Kinokatze-Redakteur Marc durfte Regisseur Sobo Swobodnik und Sexarbeiterin Lena Morgenroth auf ihrer Kino-Tour zum Film SEXarbeiterin im Traum-Kino treffen. Ein eigentlich halbstündig geplantes Interview entwickelte sich zu einem abendfüllenden Gespräch über den Film, die Gesellschaft und ganz Privates.

DER ALBRECHT: Herr Swobodnik, Ihre Dokumentationen handeln von Menschen, die sich außerhalb der gesellschaftlichen Konventionen befinden, wonach suchen Sie diese aus?

Sobo Swobodnik: Ich habe ein Interesse am Leben welches sich neben den gesellschaftlichen Konventionen abspielt, weil auch mein Leben im Prinzip neben den gesellschaftlichen Konventionen Zuhause ist. Im Endeffekt gibt es da eine Verbindung, wie man in dieser Gesellschaft, die eigentlich nicht zum Glück einlädt, mit all seinen Vorbehalten glücklich werden kann. Es gibt viele Menschen, die ihren eigenen Weg auf unkonventionelle Weise gehen und das interessiert mich. Ob das jetzt Hermes Phettberg ist, der aufgrund seines Aussehens, seiner politischen Haltung und sexuellen Präferenzen einfach jenseits von Gut und Böse angesiedelt ist, oder ob es die Jungs von Unplugged: Leben Guaia Guaia sind. Mit Anfang zwanzig sind die beiden Jungs voller Illusionen, die von einem selbstbestimmten und freien Leben jenseits dieses entfesselten Kapitalismus suchen. Oder ob es die Sexarbeiterin Lena Morgenroth ist, die eigentlich alles hat, was die Gesellschaft propagiert.

Um Sexarbeiterin fertigzustellen haben Sie eine Crowdfunding Aktion gestartet. Wie viel Geld brauchten Sie und welche finanziellen Mittel standen Ihnen zur Verfügung?

Sobo Swobodnik: Wir beuten uns selbst aus. Die, die sich im weiteren Umfeld befinden bekommen Geld. Ich verfüge über ein Netzwerk von Leuten, die ihr Geld in der Filmbranche auf professionelle Weise verdienen und nebenbei – aus idealistischer Hinsicht und weil sie Lust haben, für wenig Geld interessante Filme zu machen – für mich arbeiten. Natürlich erhalten sie nicht die tariflich festgeschriebenen Lohnhöhen, sondern viel, viel weniger – aber sie bekommen etwas. Die gesamte Postproduktion kostete ungefähr 10 000 Euro. Darin inbegriffen sind der Schnitt, Farbkorrektur, Tonmischung, Studio anmieten und andere Dinge. Normalerweise bezahle ich das selbst, aber dieses Mal haben wir gedacht, ok, da das ein Thema ist, welches eine gewisse Community abdeckt, könnten wir versuchen, die Postproduktion über die Crowd zu finanzieren. Das war der erste Beweggrund, der andere war, die sexuellen und erotischen Dienstleitungen eben auch selbst angeboten zu haben. Jedoch nicht um über andere viel Geld zu generieren – es war uns klar, dass das so nicht funktioniert – sondern, um auf diese Art in die ‚Erfahrungswelt Sexarbeit‘ einzutauschen. Das war wichtig und gut für uns.

Wann haben Sie mit der Aktion begonnen, vor oder nach dem Dreh?

Sobo Swobodnik: Wir haben an einem Workshop teilgenommen, der war vor dem Dreh.

Lena Morgenroth: Der war vor dem ersten Drehtag. Der Auftakt der Dreharbeiten sozusagen.

Sobo Swobodnik: Es war für uns klar, dass wir den Workshop machen, um uns selbst zu massieren und Erfahrungswerte zu sammeln.

Die Presse kritisiert, Ihr Film sei einseitig. Was sagen Sie dazu?

