Wo sind all die Cowboys hin? Anno 2013 scheint der Western-Comic ähnlich überwunden, wie die Zeit von der er erzählt. In Amerika konnte er ja nie so richtig gegen die Übermacht der Superhelden auftrumpfen, doch auch in Europa, wo das Genre ironischerweise stets einen wesentlich besseren Stand hatte, scheint im Saloon nicht mehr allzu viel los zu sein. Klar, „Lucky Luke“ wird hier auf Ewigkeit seinen Stammplatz haben – wenn keine Verfilmung mit Til Schweiger in der Titelrolle seinen Ruf ruinieren kann, dann kann das niemand. Daneben gibt es allerdings noch eine zweite Ausnahmeerscheinung: Den Bouncer.

Als einarmiges Halbblut mag dieser einen denkbar untypischen Westernhelden wirken, gemessen am bisherigen Schaffen seiner geistigen Väter ist er allerdings die Quintessenz des Konventionellen. Verantwortlich für die Reihe zeichnen sich nämlich Autor Alejandro Jodorowsky („Lust & Glaube“, „Der schreckliche Papst“, „Starman Killer“ und gefühlt jede zweite französische Publikation) und Pinselschwinger Francois Boucq, zwei Querköpfe die das gepflegte Ausklinken im Comic kultiviert haben. Besonders Boucq hat mit Werken wie „Pioniere des menschlichen Abenteuers“ oder „Horst Katzmeier in der fünften Dimensionen“ wahre Monumente der psychedelischen grafischen Literatur geschaffen, die Historik, Metaphysik und Drogenrausch aufeinanderstapeln, bis selbst der der geneigte Terry-Pratchett-Fan nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. Nun hat Boucq für „Bouncer“ seinen karikaturhaft-grotesken Stil ebenso reduziert, wie Jodorowsky seine Vorliebe für abseitig-verschlungene Handlungen – irre mal irre relativiert sich scheinbar.

Bouncer
Bouncer

Leichte Kost ist „Bouncer“ trotzdem nicht, wie schon der Untertitel des mittlerweile achten Bands „To Hell“ suggeriert. Auch wenn am Anfang noch alles ganz gemütlich aussieht: Der Bouncer sitzt saufend und zockend in einem schäbigen Hinterzimmer, als ein degenerierter Jüngling und seine Gefolgschaft im Saloon ein Blutbad anrichten. Die Verfolgung wird unverzüglich aufgenommen, doch wie sich herausstellt, führt der Vater des Gejagten die größte Gefängnisfestung des Westens und Bouncers Weg direkt in die Höhle des Löwen.

Mag die Szenerie dabei auch an den großen europäischen Comic-Western „Blueberry“ und die desparate Grundhaltung an Clint Eastwoods „Erbarmungslos“ erinnern, verlässt sich „Bouncer“ trotzdem nicht darauf, altbekannte Versatzstücke zu kombinieren. Stattdessen verfolgt er einen viel archaischeren, minimalistischen Ansatz, der das Genre auf seine Grundzüge reduziert und ihm so eine rohe Vitalität verleiht. Scheinbar bedarf es für einen solchen Impuls zweier Querköpfe vom Format Boucqs und Jodorowskys und vielleicht ist genau das der Grund, warum  es so wenig gute Western-Comics gibt: Es gibt einfach zu wenig erstklassige Bekloppte, die man aufeinanderhetzen kann.

Jodorowsky, Alejandro/Boucq, Francois: Bouncer To Hell. Ehapa Comic Collection. 62 Seiten (farbig), Hardcover. 15 Euro.

Comics des Monats

„Chew – Erste Liga“

Chew
Chew

Titel: Chew – Bulle mit Biss! Bd. 5 – Erste Liga

Autor: John Layman (Skript), Rob Guillory (Zeichnungen)

Verlag: Cross Cult. 128 Seiten (farbig), Hardcover. 16,95 Euro.

Da kann man als Polizist seinen Job noch so gut machen: Irgendwann kommt der Tag, an dem man entweder vom Dienst suspendiert oder degradiert wird. Zumindest wenn man in Film und Fernsehen ermittelt. In „Erste Liga“ erwischt dieses Gesetz der Serie jetzt auch Tony Chu, den Sonderermittler mit den übermenschlichen Geschmacksnerven – und das auch noch ohne eigenes Zutun. Gerade noch bei der Spezialeinheit, findet er sich auf einmal im Verkehrsdezernat wieder, wo es ihm aber überraschenderweise ganz gut gefällt. Der neue Frieden hat aber ein jähes Ende, als Tony von einem durchgeknallten Sportjournalisten entführt wird, der ihn mit reichlich geschmackslosen Recherchemethoden (und mit Gewalt, natürlich) dazu zwingt, bei einem Enthüllungsbuch über das geheime Sexleben amerikanischer Baseball-Legenden zu assistieren. „Erste Liga“ versammelt die „Chew“-Ausgaben 21-25, wobei die Haupthandlung der Serie um die Verschwörung hinter der Geflügelgrippe bestenfalls in Trippelschritten vorankommt. Dafür schrauben die Autoren ihre charakteristischen Absurditäten und durchgeknallten Details in bisher ungeahnte Höhen. Allein wie Tonys ehemaliger Partner und ein kybernetisch aufgepimpter Löwe, mit dem er nun gezwungen ist zusammenzuarbeiten, einen Ring bio-organischer Geldfälscher ausheben und das Vieh dafür am Ende den ganzen Applaus einheimst, ist eine humoristische Meisterleistung. (8)

„Crossed – Familienbande“

Crossed
Crossed

Titel: Crossed Bd. 2 – Familienbande

Autor: David Lapham (Skript), Javier Barreno (Zeichnungen)

Verlag: Panini Comics. 180 Seiten (farbig), Softcover. 19,95.

