Zu Beginn des Sommersemesters 2020, als wir uns im ersten Lockdown befanden und noch wenig über das neuartige Coronavirus bekannt war, dachten wohl einige von uns, dass wir nach ein paar Wochen Verzögerung wieder in die Hörsäle zurückkehren würden. Stattdessen folgten zwei Jahre zermürbende Pandemie, die zwar in praktisch allen Lebensbereichen schwere Schäden angerichtet hat, jedoch insbesondere das angeblich entspannte Studierendenleben radikal veränderte. Seminare, Mensen und Partys mussten Zoom, Fertiggerichten und Netflix weichen. Nun scheint es so, als läge das Schlimmste hinter uns: Schon das Wintersemester 2021/22 fühlte sich an, wie die ersten Schritte zurück in die Zeiten der Präsenzlehre. Doch werden wir überhaupt die alte CAU wiederfinden, wenn das Leben an der Universität wieder an Fahrt aufnimmt? 

Diese und weitere Fragen möchten wir mit jemandem diskutieren, der selbst an dem Corona-Management der Universität beteiligt ist. DER ALBRECHT spricht mit Vizepräsident Prof. Dr. Hundt über das vergangene Wintersemester, über die kontroverse Aussetzung der allgemeinen Freiversuchsregelung und über die Aussichten für die kommende Zeit an der Universität.  

DER ALBRECHT: Aufgrund der Omikron-Variante erleben wir Inzidenzen in bisher ungekannter Höhe. Gleichzeitig haben wir festgestellt, dass eine Infektion mit Omikron wesentlich milder verläuft als bei vorherigen Varianten. Die CAU hat Anfang Januar beschlossen, die Präsenzlehre für den Rest dieses Semesters auszusetzen, um Infektionen zu vermeiden. Durch die häusliche Isolation und die dunkle Jahreszeit steigt allerdings die psychische Belastung unter den Studierenden enorm an. Ist das angesichts der Milde Omikrons noch verhältnismäßig? 

Prof. Dr. Hundt: Schon Ende letzten Jahres war absehbar, dass Omikron zuschlagen wird und auch die CAU an dieser Wand nicht vorbeikommen würde. Deshalb hatte sich das Präsidium in Absprache mit den Dekanen dazu entschlossen, nach der Winterpause die Lehre wieder nahezu vollständig online durchzuführen, weil wir nur so die Sicherheit aller Gruppen an der CAU sicherstellen konnten. Dass Omikron zu eher milderen Verläufen führt, stimmt, aber so etwas weiß man im Nachhinein immer besser als im Voraus. Daher war das eine Vorsichtsmaßnahme, die aus meiner Sicht gerechtfertigt war und ist und außerdem gut umgesetzt wurde. Psychische Belastungen bestehen in allen Gruppen der Universität, deshalb sind wir froh, dass sich die pandemische Lage entspannt und hoffen, dass wir im Sommer ein ganz anderes Semester erleben werden. 

Haben Sie bei Ihrer Entscheidung auf Studien zurückgegriffen, die das Infektionsgeschehen an Universitäten untersucht haben?  

Nein, mir sind solche Studien auch nicht bekannt. Wir stehen allerdings in engem Austausch mit Prof. Fickenscher, der auch die Landesregierung beim Thema Corona berät. Es ist in der Tat so, dass die CAU nie Pandemietreiber war und auch jetzt nicht ist. Das liegt vor allem an den strengen Hygienemaßnahmen und der Disziplin aller Mitglieder der Universität, aber auch an der sehr hohen Impfquote von über 90 Prozent an der CAU. Trotzdem leben wir in keinem abgeschotteten Raum und müssen unseren Beitrag dazu leisten, die Pandemie zu bekämpfen.  

Die aktuellste Landesverordnung schreibt keine vollständige Aussetzung der Präsenzlehre per se vor. Darüber hinaus sind in anderen Bundesländern die Universitäten noch offen. Wieso haben Sie sich trotzdem für diesen Weg entschieden?  