Sobo Swobodnik: Natürlich ist er einseitig, er zeigt nur eine Facette, einen subjektiven Blick, einen kleinen Ausschnitt auf die Sexarbeit, doch das finde ich eigentlich das Geile daran und zudem eine Stärke des Kinos. Kino kann es sich erlauben, nicht objektiv und ausgewogen zu sein, im Gegensatz zum Journalismus. Während der Recherche habe ich festgestellt, dass die Sexarbeit so heterogen ist, wie ihre Kunden. Die sexuellen Präferenzen und Spielarten sind so mannigfaltig, es gibt nichts, was es nicht gibt. Von Domina bis ganz normal rein raus, von Blowjob bis Fetischismus ist alles dabei. Wen wir alles kennengelernt haben, von ganz Dicken bis zu ganz Alten, alle machen ihr Geschäft. Offenbar gibt es ein Bedürfnis danach. Um diese Ausgewogenheit darzustellen hätte ich fünfzig, achtzig oder ich weiß nicht wie viele Sexarbeiterinnen in ihren unterschiedlichen Arbeitsformen zeigen müssen. Bei einem 90 minütigen Film hätte jede eine Minute Screen Time bekommen, das wäre dann ein völlig anderer Film geworden und darüber hinaus total oberflächig.
Eine andere schöne Sache am Kino ist, dass du dich darauf einlassen musst, denn du hast eine Verabredung für 90 Minuten. Wenn die Tür zugeht, kannst du 90 Minuten an dem anderen Leben teilhaben. Dabei musst du es gar nicht teilen oder gut finden, aber du hast die Möglichkeit, eine sozusagen verdichtete Wirklichkeit wahrzunehmen. Der Dokumentarfilm zeigt per se nicht die Wirklichkeit, sondern eine komprimierte Wirklichkeit. Wir haben 100 Stunden Material gedreht und es auf 90 Minuten verdichtet. Einige kritisieren diese Art des Dokumentarfilms, weil sie nicht ausgewogen ist, ich sehe darin eine Stärke.

Einige Sequenzen sind durch Fenster oder hinter Objekten aufgenommen, warum diese voyeuristischen Kameraeinstellungen?

Sobo Swobodnik: Ja, aber interessanter Weise waren es nicht die erotischen Sequenzen, wenn Dir das aufgefallen ist, sondern die privaten. Ich habe es einfach umgedreht. Der Voyeurismus findet nicht während der Sexarbeitet statt, sondern im Privaten. Eigentlich sollte man davon ausgehen, dass die Sexarbeit als solches bekannt ist. Was aber selten der Fall ist, weil sie in der normalen medialen Betrachtung nicht dargestellt wird. Du kannst dir irgendeine Reportage ansehen, aber die Sexarbeit wird letztendlich nicht gezeigt, weil sie es aus Gründen des Jugendschutzes nicht zeigen dürften. Daraufhin habe ich es einfach umgedreht.
Der Film hat zwei Säulen, die eine ist die Sexarbeit. Ich wollte zeigen wie Sexarbeit aussieht, zumindest einen kleinen Ausschnitt daraus. Wobei ich gar nicht den Anspruch hatte, es ausgewogen zu inszenieren, weil das eh nicht geht. Vielmehr wollte ich das, was da drinnen passiert entmystifizieren, ansonsten bleibt es so geheimnisumwabernd. Die andere Säule ist ebenso wichtig und zeigt das Private. Die Sexarbeiterin hat ein Leben neben der Sexarbeit, das sollte man nicht meinen, ist aber tatsächlich so. Sie haben Familie, Kinder, Ehepartner, Partner, Hobbies – dies kommt in den Medien in der Regel vollkommen zu kurz oder gar nicht vor. Darum war es mir sehr wichtig, ebenso das Private in seiner Banalität des Alltags zu zeigen. Klar kann man sagen, ich will die nicht Stricken sehen, doch man muss sie stricken sehen, weil Lena in ihrer Freizeit strickt und das ein Teil von ihr und ihrem Leben ist. Diese Sequenzen habe ich teilweise voyeuristisch aufgeladen. Ich fand es spannend, den Voyeurismus in eine andere Richtung zu führen.

Die U-Bahn Sequenzen und der Wechsel von Lena Morgenroths Kleidung, von privater zu Arbeitskleidung sind Motive des Films. Wie sind diese zu deuten?

