Sieben Nächte - Aufbau Verlag / Albin OlssonWas ist ihnen nicht alles zugeschrieben worden, den Endzwanzigern. Generation Y, Kinder der Baby-Boomer, die mit dem strikten Arbeitsethos ihrer Eltern brechen, um den Spagat zwischen Familie und Arbeit, Verpflichtung und Entfaltung zu vollbringen. In Zeiten stabilen Wirtschaftswachstums und schier unbegrenzter digitaler Möglichkeiten scheint für das gut situierte, bürgerliche Milieu alles vor allem eins zu sein: rosig.

Genau so sitzt S. am Schreibtisch, gefangen in einer Blase aus Glück. Seine ersten Worte: „Das hier schreibe ich aus Angst.“

S. ist Ende zwanzig, steht kurz vor der Schwelle zum endgültigen Erwachsensein, die für ihn weniger Hürde als Hemmnis ist. Aufgewachsen in einem privilegierten Umfeld und beruflich erfolgreich, kennt sein beruflicher Aufstieg keine wirklichen Krisen. Rückblickend erkennt er, dass der Preis seines Erfolges die absolute Anpassung war. Sich nie wirklich eine eigene Meinung gebildet, nie rebelliert zu haben, davor hat er Angst. In einer Welt, die sich um Gehaltserhöhung, Gewohnheiten und professionelle Abgeklärtheit dreht, findet er sich in einer Sackgasse wieder, deren einziger Ausweg der radikale Bruch mit dem Bekannten zu sein scheint.

In seinem autobiographisch erscheinenden Debütroman zeichnet Simon Strauß, selbst Ende 20, das Bild einer gesättigten, bildungsbürgerlichen Gesellschaftsschicht, die, finanziell abgesichert, sich durch keine Krise mehr kämpfen muss, die durch übersteigerte Fokussierung auf die eigene Selbstverwirklichung orientierungslos wurde, die im verzweifelten Kampf um den perfekten Anschein das Gefühl verloren hat.

Einen Ausweg bietet ein entfernter Bekannter: Sieben Nächte solle S. sich den sieben Todsünden hingeben. Soll neidisch, hochmütig und faul sein, sich in Jähzorn, Völlerei und Wollust verlieren, und ihm davon schreiben, in der Hoffnung, doch noch ein Feuer entfachen zu können.

Doch was vor Jahrhunderten die Grenzen des gesellschaftlich Erträglichen sprengte, relativiert sich im Kontext heutiger „alles ist möglich“-Verhältnisse. Bereit zur vollen Ekstase hält S. hochmütige Reden, verspielt Geld auf der Pferderennbahn und bleibt eine Nacht träge auf dem Sofa liegen.

Strauß spielt mit dem Kontrast zwischen der romantischen Vorstellung von S. und der Realität, in der Todsünden, übertragen in die heutige Zeit, den Lesern gerade noch ein müdes Gähnen abgewinnen können. Die wirklich treibende Kraft des Romans sind nicht die Todsünden selbst, sondern vielmehr S.‘s ungerichteter Wille nach mehr.

Denn natürlich wird ein Bungee-Sprung von einem Hochhaus oder der Wutanfall im Feierabendverkehr keine Gefühlswelten versetzen, das Schlemmen im Sterne-Restaurant oder ein schlüpfriger Maskenball kein Ausgangspunkt für Revolutionen sein. Doch genau das ist der Knackpunkt, das Zentrum der Krise, das Strauß für S. zeichnet: Die Diskrepanz zwischen dem Willen nach Großem und gleichzeitiger Unfähigkeit, eine Korrelat dieses Lebensgefühls in der heutigen Zeit zu finden. So hadert S. mit der Wirklichkeit und sehnt sich zurück nach Zeiten mit „Wut […] Arien und Rausch“, in denen der Morgen „nicht gleich mit einer Schusswunde vielleicht, aber wenigstens mit einer blutigen Nassrasur“ begann.

Strauß‘ Debütroman ist Selbstanklage und Appell zugleich: gegen die angestaubte Rationalität unseres Alltags und für mehr emotionale Hingabe. Dabei verliert er sich bewusst im Vagen, lässt seine Versuche letztlich provokant ins Leere laufen. So schafft es auch S. nicht über den ersten Schritt hinaus, eine neue, konkretere Utopie zu entwerfen, bleibt sein einziger Bezugspunkt doch stets die revolutionär glitzernde Vergangenheit unserer Mütter und Väter. Was nach sieben Nächten, sieben Todsünden und sieben Schriften bleibt, ist der Glückwunsch des bereits erwachsenen Bekannten, die Reifeprüfung bestanden, es über die Schwelle geschafft zu haben: erfolgreich und sicher.


Bild: Aufbau Verlag / Albin Olsson

Autor*in

Hauke studiert Humanmedizin an der CAU und ist seit Juni 2016 Teil der Redaktion.

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