Es wäre natürlich möglich gewesen, in gewissem Umfang die Präsenzlehre aufrecht zu erhalten. Allerdings haben wir schon während des Semesters viele Rückmeldungen von Studierenden und Dozierenden bekommen, dass es durch Präsenzlehre während Corona zu Problemen kam, also Erkrankungen und Quarantäne, was zu Ausfällen geführt hat. Durch die steigende Inzidenz wurde die Lage für alle Gruppen an der CAU schwieriger. Wir sind übrigens auch im ständigen Austausch mit dem MBWK. Und da schien es uns allen, die an der Diskussion beteiligt waren, angemessen, die Präsenzlehre nach der Weihnachtspause weitgehend auszusetzen. Wir waren froh, dass wenigstens der Anfang des Semesters in Präsenz stattfinden konnte.  

Die WHO geht davon aus, dass sich bis Ende März bis zu 60 Prozent der europäischen Bevölkerung mit Omikron infiziert haben könnte. Glauben Sie, dass bei einer so ansteckenden Variante Infektionen überhaupt noch nennenswert vermieden werden können?  

Ja, ich denke, dass durch Hygienemaßnahmen und das Verschieben von Präsenz- zu Onlineveranstaltungen die Universität ihren Teil im Kampf gegen die Pandemie leisten kann. Wir sprechen immerhin von 30.000 Menschen an der CAU. Die Einschätzung der WHO halte ich für plausibel. Glücklicherweise ist in Schleswig-Holstein die Impfquote relativ hoch. Der springende Punkt ist: Was machen wir in der Zukunft? Wir können die Universität nicht auf Dauer in dieser Digitalität halten. Daher ist der Plan, im kommenden Semester wieder mehr auf Präsenz zu setzen. Wohl wissend, dass das auch mit Gefahren verbunden ist. Aber irgendwann müssen wir mit dem Virus leben.  

Seit dem Sommer 2020 gab es nach studentischer Initiative die pauschale Freiversuchsregelung. Auch dieses Semester wäre es rechtlich möglich, diese Regelung beizubehalten, sofern die Dekan:innen dies entscheiden. Bis jetzt hat noch kein:e Dekan:in diese Möglichkeit ergriffen. Hat sich das Präsidium an diese gewandt, um sie zur Beibehaltung der pauschalen Freiversuche zu ermuntern?  

Nein. Die Freiversuchsregelung ist sehr umstritten. Ich kann nachvollziehen, dass aus der Sicht vieler Studierender die Freiversuchsregelung als Entlastungsmöglichkeit wahrgenommen wird. Sie wurde von der CAU über mehrere Semester, das heißt sechs Prüfungszeiträume, mitgetragen – wohl wissend, dass damit eine erhebliche Mehrbelastung von circa 25 Prozent bei der Korrektur entstanden ist. Das ist nicht unerheblich. Denn, auch das sind die Rückmeldungen aus den Fakultäten, es ist eben leider nicht so, dass die Studierenden wohl vorbereitet in Freiversuchsklausuren mehrheitlich gehen, sondern dass der Anteil derjenigen, die eben sagen ‚Ich probiere das mal‘, nicht unerheblich ist. Das zeigen die hohen Zahlen an Personen, die den Freiversuch überhaupt in Anspruch nehmen mussten. In diesem Semester war das Meinungsbild unter den Dekan:innen sehr einheitlich gegen Freiversuche. Ich persönlich bin nach sechs Semestern mit umfangreicher Freiversuchsregelung auch dagegen. Daher hat sich das Präsidium jetzt nicht mehr für eine pauschale Verlängerung der Freiversuchsregelung ausgesprochen. Außerdem gibt es bei einem Wechsel der Prüfungsart immer noch Freiversuche, nur reicht hierfür nicht der Wechsel von einer Präsenz- zu einer Onlineprüfung aus.  

In der Studierendenschaft trifft das Aussetzen der pauschalen Freiversuchsregelung auf Unverständnis. Immerhin sind die letzten wichtigen Wochen des Semesters und die Prüfungen wieder online. Für Sie hat sich in diesem Sinne also nichts Wesentliches geändert. Trotzdem wurde die wirksame Freiversuchsregelung ausgesetzt. Gehen Sie davon aus, dass sich die Studierenden an Online-Prüfungen gewöhnt haben oder war die Mehrbelastung der Dozierenden da ausschlaggebend?  