Trotz des aufmerksamkeitsgeilen Maya-Kalenders und damit einhergehendem Overkill (zumindest medial betrachtet) hat die Apokalypse in Film und Literatur noch immer Hochkonjunktur – insofern verwundert die Fortführung von Garth Ennis brillianter Miniserie „Crossed“ wenig. Skepsis ist dennoch angebracht, da Ennis eine definitive Vision des Weltuntergangs gelang und somit eigentlich alles gesagt war. Dennoch wird in „Familienbande“ erneut erzählt, wie eine obskure Seuche die Amerikaner in mordlüsterne Bestien verwandelt, in Zombies 2.0 ohne den schlurfenden Gang, dafür aber mit ausgeprägtem Sexualtrieb und perversem Humor. Ennis Position hat diesmal David Lapham („Stray Bullets“) übernommen, der anders als sein Vorgänger weniger ein „enfant terrible“, sondern eher ein Intellektueller mit Hang zum Groben ist. Geschildert wird der Überlebenskampf der Großfamilie Pratt, die schon vor dem Zusammenbruch der Gesellschaft durch Missbrauch und Demütigung in der Auflösung begriffen war und somit eine dankbare Basis für Tabubrüche am laufenden Band bietet. Diese blutigen wie fäkalen Exzesse variieren den Vorgänger aber lediglich und erschöpfen sich, abgesehen von ein paar eklig-genialen Kunststücken, in Wiederholungen. Wie Lapham allerdings im Laufe der Geschichte die amerikanische Institution der Familie zum eigentlichen Ort des Schreckens umdeutet und die Zombie-Bestien zur Nebensache degradiert, dürfte wohl selbst Garth Ennis ein respektvolles Nicken abgerungen haben: Ja, so geht’s auch. (7)

Coelacanth“

Coelacanth
Coelacanth

Titel: Coelacanth Bd.1

Autor: Kayoko Shimotsuki

Verlag: Egmont Manga & Anime. 189 Seiten (s/w), Softcover. 6,50 Euro.

Kitschig-austauschbares Cover und unaussprechlicher Titel – schneller als „Coelacanth“ kann mein seine potentielle Leserschaft eigentlich gar nicht verscheuchen. Außerdem hat der Manga des bisher nicht weiter in Erscheinung getretenen Kayoko Shimotsuki keinen Anstand – keinen Anstand tatsächlich der austauschbare Wegwerftitel zu sein, der er zu sein suggeriert. Im Gegenteil, die Geschichte um die hübsche, aber introvertierte Hisano ist richtig gut, balanciert sie doch geschickt auf dem schmalen Grat zwischen Drama und Horror und dreht dort auch noch die ein oder andere Pirouette. So ist Hisanos Leben eigentlich schon kompliziert genug, lebt sie doch seit dem Tod ihrer Eltern in der Rumpffamilie ihrer Stiefmutter, wo ihr „unerwünscht“ auf die Stirn gestempelt wird. Ihr mangelndes Selbstwertbewusstsein manifestiert sich in Gestalt eines sprechenden Schafes, das ihr als eine Art „imaginärer Feind“ ständig Vorhaltungen macht. Als ihr Mathelehrer ermordet wird und sie romantische Gefühle für den mysteriösen Yukinagi, von dem es heißt er habe seine eigene Mutter getötet, entwickelt, droht ihr Leben vollends aus den Fugen zu geraten. „Coelacanth“ entwirft eine sehr intensive, von tiefer Traurigkeit durchzogene Handlung, die leider völlig unsinnig und scheinbar willkürlich in zwei Bände unterteilt wurde. Nach halber Strecke scheint eine Prognose trotzdem angemessen: Schon jetzt einer der besten Mangas 2013. (8)

Wiederveröffentlichung des Monats: „Moebius Collection“

Moebius
Moebius

Titel: Moebius Collection: Bd.1 Die blinde Zitadelle; Bd.2 Zwischenlandung auf Pharagonescia; Bd. 3 The Long Tomorrow; Bd.4 Die Ferien des Majors; Bd. 5 Der Mann von der Ciguri.

Autor: Moebius

Verlag: Cross Cult. Je 56 Seiten (farbig), Hardcover. 16 Euro.

