Sexuelle Gewalt – Täter- und Opferrolle sind keinem Geschlecht zugeordnet

Nicht erst seit der aktuellen #metoo-Debatte ist das Thema sexuelle Gewalt Teil des gesellschaftlichen Diskurses. Es handelt sich hierbei um ein allgegenwärtiges Phänomen, unter dem tagtäglich mehr Opfer leiden. Auch in Deutschland steigt die Anzahl, so die polizeiliche Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes: Während im Jahre 2015  offiziell 12 627 Menschen Opfer von sexueller Gewalt wurden, liegt die Zahl im Jahre 2016 bereits bei 14 492 Opfern. Davon sind 13 858 Personen weiblichen und 1 047 männlichen Geschlechts. Es besteht allerdings die Annahme, dass die Dunkelziffer viel höher angesiedelt ist.

Als sexuelle Gewalt ist im Strafgesetzbuch Gewalt definiert, die durch sexuelle Handlungen ausgeübt wird und durch die die sexuelle Selbstbestimmung eines Menschen eingeschränkt oder ein Machtverhältnis ausgenutzt wird.

Die genauen Grenzen von sexueller Gewalt zu bestimmen, ist schwierig. Sie kann von anzüglichen Blicken, Belästigungen oder unerwünschten Berührungen bis hin zu sexueller Nötigung, Beleidigungen oder auch sexualisierten, körperlichen Übergriffen reichen, wobei unter sexualisierter Gewalt ein aktiver Einsatz von Sexualität verstanden wird, um Gewalt auszuüben.

Wenn von sexueller Gewalt die Rede ist, fallen häufig Begriffe wie männliche Machtausübung oder Unterdrückung von Frauen. Diese implizieren jedoch, dass Frauen automatisch die Opferrolle und Männer die Täterrolle innehaben. Dass auch Männer Opfer sexueller Gewalt sein können, wird oftmals nicht ernst genommen oder bagatellisiert. Es passt nicht zu dem stereotypen Gesellschaftsbild, welches sich durchaus noch in unseren Köpfen wiederfindet: Frauen sind unschuldig, schwach, können sich nicht zur Wehr setzen. Männer hingegen sind aggressiv, weinen nicht und kennen keine Schmerzen. Frauen als Gewalttäterinnen und Männer als Gewaltopfer sind in der Gesellschaft nahezu tabuisiert.

So gibt es auch keine verlässlichen Zahlen zu der tatsächlichen Häufigkeit von Männern, die zu sexuellen Gewaltopfern wurden. Zwar sind sich die Experten darüber einig, dass die Dunkelziffer bei den Männern höher liegt als bei den Frauen, doch eine genaue Ermittlung stellt sich als überaus schwierig heraus. Oftmals gibt es für sexuelle Übergriffe keine Zeugen, es steht Aussage gegen Aussage. Dies macht es Opfern besonders schwer, Gewaltdelikte glaubhaft zu beweisen. Aus diesem Grund ziehen es viele vor, zu schweigen, aus Scham oder Angst, selbst die Schuld zugewiesen zu bekommen sowie aus dem sozialen Umfeld ausgeschlossen zu werden. Auch die Angst, Schwäche zu zeigen, kann insbesondere bei männlichen Opfern eine Rolle spielen. So sieht die mediale Darstellung ‚schwache‘ Frauen als tragische Opfer an, während ‚schwache‘ Männer als Witzfiguren präsentiert werden. Wobei nicht behauptet werden darf, dass Opfer von sexueller Gewalt aufgrund ihrer vermeintlichen Schwäche zum Opfer wurden.

Besonders männliches Schweigen führt dazu, dass sexuelle Gewalt gegen Männer im öffentlichen Diskurs kaum Erwähnung findet. Das sich daran etwas ändern muss und kann, zeigen die vielen Fälle, in denen nach der #metoo-Kampagne auch männliche Opfer zu Wort kommen. Denn um einen Schritt gegen sexuelle Gewalt machen zu können, ist es wichtig, dass Opfer, egal welchen Geschlechts, ihre Erfahrung ohne Angst vor Stigmatisierung ansprechen und Hilfe bekommen können.

Anmerkung der Redaktion: Die Printversion dieses Artikel enthielt den folgenden Absatz: „Eine Studie des Robert Koch-Instituts von 2013 zeigt, dass im häuslichen Bereich Gewalt häufiger von Frauen ausgeht als von Männern, während Männer im öffentlichen Bereich deutlich häufiger gewalttätig werden.“ Dieser wurde aufgrund von Kritik an der Repräsentativität der Studien-Ergebnisse, die mit ungenauer Differenzierung der Erhebung begründet wurde, durch einen Verweis auf die Schwierigkeit der genauen Erfassung männlicher Opfer ersetzt.


Titelbild: Leona Sedlaczek

 

Autor*in

Johanna studiert seit dem Wintersemester 2016/17 Deutsch und Soziologie an der CAU. Sie ist seit Oktober 2016 Teil der ALBRECHT-Redaktion. Von Juli 2017 bis Januar 2019 war sie als Ressortleiterin für die Kultur verantwortlich. Sie war von Februar 2019 bis Januar 2022 Chefredakteurin des ALBRECHT.

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