Sobo Swobodnik: Zum einen verstehe ich es als einen Transitraum. Er hat jedoch mehrere Funktionen, dieses Unterwegssein in Verbindung mit dem Soundtrack ist der Takt ihres Lebens und wurde als Epilog vor die jeweiligen Akte montiert. Außerdem leitet das Auf- und Absteigen der Treppen die nächste Szene ein. Für mich ist das ein Transitraum, ebenso wie die Umzieh-Sequenzen von privater zu beruflicher Kleidung. Es stellt einen Raum dar, welchen es zu durchqueren gilt und der gleichzeitig ein treibendes Moment innehat, welches ich ebenso bei Lena wahrgenommen habe. Ich hab sie als jemanden kennengelernt, die unterwegs ist, auf einer Art und Weise getrieben ist, doch das ist nur eine Übersetzung von Bildern.

Lena Morgenroth: Ich lerne jetzt ganz viele neue Dinge über mich. Er sagt heute endlich mal andere Sachen, als an den anderen Tagen. Dennoch würde ich mich nicht als getrieben interpretieren.

Sobo Swobodnik: Ja, das ist so negativ konnotiert. Dabei ist es solch eine Alltäglichkeit, wie sie zum Beispiel auch ein Lehrer durchläuft, aber hier fällt der Wechsel vom privaten ins berufliche Leben extremer auf. Das private Leben ist total unspektakulär.

Waren es wirkliche Kunden im Film?

Lena Morgenroth: Ja, ich wollte nicht faken. Dennoch glaube ich, es gab manche, die hätten regulär nicht meine Dienstleistung in Anspruch genommen. Über meine Webseite und Twitter habe ich im Vorfeld Kunden gesucht, die mit Dokumentarfilmaufnahmen einverstanden wären. Einer der Stammkunden hat sich gemeldet und ich glaube zwei andere haben sich hauptsächlich wegen des Films gemeldet. Ich weiß nicht, ob man den Unterschied sieht, aber mir war es wichtig, sagen zu können, das waren Leute mit denen ich noch keine sexuellen Erfahrungen teile. Darüber hinaus habe ich im Film keine Sachen getan, die ich nicht mit anderen Kunden auch machen würde. Natürlich bekommt nicht jeder explizit dieselbe Massage – wenn der Kunde Kettenraucher ist und gelbe Finger hat, dann lecke ich ihm nicht die Finger ab.

Sobo Swobodnik: Das finde ich aber nicht so professionell und außerdem eine Diskriminierung von Rauchern (lacht).

Lena Morgenroth: Jeder Kunde bekommt eine Massage, je nachdem wie sie sich mir gegenüber verhalten, ändert sich der Verlauf. Leute bei denen ich der Meinung bin, die lesen meine Körpersignale nicht gut, sind dann auf die passive Rolle beschränkt. Andere merken sofort wie ich reagiere und gehen darauf ein, dann muss ich sie nicht ausbremsen, das bietet Raum für mehr gegenseitige Berührungen. Ich habe mit Kunden privat jedoch keinen Sex.

Im Film sagen Sie, dass zwischen Ihnen und dem Kunden eine gewisse persönliche Komponente bestehen muss?

Lena Morgenroth: Am Anfang habe ich nur Massagen angeboten, doch nach einer Weile habe ich mich entschieden, im Bordell zu arbeiten. Es hatte mich gestört, dass ich in dem Massagesalon nicht vögeln durfte. Da dachte ich mir, dann gehe dahin, wo ich das darf. Im Bordell habe ich für ungefähr vier Wochen gearbeitet, dort habe ich die Erfahrung gemacht, dass viele Kunden nur Quickies von dreißig oder fünfzehn Minuten buchen und mir das persönlich zu kurz war. Ich brauche Zeit, um mich auf diese Person einzustellen. Damit meine ich keine sexuelle Chemie, ich muss die Person nicht attraktiv finden, aber ich möchte mich auf sie einlassen können und das dauert seine Zeit. Deswegen mache ich nichts unter einer Stunde.
Die Arbeit hat viel mit Vertrauen zu tun. Es ist wahnsinnig, die Kunden kommen zu mir, aufgrund meiner Homepage, legen mehrere hundert Euro auf den Tisch, als Vorschuss. Danach erzählen sie mir ihre intimsten Wünsche und lassen sich von mir irgendwo festbinden, einer Person die sie nicht kennen. Manchmal bin ich erschrocken, welch ein Vertrauen sie mir selbstverständlich entgegenbringen. Der normale Ablauf beginnt mit einer Unterhaltung, danach gehen sie duschen, dabei lassen sie all ihre Wertsachen, Portemonnaie, Handy, Ausweis in meinem Zimmer liegen. Ich sage ihnen nicht, dass sie es hier liegen lassen sollen, sie könnten es ebenso mit ins Bad nehmen, macht auch einmal im Jahr einer. Aber die anderen lassen ihre Aktentasche in meinem Zimmer stehen und gehen duschen. Auf die Art wie ich arbeite, habe ich das Gefühl, es existiert ein gegenseitiges Vertrauen. Ich kassiere zum Beispiel im Nachhinein, damit habe ich noch nie eine schlechte Erfahrung gemacht. In anderen Bereichen geht es notwendigerweise nicht so vertrauensvoll zu. Es ist schließlich davon anhängig, wie man wirbt und welche Kundschaft man anzieht.