„Moebius und kein Ende!“, mag man ausrufen, so oft wie der französische Großmeister in den letzten Monaten in dieser Kolumne präsent war. Ist aber leider falsch – der Tod des Zeichners im Vorjahr hat es nachdrücklich bewiesen. Immerhin lieferte dieser den Anlass, Moebius weitverzweigtes Werk auch abseits seiner Hauptwerke „Arzach“ und „John Difol“ wieder zugänglich zu machen, weshalb nun fünf Sammelbände mit Kurzgeschichten erscheinen, die der Zeichner für diverse Magazine (am prägnantesten sicherlich das von ihm entscheidend geprägte „Metal Hurlant“) anfertigte. Kompiliert wurde nach thematischen Schwerpunkten, beispielsweise enthält „Die blinde Zitadelle“ alles zum Thema Träume. Visuell sind die Geschichten natürlich bestechend, inhaltlich aber in der Mehrzahl unbefriedigend (und das nicht auf die gute Art, wie einst beim jeden Sinn dekonstruierenden „Arzach“), weil substanzlos. Zumindest punktet die Neuauflage mit Vorworten des Autors, die ein bisschen Licht in das eine oder andere Handlungsdunkel zu mögen. Negativ macht sich hingegen das Fehlen detaillierten Angaben zur ursprünglichen Veröffentlichung bemerkbar. Zudem hätte man die Kollektion mit einem Umfang von lediglich 280 Seiten auch gut in einem preisgünstigeren Einzelband veröffentlichen können, aber das spart man sich wohl noch einmal für eine definitive Gesamtausgabe auf. Dann müsste man der ursprünglichen Einschätzung doch wieder Recht geben – hat mehr Leben als eine Katze, dieser Moebius. (6)

Sekundärliteratur: „The Golden Age of DC Comics“

DC
DC

Titel: The Golden Age of DC Comics 1935-1956

Autor: Paul Levitz

Verlag: Taschen. 417 Seiten (farbig), Hardcover. 39,90 Euro.

Jeder Monat ohne Batman ist ein verlorener Monat – so oder so ähnlich weiß es der gelegentlich gut unterrichtete Volksmund zu verkünden. Und da hat er natürlich Recht. Allerdings ist der Fledermausmann nicht exklusiver Inhalt dieses Kompendiums mit den mächtigen Maßen (33×25 cm, gut 2 Kilo schwer), dass stattdessen die ersten 20 Firmenjahre des amerikanischen Verlagsriesen DC in Wort und Bild erörtert. Dabei entfällt der Löwenanteil auf die Bilder, gut 350 der 417 Seiten zeigen Heft-Cover, Zeichnungen, Fotos und Merchandise aus den Anfangsjahren der Comic-Hefte. Levitz hält seine Kommentare dazu knapp, aber teilweise erfreulich launisch („Niemand erinnert sich heute an die Zeichnerin Serene Summerfield, aber irgendwie muss es denen, die sich von ihr beeindrucken ließen, an geistiger Klarheit gefehlt haben.“), die Mischung aus thematischer und historischer Abfolge ist allerdings etwas unübersichtlich geraten. Und wer durch die Lektüre Lust auf die dargestellten Comics bekommt, muss schon gewillt sein, mehrere tausend Dollar für Originalausgaben hinzublättern, ist der Buchhandel doch diesbezüglich extrem spärlich aufgestellt. Trotzdem darf man sich jetzt schon auf die Nachfolgebände zu Silver, Bronce, Modern und Dark Age der DC Comics freuen – um alle fünf unterzubringen braucht es allerdings schon ein eigenes Bücherregal. (7)

Short Cuts

Billy Bat Bd. 2: Der zweite Band von Naoki Urasawas Manga springt munter durch die Zeiten: Vom Japan der Nachkriegszeit zur Kreuzigung Jesus ins Amerika von 1959 und wieder zurück zu den Samurais. Verbindendes Element dabei: Eine mysteriöse Fledermausfigur, die scheinbar die Geschicke der Menschheit beeinflusst. Faszinierend, aber im nächsten Band bitte weniger Verwirrung und dafür mal ein paar Antworten. (Carlsen Manga, 214 Seiten (s/w), 8,95 Euro)

Zombillenium – Humankapital: Im zweiten Teil von Arthur de Pins grandioser Gruselkomödie über einen Vergnügungspark der von Untoten betrieben wird dreht sich alles um eine rabiate Bürgerinitiative und dämonische Kuckuckskinder. Das ist nicht ganz so originell wie im Vorgänger, die Pointen sitzen aber wieder wie eine Eins. (Ehapa Comic Collection, 56 Seiten (farbig), 15 Euro)

Hack/Slash – Superhelden Sidekick Schlachtfest: Da sagt der Titel doch schon alles: Tim Seeley kreuzt im achten Band seiner beliebten Horrorparodie munter Superhelden und Serienkiller. Alles schön drastisch, chaotisch und bis auf’s äußerste selbstreferenziell. (Cross Cult, 160 Seiten, 19,80 Euro)

Autor*in

Janwillem promoviert am Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft. Er schreibt seit 2010 regelmäßig für den Albrecht über Comics und Musik, letzteres mit dem Schwerpunkt Festivalkultur.

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