Wenn weiße Menschen auf ihr rassistisches Verhalten angesprochen werden, reagieren sie häufig schockiert und abwehrend: „Das wollte ich gar nicht, das war doch nicht so gemeint.“ Dass die fehlende Absicht ihr Handeln nicht weniger rassistisch macht, haben sie scheinbar noch nicht verstanden. Generell sind weiße Menschen in der privilegierten Situation, dass ihnen oft nicht bewusst ist, dass sie weiß sind. BIPoC dagegen werden im Alltag ständig von ihren Mitmenschen daran erinnert, dass sie es nicht sind. Im Forschungsgebiet der Rassismusanalyse gibt es einen politischen und theoretischen Ansatz, der diese Unbenanntheit weißer Menschen und ihre feststehende Norm in den Mittelpunkt rückt: Kritisches Weißsein oder Critical Whiteness.  

Mit diesem Thema beschäftigt sich Esther van Lück unter anderem in ihrer Dissertation. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Arbeitsbereichs Gender & Diversity Studies am Institut für Sozialwissenschaften und stellvertretende Diversitätsbeauftragte der Philosophischen Fakultät der CAU. Zu Themen wie Kritische Migrationsforschung, Rassismusanalyse und Critical Whiteness gibt sie Seminare in der Soziologie und organisiert regelmäßig Veranstaltungen und Workshops. Sie arbeitet hierzu aus einer weiß positionierten Forscherinnen-Perspektive und betont daher den selbstreflexiven Bezug ihrer Tätigkeiten. Im Interview spricht sie mit uns über die Entstehung von Rassismus, Möglichkeiten, sich weniger rassistisch zu verhalten, über Rassismusforschung und darüber, was an der CAU noch gegen Rassismus getan werden muss.  

DER ALBRECHT: Gibt es eine in der wissenschaftlichen Forschung gängige Definition von Rassismus? 

Rassismus wird als eine Struktur verstanden, die Menschen mit Verweis auf Kategorien wie Hautfarbe, Herkunft, Sprache, Religion oder auch Kultur in unterschiedlich (wertvolle) Gruppen einteilt. Anhand dieser Einteilung werden dann Machtverhältnisse legitimiert und reproduziert. Es ist eine historisch gewachsene Struktur, die Jahrhunderte alt ist und weiße Menschen begünstigt. Rassismus zeigt sich heute anhand von Vorurteilen und vermeintlichem Wissen über die rassifizierten Anderen. Aber auch ganz konkret von Diskriminierung – auf dem Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche und im gesamten Bildungssystem – bis hin zu Beleidigungen, Angriffen oder rechtsterroristischen Morden. Zu Rassismus gehört auch eine Unfähigkeit deutscher Sicherheitsbehörden, Rassismus zu erkennen und entsprechend strafrechtlich zu verfolgen. Es ist wichtig, dass wir verstehen, dass Rassismus immer eine Verknüpfung zwischen Vorurteilen auf der einen und struktureller Macht auf der anderen Seite ist. Intention spielt eine untergeordnete Rolle. Damit möchte ich sagen, es kommt nicht so sehr darauf an, ob ich jemanden absichtlich verletzen möchte oder nicht, sondern es geht immer um die Wirkung, die mein Handeln hat. Da musste ich jetzt an ein Beispiel von der Schriftstellerin Tupoka Ogette denken: Wenn ich einer Person mit dem Auto über den Fuß fahre, dann ist ihr Fuß gebrochen. Und die Verletzung bleibt die gleiche, auch wenn dies aus Versehen geschah. Es kann also nicht gesagt werden, „das wollte ich nicht, also kann der Fuß nicht wehtun“. Ich finde das sehr eingängig.  

Haben Sie aus Forschungssicht Erklärungen dafür, wodurch Rassismus entsteht, beziehungsweise warum Menschen rassistisch werden?  

Wer in einer rassistischen Gesellschaft aufwächst, lernt von klein auf und quasi ganz unbewusst, dass Menschen vermeintlich anders und auch ungleichwertig sind. Angefangen beispielsweise bei rassistischen Begriffen in Kinderbüchern, gesellschaftlich verbreiteten Zuschreibungen, oder auch Verständnissen darüber, wer vermeintlich zur deutschen Gesellschaft dazugehört und wer nicht. Ebenfalls spezifische Annahmen oder Leistungserwartungen von Lehrer*innen oder Dozierenden, wenn wir über die Uni reden. Das ist nicht unbedingt intendiert von den Personen. Es liegt daran, dass weiten Teilen der Gesellschaft nicht bewusst ist, was alles unter Rassismus fällt. 