Wie haben Sie auf Herrn Swobodniks Anfrage reagiert, einen Dokumentarfilm über Sie zu drehen?

Lena Morgenroth: Wir haben uns dreimal getroffen, dann hieß es, wir machen einen Film. Kurz darauf sagte ich, wir können eigentlich keinen Film über mein Leben machen, es ist total langweilig. Mein Leben sieht so aus, wie das von allen anderen auch. Ich geh morgens auf die Arbeit, dann arbeite ich dort, dann komme ich wieder heim, dann koche ich Essen. Doch Sobo meinte, wir müssen genau das zeigen, und das finde ich gut gelungen.

Sobo Swobodnik: Man muss das zeigen, weil es nicht bekannt ist. Ich bin der festen Überzeugung, wenn Sexarbeit freiwillig und selbstbestimmt stattfindet, dann ist es eine Dienstleistung. Wir haben uns schon lange darüber unterhalten, es ist kein Beruf wie jeder andere. Berufe sind per se nun einmal unterschiedlich, einige sind extremer, wie zum Beispiel Soldat, Pfarrer oder sonst irgendeiner. Und zum Beruf gehört es dazu, ein normales Leben zu führen, wie auch immer das aussehen mag, doch bei der Sexarbeit ist es unbekannt. Uns war es wichtig, diese unbekannte Seite zu zeigen, deswegen hat der Film ein paar Längen, aber die sind gut so, darüber haben wir uns mit anderen Sexarbeiterinnen verständigt. Der Alltag besteht aus eben diesen retardierenden Momenten. Ich finde es wichtig, dass zum Teil in ritualisierter Form zu zeigen. Das ist das Schöne am Kino, im Fernsehen hätte man all diese Sequenzen rausgeschnitten, dann würde das ganze 30 Minuten gehen und an einem vorbeirauschen, so dass man letztendlich nicht in dieser Form teilhaben oder eintauchen kann, im Kino ist das möglich.

Das Radiointerview zieht sich wie ein roter Faden durch die Dokumentation, damit nimmt Lena Morgenroth im Film eine ähnlich federführende Rolle ein, wie bei ihren Kunden. War das gewollt?

Sobo Swobodnik: Das war bei uns ein Glücksfall, es passiert ganz viel szenisch. Ich finde Interviewsituationen in Dokumentarfilmen grauenvoll. Natürlich hätte ich dieselben Fragen im Film stellen können, die wir im Vorfeld besprochen haben. Jedoch wäre das, meines Erachtens nach, nicht so interessant und spannend geworden, wenn auf eine gestellte Frage fokussiert geantwortet wird. Im Film ist es eine szenische Anordnung, das Interview findet mit jemand anderem statt. Sie befindet sich in einem Radiostudio und das ist eine Szenerie, die für sich spricht. Ebenso wenn sie mit ihre Schwester Thekla in der Küche kocht und nebenbei die Diskussion über die Mutter stattfindet. In diesen Sequenzen steckt viel mehr Spannung, weil in solch einer szenischen Anordnung viele mehr passiert, als wenn Lena am Tisch sitzt und ich frage, „Na, wie ist es mit deiner Mutter gewesen? Wie war dein Outing?“ – das finde ich total langweilig. Wenn hingegen die beiden Schwestern aufeinander reagieren, ist das großartig, zum Beispiel wie Thekla mit großen anhimmelnden Augen sagt, „das sehe ich genauso“.

