In freudiger Erwartung, in die Welt des Kieler Philharmonischen Orchesters einzutauchen, stehe ich vor dem Kieler Schloss. Die Tür zum Konzertsaal ist verschlossen. Also müssen die Musikerinnen und Musiker anders an den Ort ihrer Proben gelangen, als die Konzertbesucher. Irritiert betrachte ich den schwarzen, nicht gerade modernen oder einladend aussehenden Gebäudekomplex des gar nicht festlich aussehenden Schlosses. Nach einigem Suchen haben ich einen Eingang gefunden. Ganz leise erklingt wild durcheinander gespielte Musik. Die Instrumentalisten scheinen sich bereits einzuspielen. Den Klängen folgend geht es die Treppe hoch. Der erste Rang, hier wollte ich nicht hin, habe aber einen guten Überblick über das Orchester. Die Musikerinnen und Musiker sind leger gekleidet. In T-Shirt und Jeans, vereinzelt auch in Hemd oder Bluse, sehen sie aus wie bunt gestreute Konfetti. Im inneren Kreis um den Dirigenten sitzen die Streicher, die ersten und zweiten Violinen und Bratschen sowie die Celli und etwas abseits die Kontrabässe. Der Konzertmeister Catalin Mugur gibt den anderen Violinistinnen und Violinisten die richtige Intonation vor. Sie drehen an den Wirbeln und Feinstimmern, um ihr Instrument in Harmonie zu den anderen zu stimmen.

In der großen Orchesterbesetzung für Nikolai Rimsky-Korskows Suite aus der Oper Die Nacht vor Weihnachten ist sogar eine Harfe enthalten. Sie ist gleich hinter den Streichinstrumenten positioniert. Bei der ersten Probe für das vierte Philharmonische Konzert sitzen die Holzbläser mit Querflöte, Klarinette und Fagott wie immer vor dem Schlagzeug und den massiv tönenden Blechbläsern, den Hörnern, Trompeten und Posaunen. Gleich beginnt das erste Stück. Schnell nach unten ins Parkett, um nichts zu verpassen. Auf leisen Sohlen bewege ich mich vor in die dritte Reihe, da die ersten beiden mit Taschen und Instrumentenkoffern belegt sind.

Ein kurzes „Hallo“ in die Runde von Dirigent Leo Siberski, dann hebt er die Hände, sucht die aufmerksamen Augen seines Orchesters und los geht es. Die Musikerinnen und Musiker wissen aus dem Probenplan mit welchem Stück begonnen wird. Der Dirigent macht ganz kleine Bewegungen und animiert die Musikerinnen und Musiker damit piano zu spielen. Mit einem kurzen Wink gibt Leo Siberski den Holzbläsern ihren Einsatz. Unter den vollen Bläserklang fügt sich das zarte Spiel der Harfe. Ein zauberhafter Märchenklang entsteht. Zackige Melodielinien in der Querflöte stacheln auch den Rest der Musiker an, das Tempo zu erhöhen. Leo Siberski bricht ab. Nach einzelnen Abschnitten macht er eine Pause und notiert sich Anmerkungen in der Partitur, bevor er seine Beobachtungen und Verbesserungsvorschläge anbringt. Aktuelles Problem: das Timing hat nicht gepasst. Er klopft den Rhythmus mit dem Taktstock und singt die Melodie richtig vor. „Das klingt wie ein Ritt“, erklärt er. Anschließend lässt der Dirigent die Stelle von den Violinen und Bratschen wiederholen. Sie nehmen den geforderten Schwung mit und lassen das Klackern der Hufe erklingen. Währenddessen tuscheln einzelne andere Spieler, die Konzentration lässt doch etwas nach. Mehrere zweite Violinen notieren sich etwas in den Noten. Die Streicher spielen in harmonischer Einheit. „Das war sehr schön“, lobt der Dirigent. Nun ist er zufrieden und lässt das Stück weiter erklingen.

Nach über anderthalb Stunden ist Pause – einmal durchatmen für die Musiker. Ein Teil von ihnen schwärmt ins Freie, doch die meisten quatschen mit den anderen oder üben hartnäckig ein paar Stellen, die vorher nicht geklappt haben. Noch einmal 75 Minuten, bevor die Musikerinnen und Musiker es geschafft haben. Weitere Stellen werden geübt: „Die Zweierbindungen müsst ihr so spielen, als würde die Musik darauf stehen“, versucht Siberski zu erklären. Auf Nachfrage der Musiker, zeigt er nochmal genau an, um welche Stelle es sich handelt, da sie kurz unaufmerksam waren. Auch Profimusiker sind manchmal unaufmerksam. „Nochmal von vorne“, weist Leo Siberski an. Nur zwei, drei kurze Unterbrechungen und das Stück sitzt. Die Probe ist beendet. Nach drei Stunden wirken sie kaputt und haben wenig Lust mehr zu reden, alles geht schnell mit den Worten „bis morgen“ auseinander. Auch mir werden nur die nötigsten Fragen beantwortet. In nur zwei weiteren Proben erarbeiten sie in den folgenden zwei Tagen das Programm für das Kinderkonzert.

Während der Proben sind die Musiker abgeschottet von der Welt draußen, in ihrem eigenen Verband. Nicht nur in den einzelnen Instrumentengruppen verstehen sie sich. Sie schmunzeln miteinander und konzentrieren sich im nächsten Moment. In diesem Zustand nehmen sie die Zuhörer kaum wahr. Die Orchestermusiker sind versunken in ihrer eigenen philharmonischen Welt.


In dieser Saison bietet sich noch drei Mal die Gelegenheit, dem großen Orchester der Kieler Philharmoniker zu lauschen. Am Sonntag, dem 15. März spielen sie das vierte Familienkonzert unter dem Motto Til Eulenspiegels lustige Streiche. Ein sehr unterhaltsames Programm, in dem wichtige Werke aus der klassischen Musik spielerisch und fantasievoll erklärt werden – nicht nur etwas für Kinder. Ernster und anspruchsvoller gestaltet sich das sechste und letzte Philharmonische Konzert der Saison am 22. und 23. März mit der sechsten Sinfonie von Beethoven und Le Sacre du Printemps von Igor Strawinsky.


 

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