Die Mehrbelastung der Dozierenden ist auch ein Grund gewesen. Nach drei Semestern, in denen vor allem die Studierenden im Fokus standen, müssen auch die Einwände, Klagen und durchaus berechtigten Beschwerden der Lehrenden beachtet werden. Ein weiterer Grund, der aus meiner Sicht und der der Dekan:innen greift, ist, dass das für die Studierenden selbst nicht hilfreich ist, immer mit Freiversuchen zu agieren. Wir haben jetzt eine ganz andere Situation als im Sommer 2020. Nach sechs Prüfungszeiträumen kann man davon ausgehen, dass wir bei den digitalen Prüfungen nicht nur eine Gewöhnung haben, sondern dass sich das gut eingespielt hat. Das bestätigen mir auch die Rückmeldungen aus den letzten Sitzungen mit den Studierendenvertretungen. Da gab es keine nennenswerten Klagen über die digitalen Prüfungen im jetzigen Prüfungszeitraum. Außerdem gibt es weiterhin den Nachteilsausgleich, den zum Beispiel Studierende mit Kindern oder psychischen Problemen in Anspruch nehmen können. Das Präsidium fordert die Dekan:innen auch dazu auf, mit diesem Nachteilsausgleich sehr kulant umzugehen. 

Der Umgang mit Online-Prüfungen ist bestimmt erprobter als im Sommer 2020. Trotzdem bestehen nach wie vor Belastungen unter den Studierenden, die das Studium und das Ablegen von Prüfungen erschweren. Wieso reichten diese Belastungen nicht aus, um sich für die Verlängerung der pauschalen Freiversuche zu entscheiden?  

Es mag sein, dass die Freiversuche für Teile der Studierendenschaft zu Entlastung geführt haben. Aus Sicht der Hochschulleitung und der Dekan:innen gilt es aber, alle Statusgruppen im Blick zu behalten, daher folgte die Abwägungsentscheidung, Freiversuche nicht pauschal zu gewähren, weil es auch aus meiner Sicht den Studierenden in der Mehrheit nicht hilft, sich sozusagen unvorbereitet zum Beispiel in Prüfungen zu begeben. Ich gebe zu, dass das unter einzelnen Studierenden zu Mehrbelastung führen wird. Aber die zusätzliche Belastung der Dozierenden und der Verwaltung nach drei Semestern ist da ein ausschlaggebendes Argument. Das kann sicher anders entschieden werden und ich glaube, nach den Gesprächen mit dem AStA, der FVK und dem Stupa werden wir da zu keinem Konsens kommen. Aber um auf Ihre Frage zu antworten: Auf dieses Argument, oder, auf diesen Punkt, sind weder die Hochschulleitung, noch die Dekan:innen ein weiteres Mal – wohlgemerkt, ein weiteres Mal – eingegangen. 

Sprechen wir über die Aussichten für das kommende Jahr. Gehen Sie davon aus, dass das Sommersemester in Präsenz stattfinden wird? 

Ja, ganz eindeutig. Dafür spricht einerseits die schon erwähnte Milde Omikrons und Beispiele wie Dänemark, wo alle Maßnahmen beendet wurden. Außerdem werden ab dem 20. März nach meinem Kenntnisstand sehr viele mit Corona verbundene Einschränkungen bundesweit aufgehoben. Daher gehe ich fest davon aus, dass wir zum Sommersemester in Präsenz starten können. Aber niemand hat die Glaskugel, aus der wir zukünftige Entwicklungen ablesen könnten. Absehbar ist, dass vermutlich die flächendeckende 3G-Kontrolle in eine stichprobenartige Kontrolle überführt werden wird, vielleicht auch ganz aufgehoben wird, das ist alles nicht vorhersehbar. Wir sind außerdem dabei, die digitale Infrastruktur auszubauen, sodass die Anzahl der Räume, in denen hybride Lehrveranstaltungen möglich sind, erhöht wird. Auch dieses Sommersemester wird es eine ganze Reihe hybrider Veranstaltungen geben. Diese sind auch für internationale Studierende wichtig, die nach wie vor kein Visum für die Einreise nach Deutschland erhalten.   