Lena Morgenroth: Das ist deine Interpretation, ich sage genauso oft zu Thekla, „das sehe ich genauso“. Wir haben einfach immer dieselbe Meinung. Es ist nicht so, dass sie immer nur meiner Meinung ist, sie hat auch ihre eigene.

Sobo Swobodnik: Das mag sein, trotzdem sehe ich in Thekla etwas Bewunderndes dir gegenüber. Nicht ausschließlich in der Szene, sondern generell. Was klar ist, schließlich ist sie die kleinere Schwester. Ich möchte nicht stolz sagen, doch denke ich, sie findet es schon cool, dass ihre große Schwester einfach so ausbückst, um was anderes zu machen. Im Film geht es darüber hinaus darum, Dinge in Worte zu kleiden. Es gibt ein Vielfaches an Reaktionen und Verhaltensweisen in szenischen Anordnungen zu erkennen.

Die Podiumsdiskussion im Kinosaal vom Traum-Kino, mit u.a. Sobo Swobodnik (rechts) und Lena Morgenroth (4. v.l.) Foto: ma

 

Warum haben Sie sich für eine Kino-Tour entschieden?

Sobo Swobodnik: Wir haben auch viele TV-Interviews gemacht, das eine geht aus dem anderen hervor. Wir haben uns für eine Kino-Tour entschieden, um den Diskurs in die Gesellschaft zurückzutragen. Darüber hinaus gibt es nicht nur die Kino-Tour. Der Film wird auch gespielt, ohne dass wir da sind, nur dort funktioniert es nicht so gut. Viele Leute kommen, weil wir und die Gleichstellungsbeauftragte, und, und, und da sind. Denn es existiert ein großer Redebedarf sowie Interesse an diesem Diskurs. Bei einem kleinen Film muss man gucken, woher die Zuschauer kommen. In Salzgitter läuft der Film zum Beispiel außerhalb der Tour. Dort sind dann nur fünfzehn Leute in der Vorstellung, das ist ziemlich frustrierend, darum die Tour.

Was war das schönste Ereignis oder Moment auf der Tour?

Lena Morgenroth: Das schönste Ereignis oder am berührendsten ist es für mich, wenn die Kolleginnen zu mir kommen, die zum Teil in anderen Bereichen arbeiten als ich, und sagen, was der Film für sie bedeutet. Besonders wenn ein Feedback zurückkommt wie „es ist so cool, dass endlich mal jemand von uns so selbstbewusst dasteht“ oder „hey, es ist so wohltuend, dich die ganze Zeit U-Bahn fahren und aufräumen zu sehen, weil mein Leben genau so ist“. Die Arbeit sieht anders aus aber man kann sehen wie normal wir eigentlich sind. In den Momenten habe ich das Gefühl, dass eine große emotionale Dankbarkeit da ist, das finde ich toll und berührt mich sehr. Außerdem berührt es mich, wenn ich merke, dass Leute mit einem total anderen Bild hingegangen sind und nach dem Film an dieses Bild ein Fragezeichen gesetzt haben. Sie wurden nicht umgestimmt und sind jetzt einer grundsätzlich anderen Meinung aber es hat ein Horizonterweitern stattgefunden. Eine Idee von „okay es gibt auch noch was anderes, als ich es mir bisher vorgestellt habe“. Ich hätte nicht gedacht, dass es möglich ist, Leute zu erreichen, die eigentlich schon ein festes Weltbild haben. Wir erreichen normalerweise das Publikum, welches im Prinzip unserer Meinung ist, oder ähnliche Ansichten teilt, das ist auch etwas wert. Aber dass es gelegentlich gelingt, Leute abzuholen, die bereits ein gefestigtes Bild im Kopf haben, das sind coole Momente für mich.

Sobo Swobodnik: Mein schönster Moment fand bisher auf dem Sexarbeitskongress in Hamburg statt, als mir persönlich einige der Sexarbeiterinnen, oder die irgendwas damit zu tun haben, gedankt haben, dass ich ihnen ein politisches Instrument in die Hand gegeben habe. Sowas finde ich großartig und so verstehe ich meine Arbeit auch.