Kann denn dieses rassistische Denken und Handeln bewusst wieder verlernt werden? 

Rassistisches Denken und Handeln kann verlernt werden beziehungsweise wir können lernen, so wenig rassistisch wie möglich zu sein. Das formuliere ich deswegen so, weil es wichtig ist, zu verstehen, dass weiße Menschen in der Gesellschaft von Rassismus profitieren. Es sind Privilegien, die sich nicht ablegen lassen. Das Verlernen ist ein lebenslanger Prozess, denn es wird nicht den Punkt geben, an dem wir völlig frei von Rassismus sind. Das lässt sich auch auf andere Herrschaftsverhältnisse wie unter anderem Sexismus, Transfeindlichkeit, Klassismus oder Ableismus übertragen. Deshalb ist es wichtig, sich fortwährend weiterzubilden. Es gibt unzählige Bücher dazu – beispielsweise von den Autor*innen Noah Sow, Tupoka Ogette, Alice Hasters, Mohamed Amjahid oder Natascha A. Kelly. Auch Podcasts und Instagram-Accounts wie zum Beispiel @erklaermirmal liefern gut aufbereitetes und frei zugängliches Wissen. Heute kann wirklich niemand mehr sagen, etwas nicht zu wissen, weil das Wissen so zugänglich ist wie noch nie. 

Welche Rolle spielt Sprache für rassistisches Verhalten und Handeln von Menschen?  

Sprache schafft Realität. Deswegen spielt es eine sehr wichtige Rolle, wie und auf welche Weise wir miteinander oder übereinander sprechen. Es sollte selbstverständlich sein, den Forderungen der BIPoC-Community nachzukommen, keine rassistische Sprache zu verwenden und selbst gewählten Bezeichnungen zu entsprechen. Doch zeigt der bestehende Widerstand, dass es bis dahin noch ein langer Weg ist. Ähnlich ist es bei geschlechtergerechter Sprache. 

Kinderbücher enthalten teilweise immer noch diskriminierende und rassistische Begriffe. Hier ist die Diskussion groß, ob diese stehengelassen, gestrichen oder auskommentiert werden sollten. Wie stehen Sie dazu? 

Meiner Meinung nach sollten rassistische Begriffe gestrichen werden. Kommentieren lassen halte ich nicht für sinnvoll, denn es geht nicht um einen literaturwissenschaftlichen Kurs. Kinderbücher sind für alle Kinder und nicht nur für weiße Kinder. Ich habe den Eindruck, dass in dieser Debatte überhaupt nicht an Schwarze Kinder oder Kinder of Color gedacht wird. Auch sie haben ein Recht auf schöne Geschichten, in denen sie nicht beleidigt und entwertet werden. Ich finde, das sollte selbstverständlich sein. Es ist außerdem generell üblich, dass Neuauflagen angepasst werden, denn gerade uralte Bücher würden wir heute vermutlich nicht mehr verstehen. Dass ausgerechnet bei den rassistischen Begriffen der Widerstand so aufgefahren wird, finde ich bezeichnend. 

Wie sieht es deutschlandweit mit dem Bereich der Rassismusforschung aus? Ist dieses Gebiet bereits sehr ausgeweitet und an Universitäten breit aufgestellt oder brauchen wir möglicherweise mehr Rassismusforschende, um auch besser zu dem Thema aufzuklären?  

Es gibt natürlich eine ganze Reihe von Wissenschaftler*innen an Hochschulen und Fachhochschulen deutschlandweit, die teilweise seit Jahrzehnten herausragende Rassismusforschung betreiben. Zum Beispiel Maisha Maureen Auma an der TU Berlin, Encarnación Gutiérrez Rodríguez an der Uni Gießen oder María do Mar Castro Varela an der ASH Berlin. Jedoch ist Rassismusforschung an deutschen Hochschulen bis jetzt nicht institutionalisiert. Das heißt, es gibt keine Professuren und kaum Finanzierung von Forschungsprojekten. Auch da geht es darum, welche Personen es elementar und wichtig finden, zu diesem Thema zu forschen. Es wäre auf jeden Fall sehr wichtig, die Rassismusforschung weiter zu stärken. 

