Nachdem der bisherige Amtsinhaber Torsten Albig zum Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein gewählt worden ist, braucht das Kieler Rathaus einen neuen Oberbürgermeister. Auf ihn wartet ein breites Aufgabenspektrum. Neben profanen Verwaltungsaufgaben und Personalbesetzungen fällt dabei vor allem seine Zusammenarbeit mit der Ratsversammlung und deren Ausschüssen ins Gewicht. Der Oberbürgermeister hat ihnen gegenüber eine Initiativfunktion. Er bereitet die Beschlüsse vor, führt diese dann aus und berichtet regelmäßig dem Hauptausschuss. Im Rat herrscht zur Zeit eine Mehrheit von SPD, Grünen und SSW vor, doch schon im Frühjahr 2013 stehen auch hier wieder Kommunalwahlen an. Kiels Exekutive wird also in den kommenden Monaten neu geordnet werden.

Wer dabei die meisten Stimmen für sich mobilisieren kann hängt natürlich von den Kandidaten ab und dem Programm, für das sie stehen. Dabei stellen sich insgesamt fünf Personen zur Wahl, von denen hier aber die zwei Unabhängigen Jan Barg und Matthias Cravan aufgrund ihrer eher mäßigen Erfolgschancen ausgespart bleiben. Gert Meyer, ein Diplom-Betriebswirt und ehemaliger Finanzdezernent Kiels, tritt als CDU-Kandidat auf. Für die SPD tut dies Susanne Gaschke, eine Journalistin von der ZEIT, und die Grünen kandidieren mit ihrem Landtagsabgeordneten und Sozialökonomen Andreas Tietze. Auch wer jetzt schon meint nach den Parteizugehörigkeiten entschieden zu haben, sollte sich doch den persönlichen und politischen Profilen aller Kandidaten nicht verschließen. Diese ergeben sich aus den umstrittenen Sachthemen.

Und hier bietet sich dem Wähler zunächst eine alte Gewohnheit der Politik dar, die sich daraus ergibt, dass man als Leiter einer Stadtverwaltung und ihrer gesamten Einwohnerschaft ohne einen gewissen Pragmatismus des Unumgänglichen seiner Verantwortung nicht gerecht werden würde. Deshalb sind alle drei Partei-Kandidaten auch für eine bessere kommunale Finanzierung durch den Bund, den Ausbau der Wohnungen, ein ausreichendes Angebot an Kitas sowie einem Zentralbad, für Innenstadtattraktivität und die Erschließung weiterer Gewerbeflächen, zum Beispiel auf dem Holtenauer Flughafengelände. Entscheidend sind hierbei nun sowohl die Prioritätenverteilungen und die damit verbundenen realistischen Ausmaße der Implementationen, wie auch die eigenen Akzente. Und hier stehen sich ausschlaggebend entgegen der langfristige Haushälter Meyer und die Großprojekte Gaschkes und Tietzes.

Der CDU-Kandidat war bis März diesen Jahres Kämmerer im Stadtrat und ist mit der ernüchternden Haushaltslage vertraut. Zuletzt war man unter anderem wegen starker Gewerbesteuereinbrüche mit 88 Mill. € im Minus, womit die Gesamtverschuldung Kiels inzwischen bei über 400 Mill. € liegt, solange man die hochverzinsten kurzfristigen Kassenkredite in etwa selbigem Volumen nicht mitzählt. Diese Summe steht den schon vor Erhalt weitgehend sicher verplanten 750 Mill. € an jährlichen Steuereinnahmen entgegen. Da man Kiel aber nicht tot sparen kann lautet das Motto von Meyer: Leisten was möglich ist!

