Ein Gastkommentar von Olaf Koch

Unser Gastautor Olaf Koch ist Dozent und technisch-administrativer Angestellter am Institut für Neuere Deutsche Literatur und Medien.

„Um 16 Uhr 30 wache ich orientierungslos in einen Bettbezug gewickelt auf und bin in allererster Linie von mir selber gelangweilt. Mifti ist schon wieder genervt, weil ihre Parolen auf sämtlichen Wänden der Stadt auftauchen.“

Skandal.

Mit dieser ‚Prophezeiung‘ beginnt der Roman Axolotl Roadkill von Helene Hegemann, der 2010 einen handfesten Skandal ausgelöst hat, da Hegemann größere Textpassagen des Bloggers Airen übernahm, ohne diese zu kennzeichnen. Auf die gegen sie gerichteten ‚Presseexzesse‘, wie sie selbst sagt, reagierte sie mit einem breiten Statement in ZEIT Online über ihre ganz eigene Definition der Begriffe Intertextualität und Sampling. Diagnose: Selbstfrustriz.

Mifti wäre deswegen sicher nicht einfach nur genervt, sie wäre scheiße-sauer gewesen. Aber es herrscht doch eine ‚neue Logik‘: „Du solltest das Kokain unbedingt mit so viel Ketamin wie möglich mischen, das ist vernünftiger, es ist Sonntag, es herrscht eine neue Logik. NIMM!“

Wer versteht denn da jetzt was nicht richtig? Kokain ist keine Literatur und Ketamin kein Zitat, nein? Doch! Natürlich ist es das! Ziehe dir mal gute Literatur rein, dann fällst du bei jeder Haarprobe durch. Stimmt doch, Mifti. Nimm es und mische es, bis die eigenen Sinne die Grenzen zwischen wahr und falsch, zwischen Text und Zitat nicht mehr erkennen wollen, um „das Unerträgliche erträglich zu machen. Darum geht es doch im Leben.“

Uni.

Kunst ist Kunst und Uni ist Uni. Aber nach Der-ri-da ist eben alles Text. Was in der Kunst vielleicht noch als ‚aemulatio‘ durchgeht, ist in der Uni ein Plagiat. Da muss das Kokain rein bleiben. Aber die ‚neue Logik‘ ist unlängst ein alter Hut unter Studierenden. Unlängst ist das Plagiieren zur Kunst geworden. Die Mauerblume wird zum Textprimus. Citius, altius, fortius. Laut einer Studie der Universitäten Bielefeld und Würzburg schummeln 79 Prozent aller Studierenden. 94 Prozent aller Plagiatoren bleiben unerkannt. Eine verfickte Scheiße ist das! Danke Mifti, dass du auch mal sauer bist. Das sind alles deine Parolen in den Texten dieser Welt.

„Ich will ein Kinderheim in Afghanistan bauen und viele Anziehsachen haben. Ich brauche nicht nur Essen und ein Dach über dem Kopf, sondern drei titanweiß ausgestattete Villen, jeden Tag bis zu elf Prostituierte und ein mich in plüschigen, güldenen Zwanziger-Jahre-Chic hüllendes Sowjet-Uniform-Kostüm von Chanel.“
Das geht eben nur mit der dunklen Seite der Macht, beispielsweise mit den Kumpels Salazar Slytherin, Karl-Theodor zu Guttenberg oder Darth Sidious; denn es gibt justament nun mal keine Jedis mehr.

Kiel.

An der Uni Kiel streiten sich die Gelehrten seit 15 Jahren mehr oder minder über die Einführung einer Plagiatssoftware. [Regieanweisung: Applaus] Hier sind die toxischen Dämpfe aus dem Berghain noch nicht in den entscheidenden Köpfen angekommen, was die Prozentzahl von 94 Prozent aller unentdeckten Plagiatoren unweigerlich auf 99 Prozent treibt. Das ist ein unglaubliches Glück; denn das heißt, du kannst betrügen, ohne zum Hause Slytherin gehören zu müssen. Du musst dich nicht einmal mehr schuldig fühlen, wenn du Prof. McGonagall deine copy-und-paste-Hausarbeit mit einem Lächeln präsentierst. Noch eine ‚neue Logik‘. Wahnsinn!

Übrigens: Der Wortstamm „Scheiß“ kommt bei Axolotl Roadkill 207 Mal vor. Bei Strobo von Airen gerade 57 Mal. Wer hat hier wohl von wem abgeschrieben, Mifti? Hä?


Anmerkung der Redaktion: Die Zitate stammen aus Axolotl Roadkill von Helene Hegemann und Strobo von Airen

Autor*in

Hier veröffentlicht DER ALBRECHT seine Gastartikel – eingesandt von Studierenden, Professor*innen und Leser*innen der Zeitung.

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