Wird das Abstandsgebot in seiner bisherigen Weise fortbestehen? 

Ich gehe nicht davon aus und hoffe, dass es fällt, kann es aber nicht garantieren. Für die sinnvolle Durchführung größerer Lehrveranstaltungen wäre es wichtig. Stichworte wie die hohe Impfquote unter Studierenden und Dozierenden und die allgemeinen Lockerungen sprechen dafür. Doch gleichzeitig ist auch das eine Zumutung für viele Personen, die mit Sorgen darüber nachdenken, wie es ist, wieder in einem vollen Hörsaal zu sitzen. Es gibt ja auch einen Teil der Studierenden und Dozierenden, die sich weiterhin eine digitale Lehre wünschen. Es ist immer eine schwierige Abwägungsentscheidung, bei der man nicht allen gerecht werden kann. 

Denken Sie, dass die Maske weiterhin nötig sein wird?  

Nach allem was ich von Expert:innen höre, ist die Empfehlung, an der Maske festzuhalten. Es ist inzwischen klar, dass sie sehr hilfreich ist und mittlerweile gehört sie auch zum Alltag. Ich persönlich finde, die Maske ist eine vergleichsweise geringe Einschränkung. Es ist etwas anderes, sie zum Beispiel im Gesundheitswesen in einer Zwölfstundenschicht zu tragen als 90 Minuten in einer Lehrveranstaltung. Ich finde es sinnvoll und zumutbar und würde es sehr begrüßen, wenn eine Maskenpflicht auf dem Campus im Sommersemester umgesetzt werden könnte.  

Dass die Präsenzlehre dieses Semester nicht generell umgesetzt wurde, sorgte für Unmut in Teilen der Studierendenschaft. Können Sie einheitliche Regeln für die Präsenzlehre im kommenden Semester garantieren?  

Genau daran arbeiten wir, dass wir geordnet und vollständig zur Präsenz zurückkehren. Es war klar, dass das jetzige Wintersemester nicht normal sein würde und wir nicht zu 100 Prozent in Präsenz zurückkehren konnten. In einer Mail an die Beschäftigten habe ich vor Kurzem darauf hingewiesen, dass wir uns als eine digital gestützte Präsenzuniversität verstehen und die Zeiten, in denen man fast alles von zuhause aus machen konnte, vorbei sind und dass wir ab dem Sommersemester wieder wie eine Präsenzuniversität agieren werden. Eine Universität soll ja nicht nur Wissen vermitteln, sondern sie lebt auch vom lebendigen Austausch und das ist ohne Präsenz so nicht möglich. Das heißt aber nicht, dass wir alle digitalen Errungenschaften wieder aufgeben. Allerdings nur als Unterstützung und nicht als Ersatz der Präsenzlehre. 

Welche Rolle wird Zoom und Co. in dieser neuen Normalität spielen?  

Zoom und Co. werden sicher weiter unterstützen. Wenn Studierende nicht anwesend sein können, zum Beispiel internationale Studierende ohne Visum oder aus nachvollziehbaren Krankheitsgründen, wären diese Mittel bei hybriden Veranstaltungsformen durchaus eine sinnvolle Unterstützung, gar keine Frage. Auch bei Gastvorträgen, die vor Corona aufwendig organisiert werden mussten, kann ich mir vorstellen, dass stattdessen Zoom genutzt wird. Allerdings finde ich die Vorstellung, dass in Zukunft alles hybrid ist, insofern fragwürdig, als das dem Geist der Universität widerspricht. Wir bauen die digitale Infrastruktur aus, aber das sollte nicht das Argument dafür sein, alles hybrid anzubieten.  

Vielen Dank für das Gespräch! 

Autor*in

Jebril ist 22 Jahre alt und studiert seit einer gefühlten Ewigkeit Philosophie und Anglistik. In seiner Freizeit fotografiert er gerne, verbringt Zeit mit seinen Freunden, spielt gerne Schach und ist leidenschaftlicher Fahrradfahrer. Beim Albrecht ist er für das Ressort Hochschule tätig.

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