Wir leben in Zeiten des Überflusses. Jedes Jahr ein neuer Star Wars Film, ein neues Werk aus dem Marvel Cinematic Universe, ein neuer amerikanischer Kriegsfilm, einer über Minderheiten, ein paar romantische Komödien und Til Schweiger oder Matthias Schweighöfer bringen auch wieder etwas ins Kino. Das Angebot wächst, die Preise sinken. Dank Netflix und Co sind – mit bedauerlichen Ausnahmen wie Rossini – alle Filme, die das Herz begehrt, als Scheibe oder Stream verfügbar. Mit 735 anlaufenden Filmen legten die USA und Kanada letztes Jahr die Messlatte so hoch wie nie zuvor (2013: 689 Kinostarts; 2010: 536 Kinostarts; 2007: 631 Kinostarts).

Trotz um mehr als zehn Prozent angestiegener Einnahmen, ist die Zukunft für Kinobetreiber nicht rosig. Zwischen kino-eigenem Vorabspielrecht und On-Demand-Ausstrahlung liegt in den Vereinigten Staaten nur noch eine Frist von 90 Tagen. Sogar das Privileg, Filme zuerst zeigen zu dürfen, könnte den Kinos seitens der Produktionsfirmen bald nicht mehr gewährt werden. Die Konkurrenz zwischen Kinos und Streaming-Plattformen zeigte sich wohl selten so deutlich wie bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes. Erstmals waren zwei Netflix-Produktionen aus der Hand von etablierten Kinoregisseuren im Feld vertreten: Okja von Bong Joon Ho (The Host) und The Meyerowitz Stories von Noah Baumbach (The Squid and The Whale, Frances Ha). Für 2018 dürfen allerdings nur Filme am Wettbewerb teilnehmen, die auch in französischen Kinos gezeigt wurden. Das mitteleuropäische Land scheint allgemein auf Kriegsfuß mit Streaming-Diensten – per Gesetz soll eine dreijährige Frist zwischen Kinolauf und Streaming-Verfügbarkeit verfügt werden.

Der Wettbewerb an sich ist, Vertrauen in die Volksökonomen vorausgesetzt, kein Übel. Die Vergleichbarkeit von Kinos und Streaming-Plattformen gestaltet sich jedoch schwierig: Kinos benötigen ohne Abonnenten stete Besucherzahlen, Heimkinos haben dafür technische Nachteile. Die seit einigen Jahren zu beobachtende Tendenz der Filmindustrie, immer mehr mediokre Filme auf den Markt zu bringen und somit die Qualität zu verwässern, ist dem Geschäftszweig Kino nicht gerade zuträglich. Sie schafft einen Wettbewerbsvorteil der Internetdienste. Anstatt sich von den On-Demand-Anbietern durch qualitative Filme abzugrenzen, kopieren Kinofilme offensichtlich deren Formate und Vorgehen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Filmförderungspolitik, Reproduktion durch Filmhochschulen oder das Schweiger-Schweighöfer-Syndrom. Viele Filme arbeiten aber immer noch mit dem gleichen, altbekannten Gerüst; weicht ein Plot vom ‚sicheren‘, bekannten und funktionierenden System ab, hat er es schwer, überhaupt einen Kinostart zu erhalten.

Damit ist nicht gemeint, dass gar keine künstlerisch oder gesellschaftlich wertvollen Filme in den Lichtspielhäusern laufen, im Gegenteil. In Deutschland entsteht seit einiger Zeit eine kreative Opposition zum traditionellen Historien- und Ostalgiefilm. Der Nachtmahr von Achim Bornhak, Wild von Nicolette Krebitz oder Toni Erdmann von Maren Ade sind nur drei Beispiele für tolles Genre-Kino aus Deutschland. Im internationalen Bereich produziert Denis Villeneuve mit Arrival sogar im Blockbuster-Format einen guten Film, Nicolas Winding Refn bleibt seiner Linie treu und dreht nach dem Erfolg von Drive keine Fortsetzung, sondern einen Box-Film in Thailand, und Dan Kwan sowie Daniel Scheinert schaffen mit Swiss Army Man den wohl schönsten und gleichzeitig verstörtesten Film des letzten Jahres.

