Mit pinken, blinkenden Hasenohren kommt Rainald Grebe durch den Publikumseingang des Kieler Schlosses und wirkt, als wolle er sich eigentlich gern hinsetzen, sein Herz ausschütten, einfach mal quatschen. Begrüßung: „Hallo! Ich bin’s, euer Rainiii“. Heute möchte Grebe seinem Publikum ganz nahe sein. Kein Wunder, denn Rainald Grebe hat sich verloren. Wer er ist? Das weiß er selbst nur noch aus Interviews oder dem Wikipedia-Artikel über ihn. Mit dem Erfolg der letzten Jahre ist alles größer geworden: Band, Ego, Bühnen, Publikum. Zuletzt spielte Grebe samt Orchester auf der Berliner Waldbühne vor rund 14.000 Zuschauern. Größer wurde gleichzeitig allerdings auch die Entfernung zu sich selbst. Damit soll nun Schluss sein. Immer höher, schneller, weiter funktioniert auch im Showbusiness nicht ewig. Wer nicht ausbrennen will, muss zu sich kommen und wer sich finden will, muss tief graben. Genau das hat Grebe für sein Programm „Das Rainald Grebe Konzert“ getan und nimmt das Publikum mit auf einen Streifzug durch Familienalben- und anekdoten.

Die Bühne kommt mit dem obligatorischen schwarzen Flügel und einem Minischlagzeug aus, auf dem eine Chucky-Puppe sitzt. Diese spuckt beim Schlag auf den Kopf bereits archivierte Fragmente der Erinnerung aus. Ein alter Nappo-Jingle, das Miami Vice Intro, alles noch da, alles aufbewahrt. Heute soll schonungslos sortiert und auf USB-Sticks archiviert werden. In seinem inszenierten Seelenstriptease kommentiert Grebe an die Wand geworfene Bilder von sich als Baby, als pickeliger Teenager am Klavier im holzvertäfelten Partykeller, Röntgenbilder und Aufnahmen von Google Streetview. Gern hätte er auch seine Hammerzehe gezeigt. So erzählt und erzählt er die erste Stunde. Mal im Tutu, mal mit einem Band der rhythmischen Sportgymnastik wedelnd, strömen die Geschichten in irrem Tempo aus ihm heraus. Die beginnen oft wirr, enden aber mit Sicherheit in einer Pointe, über die es sich nur denken lässt: Stimmt! Wie Grebe selber sagen würde: „Stimmt ja auch! Stimmt ja auch!“

Warum das so gut funktioniert? Weil sich jeder irgendwo wiederfindet. Blockflötenkonzerte, mit den Eltern vor dem Fernseher verbrachte Abende mit Schnittchen und Samstagabendshows, während die angesagten Kameraden in den angesagten Discos Fete machen. Auch die Jüngeren des durchweg gemischten Publikums müssen mindestens schmunzeln, wenn Grebe Schulhofreime wie: „Leise rieselt die Vier auf das Zeugnispapier“ oder „Scheiße durch ein Sieb geschossen/ ladiladiho/ gibt die schönsten Sommersprossen“ aus dem Hinterstübchen kramt.

Seine Gesellschaftskritik äußert sich latent. Denn was ist das Innerste auf der Bühne vor Publikum nach Außen zu kehren anderes, als der exhibitionistische Drang, alles auf Facebook oder anderswo im Internet zu teilen? Aber Grebe erhebt nicht den Zeigefinger. Er schaut den Menschen aufs Maul und schreibt die Realität so auf, wie er sie vor sich sieht. Das Konzert endet mit: „Sometimes I feel so overfordert und ich weiß, ich bin da nicht allein. Ich weiß alles. Ich weiß nichts. Ich bin einer von euch.“ Im Laufe der gut zweieinhalb Stunden hat Grebe die Hasenohren irgendwann abgenommen. Das Publikum und auch er selbst aber sind dem Mann hinter dem Wikipedia-Artikel ein großes Stück näher gekommen. Nach fünf Zugaben und frenetischem Applaus ist es an der Zeit mit dem geschafften, aber beseelten Gefühl nach Hause zu gehen, als hätte man ein Treffen mit der lieben Verwandtschaft hinter sich.

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