Dass der Kieler Haushalt auch früher schon unter beiden großen Parteien „ausgewrungen“ worden ist, will Frau Gaschke nicht vergessen wissen. Sie hat sich in die Lage der Kommunalpolitik eingearbeitet. Neben einer Ausweitung der Leseförderung für Kinder tritt sie vor allem und ebenso wie der dabei auch ökologisch motivierte Grünenkandidat hervor mit der Befürwortung des Baus einer Stadtregionalbahn, sowie dem sogenannten „Kleinen Kiel Kanal“. Erstere soll angesichts oft überfüllter Busse das Angebot im Öffentlichen Personennahverkehr ausweiten und zudem als Alternative zum Privatverkehr dienen. Es ist eine ebenso alte wie an sich befürwortenswerte Idee. Logischerweise liegt der Knackpunkt in der Diskussion bei den Kosten. Diesbezüglich betont Tietze immer wieder vehement die umfangreichen Zuschüsse, die ein solches Projekt von Land, Bund und EU erhalten würde. An die 225 Mill. € sollen dadurch zusammenkommen – gutes Geld, dass er „nicht auf der Straße liegen lassen will“. Und auch Gaschke unterstreicht, dass die Stadtregionalbahn nicht ohne externe Hilfen finanzierbar sei, welche aber auch nur bei vorgelegten Planungen zu erwarten wären. Über das Angehen dieses Vorhabens möchte sie inzwischen per Bürgerentscheid bestimmen lassen.

Sicher ist: niemand spendiert Kiel ein solches Projekt. Es würde eine erhebliche Eigeninvestition erforderlich machen. Meyer zufolge seien auch bei vollen Zuschüssen um die 150 Mill. € von der Stadt selbst aufzubringen; auf verzinsten Kredit und ohne Einbezug der Betriebs- und Erhaltungskosten. Und das während der Sanierungsstau allein bei den Schulen mit 120 Mill. € datiert ist. Diesen langfristig abzuarbeiten, auch bei Kitas und Sportplätzen, zieht der Kandidat den beiden Großprojekten klar vor. Ganz besonders dem ebenfalls millionenschweren „Kleinen Kiel Kanal“, der als unverbundenes Wasserbecken zwischen dem Kleinen Kiel und dem Kreisverkehr vorm Bootshafen zur Stadtästhetik beitragen soll.

Hinter diese Debatte darf aber zuletzt nicht zurücktreten, dass sich ein Oberbürgermeister in erster Linie nicht als Projektmanager auszeichnet, sondern als Repräsentant, dem wir die Organisation und Verantwortung gegenüber einer Stadtverwaltung übergeben, die in vielen alltäglichen Dienstleistungen oft unbemerkt unsere Lebensumstände beeiflussen. Wie zum Beispiel über die Müllent- und Stromversorgung, ehrenamtliche Einrichtungen oder Straßen- und Parkpflege. Jeder muss für sich wissen, welcher der besagten Personen er am ehesten das Vertrauen entgegen bringt, diese Aufgaben solide handhaben zu können. Und wer von sich nicht glaubt, Mentalitäten anhand der Breite eines plakatierten Lächelns einschätzen zu können, sollte die Chancen wahrnehmen entweder am 22. Oktober die Kandidaten in der Halle400 selbst reden zu hören, oder sich Videos zu vorigen Podiumsdiskussionen anzuschauen. Nach obigen Ausführungen kommt nun zumindest für Nichtwähler nicht mehr die Ausrede in Frage, dass Kommunalwahlen und erst recht Personenwahlen unbedeutend seien und auf eigene Angelegenheiten keinen prägenden Einfluss nähmen. Es müssten jene schon zugeben, dass sie sich keinen Tag des Informierens und Urnengangs leisten wollten, um über die Prioritäten der künftigen Entwicklung Kiels in den nächsten fünf Jahren mitentscheiden zu können. Und da wir als Unizeitung auch besonders Studenten ansprechen, soll noch folgendes erwähnt werden: Sofern ihr euch aus Bequemlichkeit noch nicht in Kiel angemeldet habt, vergebt ihr nicht nur eure Wahlmöglichkeit (sowie es auch zwei Drittel aller anderen Kieler bei der letzten Wahl freiwillig taten), sondern kostet den städtischen Haushalt dazu noch 1.000 € im Jahr, die er nämlich pro Einwohner und per Schlüsselzuweisung vom Land sonst erhielte. Ich hoffe also am 28. Oktober, sowie im Falle einer Stichwahl auch am 11. November, auf eure direktdemokratische Teilhabe und möglichst volle Wahllokale.

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