Nichtsdestoweniger belegen vermehrt nationale sowie internationale Film-Franchises, mit ausgedehnten und reproduzierten Plots, die vor zehn Jahren eher direkt auf DVD erschienen wären sowie technologisch aufgehübschte, für die Sehgewohnheiten einer neuen Generation von Zuschauern konzipierte, Remakes von The Jungle Book und Beauty and the Beast, die Kinosäle. Diese Bürde tragen nicht ausschließlich Blockbuster, große Namen der Kinogeschichte wie Woody Allen (Café Society 2016, Irrational Man 2015, Magic in the Moonlight 2014) oder Tim Burton (Miss Peregrine‘s Home for Peculiar Children 2016, Big Eyes 2014, Frankenweenie 2012) haben in den vergangenen Jahren regelmäßig jedoch nur noch mittelmäßige Filme veröffentlicht. Dadurch reduzieren sie den Kinobesuch zu einem kurzweiligen, auf Schauwerten basierenden Event. Das Gesehene verfügt im besten Fall über einen oberflächlichen Bezug zum aktuellen Zeitgeschehen. Richtig gut und bedeutungsvoll wird Kino doch aber erst, wenn nicht die Vergangenheit oder Gegenwart verarbeitet, sondern in die Zukunft geschaut wird. Charles Chaplin hat die Geschichte zu The Great Dictator vor dem Zweiten Weltkrieg geschrieben, Spike Jonzes Her greift unserer Realität schlüssig ein, zwei Jahrzehnte vor.

Einspielergebnisse korrelieren nicht generell mit der Qualität von Filmen oder Kritikermeinungen. Transformers: Age of Extinction (Platz 1, Kinocharts 2014) oder Pirates of the Caribbean: Dead Man‘s Chest/Pirates of the Caribbean: At World‘s End (Platz 1, 2006/07) werden niemals als herausragende Werke in die Filmgeschichte eingehen, doch gemessen an den Einspielergebnissen sind die Franchises erstklassig. Polemisch kann behauptet werden, Filme eignen sich entweder für ein Festival- oder Mainstream-Publikum. Darin liegt die Krux. Ein Werk kann und sollte nicht jedem gefallen. Nachdem Steven Spielberg und George Lucas in den 1970er Jahren die Polarität von Blockbuster- und Low-Budget-Filmen so weit auseinanderzerrten, haben sie ein unersättliches ‚Monster‘ erschaffen. Mittlerweile ist die Produktion von Blockbuster-Filmen so aufwendig und kostspielig, dass die Filme ein größtmögliches Publikum ansprechen müssen, um die Kosten wieder einzuspielen. Beispielhaft dafür ist Star Wars: Episode VII – The Force Awakens zu nennen: Hierbei handelt es sich um einen fast perfekt austarierten Film zwischen Fanservice, Erwartungen und gerade so viel Neuem, dass es niemanden erzürnt. Aber bis auf schöne Bilder und Nostalgie bieten diese Filme keinen Mehrwert.

Schlechte Filme haben schon immer existiert und werden es auch immer tun. Katherine Heigl und Seth Rogen setzen sich noch nicht zur Ruhe. Manchmal ist Schrott auch schön, wird zum Kulterfolg wie The Room. Die Spitzen aber gehen verloren, wenn die Schwemme der Mittelklassigkeit anhält. Wer die Hobbit-Trilogie ertragen hat, sollte sich seelisch besser auf die Silmarillion-Heptalogie vorbereiten, wenn The Last Jedi nicht zündet, bleibt immerhin noch das Hoffen auf Alden Ehrenreich als Han Solo. „Would that it were so simple!“

Das Kino als Kulturgut wird sich, wie die Musikindustrie, an den Zeitgeist und die Digitalisierung anpassen müssen. Qualität hat Vinyl zur Wiederauferstehung verholfen, der Filmindustrie darf Ähnliches gewünscht werden, momentan überwiegen aber Filme auf Nickelback-Niveau – gut genug, um ihren Job zu machen, aber keinen Deut besser als absolut notwendig.


Bilquelle: Denis Billi/flickr.com

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