Auf den ersten Blick scheinen die beiden sehr verschieden: Cihan – Lehrer, Türke und Großfamilienkind; Paul – Psychologe, Pole und Einzelkind, wie sie sich gegenseitig beschreiben. Doch verbindet die beiden eine langjährige Freundschaft und ihre Herkunft. Denn beide sind, quasi als Nachbarn, im sozialen Brennpunkt Hamburgs aufgewachsen. Auch führte für beide der Weg nach Kiel, wo sie ihr Studium an der CAU absolvierten. Nun sind sie mit viel Herz und Leidenschaft in ihren Berufen als Lehrer und Psychologe tätig. Nebenbei berichten sie in ihrem gemeinsamen Podcast PowerMigranten (Lehrer & Psychologe…mal anders) von ihren Erfahrungen, in einem Hochhausviertel groß zu werden, querzudenken und von Migration aus der Perspektive eines Lehrers und Psychologen. DER ALBRECHT hat die beiden auf eine Tasse Ingwertee getroffen.

Wie kamt ihr dazu, einen Podcast aufzunehmen?

Paul: Ich kenne Cihan bereits viele Jahre und auch damals schon in Hamburg sind wir meist für einige Stunden spazieren gegangen und haben uns über alles Mögliche unterhalten. Ich kam dann irgendwann auf die Idee, einen Podcast aufzunehmen, weil ich neugierig war, was passieren würde. Auch ist Cihan für mich einer der intelligentesten Menschen, die ich kenne und ich fände es sonst schade um sein Wissen und natürlich auch ein bisschen um meins. (lacht)

Cihan: Wir hatten zwar noch keinen Plan, wollten aber so schnell wie möglich anfangen und nicht auf den perfekten Moment warten. Wir haben dann Anfang August die erste Folge aufgenommen. Und jetzt hat sich so langsam ein Konzept heraus entwickelt.

Was versteht ihr unter PowerMigranten?

Paul: Es ist in erster Linie eine Zusammensetzung aus den Begriffen ‚Power‘ und ‚Migranten‘ und war eine der ersten Ideen, die wir hatten. Hinter ‚Power‘ steckt, dass wir unsere Ressourcen genutzt und das Beste daraus gemacht haben. Aber auch, dass wir uns trotz der Umstände entwickeln konnten und durften. ‚Migration‘ ist der Teil, der unsere Biografie noch einmal hervorheben soll. Dass wir einen anderen kulturellen Hintergrund haben. Ich bin beispielsweise gar nicht hier geboren, sondern als Wirtschaftsflüchtling aus Polen nach Deutschland gekommen.

Cihan: Wir wollten einen Namen nehmen, der auffällt, den man sich schnell merken und auch schreiben kann. Es geht dabei um den Weg, den wir gegangen sind. Das heißt jetzt nicht, dass jeder diesen Weg gehen muss. Aber wir wollen zeigen, dass jeder etwas aus sich herausholen kann, egal wie niedrig die Bedingungen sind. Und bei Migration geht es nicht nur um die ethnische Herkunft. Jeder ist oder kann aus meiner Sicht eine Form von Migrant sein. Für mich sind ‚PowerMigranten‘ auch Deutsche, die es geschafft haben, aus ihrem Viertel herauszukommen. Nur weil ich nicht die gleichen Bedingungen habe, heißt es nicht, dass ich nichts aus mir machen kann. Das wollen wir den Leuten durch den Podcast vermitteln.

Welche positiven und auch negativen Erfahrungen habt ihr mit dem Thema Migration gemacht?

Cihan: Ich merke schon, dass ich prinzipiell eine andere Bartfarbe habe als die meisten und deswegen auch negative Erfahrungen gemacht habe. Ich habe gleichzeitig auch gemerkt, dass es auch positiv sein kann, dass sich die Leute dann noch interessierter zeigen und mich dahingehend auch noch mehr schätzen. Das gibt mir Energie. Ich bekomme – egal ob negativ oder positiv – auf jeden Fall die Rückmeldung, dass ich existiere. Ich werde wahrgenommen.

Paul: Es gibt Situationen, in denen ich meinen Migrationshintergrund sehr hilfreich für meine Arbeit fand. Gerade in meiner stationären Zeit hatte ich Klienten, die kein Deutsch sprachen, aber Polnisch. Da habe ich gemerkt, wie wichtig es für diese Leute war, dass es noch jemanden gibt, der aufhelfen konnte, und wie häufig ich gebraucht wurde. Das war sehr positiv, dass in diesem Moment die Migration etwas Heilsames hatte und das hat mir sehr gutgetan.
Wenn ich an etwas Negatives denken soll, merke ich, dass es etwas mit meiner Identität macht. Ich habe mich als Kind und im jungen Erwachsenenalter schwergetan, eine Zugehörigkeit anzunehmen. Also dieses klassische Paradigma, das wahrscheinlich jeder kennt, der eine andere Sprache spricht: Du bist immer der Fremde, egal wo du hingehst. Bei mir ist es eher der Nachname. Optisch würde man es mir nicht unbedingt ansehen. Obwohl ich einige kenne, denen meine slawischen Wangenknochen auffallen. Wie bei Cihan mit den schwarzen Haaren, werde ich häufig auf meine Wangenknochen reduziert.

Sind es denn auch diese Erfahrungen, die euch dazu bewegt haben, Migration als Thema für euren Podcast zu nehmen?

Paul: Im Kern des Podcasts geht es um die beiden Persönlichkeiten Cihan und Paul, die miteinander interagieren und nun einmal einen Migrationshintergrund haben. Es geht um unsere Wahrnehmungen und Erfahrungen, über die wir offensiv berichten und ich glaube, das macht es so spannend und auch so powervoll.

Cihan: Wir haben gemerkt, wir dürfen so sein, wie wir sind und müssen nicht so sein, wie andere es von uns erwarten. Es war immer ein Thema von uns, dass wir aus diesen gesellschaftlichen Erwartungen ausbrechen wollen und dann gucken, was passiert. Ich habe das Gefühl, dafür, dass wir gesagt haben, wir machen das anders, wurden wir mittel- oder langfristig immer belohnt. Und so haben wir das auch in unseren Podcastnamen mitaufgenommen: PowerMigranten (Lehrer & Psychologe…mal anders).

Wie seht ihr eure Zukunft und des Podcasts?

Paul: Ich sehe uns den Podcast noch konstant weitermachen und auch eine immer größer werdende Hörerschaft. Die wächst zwar sehr langsam, aber wenn wir konstant dranbleiben, dann wird es etwas, das nachhaltig Zukunft hat. Der Podcast ist eine Idee der Kommunikation mit der Welt beziehungsweise unseren Zuhörern, die uns dann vielleicht auch nochmal auf einer anderen Ebene begegnen. Denn wir wollen uns auch über den Podcast hinaus als Kontaktpersonen zum Beispiel bei Fragen anbieten, eventuell sogar in Face-to-Face-Begegnungen mit Zuhörern treten. Auch kann ich mir Vorträge oder Gastbeiträge vorstellen. Da sehe ich ein wenig unseren Auftrag drin.

Cihan: Ich sehe uns ganz klar als Millionäre. (lacht)

Vielen Dank für das Gespräch!

Autor*in

Johanna studiert seit dem Wintersemester 2016/17 Deutsch und Soziologie an der CAU. Sie ist seit Oktober 2016 Teil der ALBRECHT-Redaktion. Von Juli 2017 bis Januar 2019 war sie als Ressortleiterin für die Kultur verantwortlich. Sie war von Februar 2019 bis Januar 2022 Chefredakteurin des ALBRECHT.

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