Ein Kommentar

Die deutsche Literaturlandschaft lässt sich in zwei Gruppen teilen. Die, die ihr Fach gelernt haben und die, die scheinbar den Quereinstieg gewagt haben. Wirkliche Quereinsteiger gibt es in der Literatur natürlich nicht, jeder lernt Schreiben, Buchstaben zu Wörtern zusammenzusetzen, Wörter zu Sätzen, Sätzen zu Absätzen, Absätze zu Texten. Die Schule unternimmt zumindest den Versuch, diese basalen Fähigkeiten jedem Schüler und jeder Schülerin beizubringen. Oft scheitert dieser Versuch. Ein Text, der den Regeln der Sprache und Rechtschreibung folgt, ist aber noch kein literarischer Text, nicht jede Einkaufsliste ist ein Roman, doch manche Liedtexte muten mehr wie Gekritzel an als literarische Texte. Die Frage, was eigentlich ein Text ist, stellen nicht nur Dozenten an Universitäten, auch Literaturkritiker müssen sich diese Frage oft stellen, so zum Beispiel bei Jonathan Safran Foers Tree of Codes, das wohl eher ein buchförmiges Kunstwerk als ein Roman ist, obschon es auf einem Roman basiert.

Wie ein solcher Roman oder auch ein Theaterstück im Idealfall zu wirken wäre, kann man im deutschsprachigen Raum an vier Hochschulen studieren. Diesen Weg haben einige namhafte Schriftsteller gewählt, unter ihnen Juli Zeh und Clemens Meyer. Auch jüngere Kollegen wie Philipp Winkler oder Ronja von Rönne schlugen diesen Pfad ein, wobei letztere mittlerweile ohne Abschluss Texte für die Welt schreibt und zwei Bücher veröffentlichte. Maxim Biller ist dagegen, Literatur zu studieren. Er lässt an den Emporkömmlingen der Literaturinstitute kein gutes Haar, studierte aber selbst erst Literaturwissenschaft und dann Journalismus, hat das Schreiben also auch studiert.

Benjamin von Stuckrad-Barre war erst Journalist, seit früher Jugend als Schreiberling aktiv, wechselte dann zu den großen Printmedien und brachte eher durch Zufall seinen ersten Roman heraus, der ihm Schmähungen in Feuilletons, Groupies, Aufmerksamkeit und genügend Geld für Drogenprobleme jeder Art brachte. Peter Handke studierte früher Jura, damit er genügend Zeit fürs Schreiben hatte, denn nur in der Lernphase war das Studium eines, das Präsenz forderte, Goethe war Jurist, Kafka Beamter. Daniel Kehlmann studierte Literatur, genau wie Clemens J. Setz.

Dass es keine Blaupause eines Schriftstellers, noch weniger einen gerade Weg zu diesem Status, gibt, ist klar. Zwei Universitäten in Deutschland, Hildesheim und Leipzig, versuchen es allerdings. Die Unmöglichkeit des Vorhabens ist klar, eine Affinität zum Schreiben muss vorhanden sein. Sofern kein Studiengang wie literarisches Schreiben oder Journalismus eingeschlagen wird, ist das prosaische oder journalistische Schreiben jedoch eine Sache, die in der Freizeit oder über Praktika erlernt werden muss. Selbst ein klassisches literaturwissenschaftliches Studium bietet keinen Raum für das Erlernen des Schreibens. Abgucken ist hier das Mittel zum Zweck; durch die intensive Auseinandersetzung mit Primär- und Sekundärliteratur wird über mehrere schriftliche Arbeiten und die Rückmeldung des Dozenten der Versuch unternommen, einen eigenen Stil zu entwickeln, der klar verständlich ist und dennoch dem wissenschaftlichen Anspruch genügt. Erste wissenschaftliche Texte wirken als Lektüre ungefähr, als wären sie in einer fremden Sprache, die den Anschein erwecken will, Deutsch zu sein, geschrieben. Ständige Querverweise, die der wissenschaftlichen Praxis entsprechen, aber in jeder Fußnote weitere blinde Flecken des Lesers eröffnen, erscheinen wie die bitter zu Ende gedachte Prosa Terry Pratchetts, leider nur ohne den entsprechenden Humor, stattdessen bierernst mahnend.

Selbst Fremdsprachen sind als Studium nicht prädestiniert dafür, Schreiben zu lehren. Im Rahmen des Studiums werden zwar Schreibübungen abgehalten, Argumentation und Aufbau werden einstudiert, aber ein Seminar oder eine Übung kann nicht allen Teilnehmern, die bestehen, Schreiben wirklich beibringen. Es mag am System liegen, das verschulter geworden ist, an veränderten Anforderungen, einem Mangel an Eignung oder einfach daran, dass die Fertigkeit der Textproduktion nicht benötigt wird, im Studium lernt man es auf jeden Fall nur mit viel Glück.

Es ist zweifelsohne nicht die Aufgabe eines Studiums, das Literaturwissenschaftler, Lehrkräfte und Quereinsteiger produzieren soll, Menschen darin auszubilden, literarisch anspruchsvolle Werke zu schreiben. Klassenarbeiten, Pressemitteilungen und Hausarbeiten sind keine Belletristik, Epik oder gar Lyrik. Angesichts der Kritik, die auch und vor allem Biller an der deutschen Literatur und den Literaturinstituten formulierte, wäre ein breiter angelegter Umgang mit der eigenen Textproduktion jedoch wünschenswert. Ansonsten lässt sich der Diagnose, die deutschsprachige Gegenwartsliteratur habe „soviel Sinnlichkeit, wie der Stadtplan von Kiel“, all ihrer Polemik zum Trotz wohl nicht guten Gewissens widersprechen.

Autor*in

Paul war seit Ende 2012 Teil der Redaktion. Neben der Gestaltung des Layouts schrieb Paul gerne Kommentare und ließ die Weltöffentlichkeit an seiner Meinung teilhaben. In seiner Freizeit studierte Paul Deutsch und Anglistik an der CAU.

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