In ihren Weken fängt Marina Keegan die Gefühlslage einer ganzen Generation ein

„We don’t have a word for the opposite of loneliness, but if we did, I could say that’s what I want in life.“ (Marina Keegan)

So lauteten die Eingangsworte in Marina Keegans letztem Essay The Opposite of Loneliness, welches zu ihrem Abschluss an der Yale University erschien. In dem Essay beschreibt Marina, dass sie das Gegenteil in Yale gefunden hat – einem Ort, der vor schierer Energie zu sprühen scheint und an dem sie umgeben ist von Menschen und Freunden, welche mit einem Interesse und Leidenschaft teilen, genauso wie die Erinnerung an durchfeierte Nächte, Ängste und Hoffnungen und einsame nächtliche Spaziergänge nach Hause.

Fünf Tage nach ihrem Abschluss stirbt Marina unverschuldet bei einem Autounfall. Zu dem Zeitpunkt ist sie gerade einmal 22 Jahre alt, jedoch schon im Begriff eine Karriere als Schriftstellerin zu machen. Während ihrer Studienzeit in Yale verfasste die Englischstudentin unzählige Essays, Kurzgeschichten und schrieb mehrere Theaterstücke, welche unter Anderem in der New York Times und auf der Website von The New Yorker veröffentlich wurden. Neben zahlreichen Auszeichnungen konnte Marina auf Praktika bei vielen wichtigen Zeitungen Amerikas zurückblicken – zum Beispiel im Literatur-Departement des New Yorker, wo sie nach ihrem Studium eine Stelle antreten sollte.

Nach ihrem Tod 2012 finden Marinas nun so schicksalhaft klingenden Worte „We’re so young. We’re twenty-two-years old. We have so much time“ aus The Opposite of Loneliness in kürzester Zeit 1,4 Millionen Leser im Netz. Marinas Essay wird ein weltweiter Erfolg. Mit ihren Worten, so energiegeladen, voller Idealismus aber auch Ängste, schafft sie es, die Gefühlslage einer ganzen Generation in Worte zu fassen.

Marinas frühere Dozentin Anne Fadiman schrieb, dass viele Texte ihrer Studenten wie die von über Vierzigjährigen klingen würden. Marina aber klinge wie eine Einundzwanzigjährige, die verstanden hätte, dass es kaum bessere Themen für Texte gäbe, als jung und unsicher, frustriert und hoffnungsvoll zu sein.

Das postum erschienene Buch The Opposite of Loneliness – Essays and Stories bietet die Möglichkeit, zumindest einen kleinen Eindruck von Marina zu gewinnen und sich ein eigenes Bild von ihrem Talent zu machen. Das Buch stellt eine Auswahl von Marinas Kurzgeschichten und Essays dar, welche ihre Eltern zusammen mit ihren Freunden und Dozenten nach ihrem Tod trafen. Das Buch gliedert sich hierbei in zwei unterschiedliche Abschnitte: Der erste Teil setzt sich aus fiktiven Geschichten zusammen, während der andere tatsächlich geschehene Momente aus Marinas Leben beschreibt.

In dem ersten Teil, Fiction, findet man neun Kurzgeschichten, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten. So erzählen die Geschichten von einer alten Dame, die wöchentlich für einen Blinden liest und sich dabei ihrer Kleidung entledigt oder von einem US-Soldaten, der im Irak stationiert ist und seiner Liebe zu Hause Emails schreibt. All das klingt banal, schon beinahe langweilig. Doch Marinas Talent für die genaue Beobachtung, ihre Liebe zum Detail und ihre lyrische Stimme verleihen den Geschichten etwas magisches, dem es schwer ist, sich zu entziehen. All ihre Kurzgeschichten eint der genaue Blick auf zwischenmenschliche Beziehungen, welche – trotz der Kürze der Texte – bei ihr niemals einseitig oder platt erscheinen, sondern sehr komplex und menschlich. Gleichzeitig bleibt ein Teil der Geschichte stets im Vagen und nicht ganz greifbar – so als würde man die Geschehnisse durch ein Milchglas betrachten. Dieses macht den Reiz von Marinas Schreibstil aus – mit wenigen Worten transportiert sie Dinge, die nicht ausgesprochen werden, aber zwischen jeder Zeile mitschwingen und eine enorme Spannung erzeugen.

Viele von Marinas Protagonisten befinden sich in dem Lebensabschnitt zwischen Kindheit und Erwachsensein – sie sind Studenten, jung und wild auf das Leben, zugleich aber auch überfordert, zweifelnd und auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt. Hierdurch spricht das Buch insbesondere Menschen in Marinas Alter an, welche sich in einer ähnlichen Lebenssituation befinden. Allerdings ist das Buch keinesfalls als Ratgeber zu verstehen – Marina ist in ihren Essays weder belehrend, noch sind ihre Figuren Vorbilder. Einzig und allein beobachtet und beschreibt sie – ohne dabei jemals wertend zu sein.

Auch wenn viele ihrer Werke sich um die Themenkreise Beziehung, Familie und Jugend drehen, so beweist Marina doch auch, dass sie keine Angst davor hatte, gewohnte Gefilde zu verlassen. So ist ihre Kurzgeschichte Challenger Deep eine bedrückende Horrorgeschichte einer auf sich gestellten U-Boot-Crew, während ihr nicht-fiktionaler Text I kill for Money das facettenreiche Kurzportrait eines Kammerjägers darstellt.

Marinas nicht-fiktionale Texte haben eine ähnliche Qualität wie ihre Kurzgeschichten, jedoch berichten sie häufig aus dem direkten Umfeld oder Erlebnissen der Autorin. Hierdurch erscheinen sie weniger lyrisch, dafür aber sehr lebendig, durchzogen von Humor und einem kritischen Selbstblick. So lassen sie stellenweise einen Blick auf die Persönlichkeit der Autorin erhaschen, die ihre frühere Dozentin als liebenswürdig, idealistisch und leidenschaftlich, aber auch unruhig, provozierend und konträr beschreibt.

Was allen Texten Marinas gemein ist, ist ihr Nachhall. Das Gelesene begleitet einen über die Seiten hinaus und hinterlässt ein Kribbeln, ein bisschen so wie Salz auf der Haut, welches einen nachdenklich stimmt. Anne Fadiman schreibt in der Einleitung zu The Opposite of Loneliness: „Marina würde nicht dafür in Erinnerung bleiben wollen, dass sie tot ist. Sondern dafür, dass sie gut ist.“

Titelbild: Quelle: Tracy und Kevin Keegan.

Autor*in

Sophie studiert Germanistik und Kunst. Seit April 2015 ist sie Teil der Redaktion des ALBRECHTs. Sophie ist für den Bereich 'Zeichnungen' zuständig und greift hier auch gerne selbst zum Stift.

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