Haben Sie einen Vorschlag, wodurch das passieren könnte?  

Nachwuchs und auch etablierte Personen gibt es. Es bedarf aber finanzieller Ressourcen und entsprechend ausgestatteter Professuren an Universitäten. Schleswig-Holstein bringt zurzeit den „Landesaktionsplan gegen Rassismus“ auf den Weg, der sich auch auf Hochschulen beziehen wird. Ein Aspekt dabei ist die Stärkung von Rassismusforschung. Da ist vorrangig Aminata Touré verantwortlich und auch die Beauftragte Person für Diversität bei uns an der an der Uni, Eddi Steinfeldt-Mehrtens, ist für den Hochschulbereich eingebunden. 

Inwiefern trägt die CAU dazu bei, rassistischen Strukturen innerhalb der Universität entgegenzuwirken? 

Als ganz wichtig empfinde ich die Einrichtung der Stelle der Zentralen Beauftragten Person für Diversität. Eddi Steinfeldt-Mehrtens macht Antidiskriminierungsberatung und berät zu rassistischen Vorfällen. Im Zuge der Stelle und vor allem der Tätigkeit von Eddi Steinfeldt-Mehrtens ist ebenfalls eine Etablierung von Diversitätsbeauftragten auf Fakultätsebene passiert. Das ist auf jeden Fall eine Besonderheit der CAU. Auch der Diversitätsfonds und die Diversity-Tage sorgen für Sensibilität gegenüber Diversitätsthemen wie zum Beispiel Rassismus. Dann gibt es noch eine AGG-Beschwerdestelle an der Uni und außerdem das Zentrum für Betroffene rechter Angriffe Zebra. Wo jedoch Rassismuskritik am allerstärksten an der CAU passiert, ist auf studentischer Ebene. Beispielsweise beim antirassistischen und feministischen Seminar des AStA und ganz besonders hervorzuheben ist die Hochschulgruppe EmBIPoC. Diese Gruppe bewegt unheimlich viel, besonders im Bereich Empowerment, der häufig fehlt. Denn der Fokus wird häufig stärker darauf gerichtet, über Rassismus aufzuklären, was zwar wichtig ist, sich aber vorrangig an weiß positionierte Menschen richtet. Es steht und fällt häufig tatsächlich mit dem Engagement von Einzelpersonen. Für die CAU ist das beispielsweise noch Diana Nacarlı.

Was könnte denn von Seiten der Universität noch weiter gegen Rassismus getan werden?  

Notwendig wäre es, eine Beschwerde- und Beratungsstelle für Betroffene von Rassismus einzurichten. Besonders wichtig wären außerdem diversitäts- und rassismuskritische Einstellungs- und Berufungsverfahren. Hierbei müsste es konkrete Strategien geben, den Anteil von BIPoC Mitarbeiter*innen zu erhöhen, vor allem in Professuren und Leitungspositionen. Zudem ein dauerhafter Einbezug des Themas Rassismus und Rassismuskritik in Curricula insbesondere beim Lehramt, aber auch darüber hinaus. Dann am besten auch als verpflichtende Seminare und nicht nur im Wahlbereich. Im Grunde genommen ist es ein Unding, dass Lehramtsstudierende an Hochschulen in Deutschland fünf Jahre lang ausgebildet werden können, ohne sich einmal mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Aber im Grunde genommen müsste es natürlich auch mehr Weiterbildung für Lehrende, für Forschende und für Mitarbeiter*innen in der Verwaltung geben, mit der Fragestellung, wie sich rassismuskritische und diversitätssensible, beziehungsweise antidiskriminatorische Lehre und Arbeit gestalten lässt, unabhängig von der Disziplin und vom Arbeitsplatz. Für Dozierende gilt es dann zu reflektieren, welche Inhalte und welche Autor*innen gelehrt werden und inwiefern hier bereits rassistisches Wissen produziert oder zumindest reproduziert wird. Ich würde mir wünschen, dass das Thema einfach dauerhaft implementiert wird.  

Vielen Dank für das Gespräch! 

Auf Wunsch der Interviewpartnerin wird in diesem Artikel mit dem Gendersternchen gegendert. 

Autor*in

Melina studiert Biologie und ist seit Juni 2020 Redakteurin beim Albrecht. Sie schreibt vor allem für das Ressort Hochschule.

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