfen wollen.

DER ALBRECHT: Wird dein Studium durch die Pflege deines Vaters erschwert?

Daniel: Mein Studium erschwert es nicht direkt, nein. In der Schulzeit hatte ich freitags immer frei, damit ich ins Krankenhaus fahren konnte, weil es jede Woche der letzte Besuch hätte sein können. Das war richtig krass. Jetzt ist die Medikation aber so gut eingestellt, dass ich das gut hinbekomme. Als Student sage ich natürlich: „Hey, ich habe Zeit“, und dann nutze ich auch mal eine Fehlzeit oder mache den Kurs notfalls nächstes Semester. Das ist dann so, aber Familie geht für mich vor.

Im Internet habe ich von extremen Fällen gelesen, in denen die Pflege ähnlich viel Zeit einnimmt, wie das Studium. Den Studierenden raubt das dann oft viel Zeit und Aufmerksamkeit oder?

Bei mir ist das natürlich weniger. Mein Vater sitzt im Rollstuhl, aber ist noch relativ selbständig. Außerdem hilft mein Studium mir dabei, meinem Vater zu helfen. Ich studiere Englisch und Sport, und da ist er sehr interessiert. Er will zum Beispiel seine Muskeln wieder trainieren, oder fragt mich bei Kopfschmerzen: „Das kommt aus dieser Region, wie kriege ich das weg?“. Dann kann ich ihm sagen, woher das kommt und was er auf keinen Fall machen sollte, damit er zum Beispiel eine Streckspastik verhindern kann.

Ist eine Verbesserung oder Verschlechterung seines Zustandes absehbar?

Es geht immer wieder nach vorne, und dann wieder zurück auf null. Besonders im Sommer sorgt die Hitze dafür, dass die Muskeln entspannter sind. Dann kann er auch im Stehen viel machen. Irgendwann schiebt er mich beiseite und geht fünfzig Meter. Gerne übertreibt er es natürlich, dann ist er erstmal für einen Tag erschöpft. Wenn er es besonders übertreibt, und es dann zu einer sogenannten Streckspastik kommt, dann ist der ganze Fortschritt weg und er fängt wieder bei null an. Aber ins Negative zurück geht es nicht. Dafür sorgt auch die Medikation.

Was wäre, wenn dein Vater ins Pflegeheim müsste?

In einem Pflegeheim zu landen, ist der schlimmste Albtraum meines Vaters. Er mag sein Zuhause, ist ein Familienmensch und er mag es gar nicht, wenn man ihm unter die Arme greifen muss. Da ist es wahrscheinlicher, dass eine Pflegekraft regelmäßig kommt oder ich in die Nähe ziehe. Das müsste ich natürlich mit meiner Freundin absprechen, und da wird das Ganze unglaublich kompliziert.

Wie planst du deine Zukunft?

Zukunftspläne muss man immer anpassen. Ich würde niemals aus Schleswig-Holstein wegziehen, ich würde niemals ins Ausland ziehen. Das würde ich vielleicht gerne machen, aber ich will nicht weg von meinen Eltern.

Was für Hilfen werden von welchen Seiten geboten?

Meine Eltern wohnen in einem kleinen Fünfhundert-Seelen-Dorf, da kennt jeder jeden. Man ist gut vernetzt und so kommt die meiste Hilfe von Freunden und Nachbarn. Wir haben ein Haus mit drei Stockwerken, deshalb hat mein Vater zum Beispiel einen Treppenlift. Der hat ewig gesponnen, und die Krankenkasse hat niemanden zur Reparatur geschickt. Das hat letztlich ein Nachbar gemacht. Es hat auch ewig gedauert, bis er einen neuen, längst überfälligen Rollstuhl bekommen hat. Die Krankenkassen haben nichts zu verschenken. Das können wir zehnmal lieb versuchen, dann schickt meine Mutter einen bösen Brief. Irgendwann müssen wir böse werden, das haben wir leider gelernt. Und ich werde nicht gerne böse. Ich denke, es kann letztlich niemand etwas dafür, dass beispielsweise etwas im Ablauf schiefgeht. Außerdem geben die Krankenkassen in der Regel nur anderen Leuten das Geld, so wie beispielsweise Handwerkern. Und diese Leute sind immer super nett. Wenn die neben ihrem Auftrag noch irgendwas Anderes zu reparieren sehen, dann sagen die gleich: „Okay, ich mach das.“ Die Leute wollen nur helfen.

Würdest du sagen, es gibt zu wenig Aufmerksamkeit für das Thema?

Es fällt natürlich umso stärker auf, je mehr Betroffene es gibt. Man kann nicht jemanden dafür verurteilen, dass er oder sie sich nicht damit beschäftigt, wenn er oder sie selbst diese Situation nicht kennt. Krankenkassen müssen sich darum kümmern und die Pflege ebenfalls.

Vielen Dank für das Gespräch!

Autor*in

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