Ein Kommentar.

Mindestens seit dem mit der Entdeckung der halben Welt gerühmten Kolumbus (als wäre Amerika nicht schon vor 1492 da gewesen), ist das Reisen eines der wichtigsten Leitgedanken des menschlichen Daseins. 1818 setzte Caspar David Friedrich einen Wanderer auf eine Bergspitze und löst damit noch heute Fernwehgelüste im Kunstunterricht aus, Jules Vernes und Jonathan Swift sorgten für einige von vielen weiteren Klassikern der Reiseliteratur und spätestens seit den 60ern flimmern Roadmovies über die Leinwände der Welt. Eine unsere Generation besonders prägende Filmbiografie ist Into The Wild. Christopher McCandless macht seinen Bachelorabschluss, entflieht dann der Bürgerlichkeit seines ihn erstickenden Lebens, bereist alleine Nordamerika und setzt damit unfassbar hohe Maßstäbe für nachfolgende Generation: absolute Hingabe und völliges Verlieren im zeitlosen Reisegedanken. Rucksack, Füße, los.

Reisen ist heutzutage einfacher und günstiger denn je. Mit etwas Glück, finden wir einen 30 Euro Flug nach London, der Großteil der Welt spricht Englisch und wenn wir uns in der Wüste verlieren, schalten wir einfach unser GPS ein. Wer will, kann einfach los. Nicht zu reisen, verurteilen viele in Anbetracht unserer unendlichen Möglichkeiten, als Unsäglichkeit. Das setzt uns unter Druck. Uns steht schließlich die Welt offen, nicht aber die Zeit, denn die Semesterferien sind durch Abgabefristen, Jobs und Elternbesuche de facto jedes Mal deutlich kürzer, als sie auf dem Papier aussehen. Wie Chris McCandless nach der Uni alles hinzuschmeißen und in die Welt zu ziehen, ist ein schöner, aber unrealistischer Gedanke.

Das Gap Year schafft Abhilfe. Nach dem Abi, nach dem Bachelor, vor dem Beruf, zwischen den Zeilen. Ein Jahr lang weg, andere Ecken der Welt sehen, vielleicht arbeiten, vielleicht nur unterwegs sein. Aber schon die reine Definition macht traurig: Ein Jahr zwischen zwei bürgerlichen Lebensabschnitten, in dem wir mal wir selbst sein dürfen. Danach soll es aber bitte mit dem Studium, Berufsleben und vor allem mit der Ernsthaftigkeit weitergehen. Dabei kann schon während einer vierwöchigen Reise oft so viel mehr und so anders gelernt werden, als in einem Jahr Studium. Unterwegs zu sein ist ein Privileg unserer Zeit, das wir nicht im Pauschalurlaub verwelken lassen sollten. Vielmehr ist es die Zeit, sich zu holen, was die Uni (noch) nicht bieten kann. Wir sehnen uns danach, endlich mit den eigenen Augen sehen zu dürfen. Und das zu Recht: „Die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen“ – ein Goethe-Zitat, das auch 220 Jahre später einfach noch so stehen gelassen werden darf.

Autor*in

Leona ist seit Juni 2014 Teil der Redaktion und war von Dezember 2014 bis Februar 2017 Chefredakteurin der Print-Ausgabe des ALBRECHT. Anschließend leitete sie die Online-Redaktion bis Mitte 2018. Leona studiert Englisch und Französisch an der CAU, schreibt für verschiedene Ressorts der Zeitung und kritisiert Land, Leute, Uni und den Status Quo ebenso gerne wie Platten.

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