Wie sind Sie auf Lena Morgenroth aufmerksam geworden?

Sobo Swobodnik: Ich habe Lena im Fernsehen gesehen, es war Zufall. Ich gucke eigentlich gar kein Fernsehen. Doch an dem Tag schaute ich den Tatort, der Prostitution zum Thema hatte sowie im Anschluss bei Günther Jauch die Sendung zur Prostitution. Dort war sie in der Sendung. Als ich sie sah war ich total fasziniert, nicht von ihrer Tätigkeit als Sexarbeiterin, sondern von ihr als Frau. Sie saß völlig selbstbewusst auf der Couch und outete sich, vor einem Millionenpublikum. Da dachte ich, Wahnsinn. Das ist sehr mutig und beeindruckend. Ich habe sie aber erst Wochen nach der Sendung kontaktiert. Ich dachte es sei so augenfällig gewesen, dass sie etwas Besonderes ist. Lena ist ausgebildete Informatikerin, zählt dementsprechend zur Elite unserer Gesellschaft und entscheidet sich trotzdem auszusteigen, um etwas anderes zu machen. Das war für mich so augenfällig, ich dachte da gibt es ein paar andere Regisseure, die eine große Produktionsfirma hinter sich haben oder fernfinanziert sind. In dem Fall hätte ich keine Chance, wenn ich da ankomme und sage „hey, ich würde auch gerne einen Film machen“. Ich konnte ihr sozusagen nichts bieten. Darüber hinaus kann man nicht drei oder vier Sachen zu einem Thema machen. Deswegen wollte ich abwarten, bis die alle durch sind oder ob da jemand kommt – ich dachte, da kommen bestimmt einige. Wenn sie es nicht mit denen macht, könnte ich immer noch anfragen. Nach vier Wochen habe ich ihr dann eine Mail geschickt.

Lena Morgenroth: Es hat ein Verlag angefragt, ob ich einen autobiographischen Schundroman veröffentlichen möchte. Dazu hatte ich jedoch keine Lust und ausgenommen von ein paar Presse-Leuten hat sich niemand gemeldet. Zu dem Zeitpunkt als Sobo schrieb, war ich bereits wieder drüber, das ZDF hätte ich wahrscheinlich weggeschickt.

Sobo Swobodnik: Das konnte ich ja nicht wissen, bei Guaia Guaia war es ähnlich. Ich habe auf Spiegel online einen Artikel über die Jungs gelesen und sie danach kontaktiert. Bei denen gab es einige, die etwas machen wollten, zum Beispiel haben das Fernsehen und ein Verlag angefragt. In dem Fall war ich der erste, wir haben uns super verstanden, außerdem sind sie klug und haben sich schlussendlich für mich entschieden. Eine Pro7 Reportage oder ähnliches zu produzieren, lag ihnen fern. Nachdem ich den Film gemacht habe, kamen noch immer welche, die einen weiteren Film über Elias und Luis machen wollten. Wenn interessante Menschen in den Medien sind, dann kommen die anderen Medientätigen und versuchen daraus wieder was anderes zu machen. Der Bayerische Rundfunk zum Beispiel, uns haben sie nicht finanziert, als wir versuchten, Fernsehsender zu akquirieren. Erst nachdem der Film fertig war und wir auf dem Filmfest in München den Publikumspreis gewonnen und für Furore gesorgt haben, kommen sie mit einer Frechheit daher, doch einen Halbstünder oder 45-Minüter über die Jungs drehen zu wollen, was meinen Film total kaputt gemacht hätte. Die produzieren das fürs Fernsehen, da guckt doch keiner meinen Film im Kino.

In Teil 2 des Interviews geht es unter anderem um den buchstäblichen Höhepunkt, die junge deutsche Dokumentarfilmszene, die Definition von Sexarbeit, das Prostitutionsgesetz und die Stigmatisierung von Sexarbeiterinnen.


Bildquelle Titelbild: Partisan filmverleih

Autor*in

Marc studierte Politik, Soziologie und Medienwissenschaft in Kiel. Für den ALBRECHT schreibt er seit 2015 insbesondere für das Kulturressort und dessen Filmsparte KinoKatze.

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