Ein Kommentar.

Lisa und Lukas, zwei beispielhafte deutsche Studierende, waren in den Semesterferien fünf Wochen in Indien unterwegs. Als sie mit gebräunter Haut und in mit Elefanten bedruckten, luftigen Hosen nach Deutschland zurückkehren, erzählen sie ihren Freunden begeistert von ihrer Reise. Sie berichten von der schwülen Hitze Delhis, der Moderne Bangalores, der Wanderung durch die Wüste bei Jaisalmer und den Nächten in Goa. Nachdem Lisa und Lukas sich wieder an ihren Alltag in ihrer vergleichsweise menschenleeren Heimatstadt gewöhnt haben, zeugen nur noch beiläufige Kommentare, die freie Fläche auf der Scratch Map, bunte Tücher und der häufige Verzehr von Curry von ihrer Reise, während die beiden sich wieder auf ihr Studium konzentrieren.

Diese jungen Reisenden, deren Geschichte zwar erfunden aber nicht unwahrscheinlich ist, kennt vermutlich jeder studierende Mensch aus seinem eigenen Umfeld oder erkennt sich sogar selbst in ihnen. Sie bereisen regelmäßig mit großen Rucksäcken in 20- bis 40-tägigen Trips die Welt, erleben Landschaften und Kulturen und haben scheinbar ein wirklich aufregendes Leben.

Junge, internationale Touristen entzücken durch ihre Masse die Reisebranche. Ihre Motivation ist meist Neugierde und der Wunsch, fremde Kulturen, anderes Essen und Landschaften kennenzulernen. Dies mündet allerdings oft darin, dass empfohlene Orte nach kurzer Zeit völlig überlaufen sind. Dadurch können zum einen mehr deutsche Reisetrends als Götter im indischen Tempel beobachtet werden. Zum anderen werden lokale Traditionen und Lebensweisen durch die Übernahme der Touristen teilweise bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Drastisch zeigt sich, was Backpacker anrichten können, in den Filmszenen aus Pegi Vails Dokumentation Gringo Trails. Darin wird unter anderem die Geschichte eines paradiesischen Strandes auf der thailändischen Insel Kho Phangan erzählt, dessen Idylle seit den 1980ern jährlich von zehntausenden Menschen überlaufen wird, die sich dort hemmungslos besaufen und unter ihrem Müll den Sand begraben. Gringo Trails offenbart durch solche, teilweise drastischen Bilder, dass Reisen und im Speziellen Backpacking, so positiv es die Reisenden auch prägt, auch immer den Ort und die dort lebenden Menschen beeinflusst. Die Dokumentation verdeutlicht, wie wichtig es ist, vor einer Reise zu reflektieren, warum wir an einen Ort reisen möchten und was unser Aufenthalt dort kurz- und langfristig verändern kann.

Diese Reflexion sollte sich jedoch nicht nur aufs Reisen beschränken, sondern unseren gesamten Alltag durchdringen. Damit geht einher, dass wir uns mit unserer eigenen Rolle in der Welt, aber auch im eigenen Land und der eigenen Stadt auseinandersetzen und nicht einfach in der meist homogenen Masse aus Meinungen und Trends – wie das Reisen nach Südostasien – mitschwimmen. Aktuell wird die Begierde nach Neuem und Unbekanntem von vielen hauptsächlich in der Ferne ausgelebt. Dadurch entsteht eine Ambivalenz aus Spontaneität und unverrückbarem Lebensweg, aus Offenheit und Ignoranz. So kennen unsere repräsentativen Jungtouristen Lisa und Lukas weder die 30-jährigen Nachbarn aus der Wohnung im Erdgeschoss, noch pflegen sie, abgesehen von den Großeltern, Kontakt zu Rentnern. Sie fürchten Trump und die Aufhebung des Zwei-Euro-Döner-Angebots bei Lokma. Sie schwärmen von ihrem Indienurlaub, bei dem aber ihre kurzen, sommerlichen Klamotten nicht an die dortige Kultur angepasst waren. Sie wissen nicht, wer eigentlich diese Menschen sind, die die CDU in Schleswig-Holstein zum Wahlsieger kürten. Sie möchten Studentenleben mit Party, Freizeit und anschließend dem gutbezahlten Berufseintritt. Neben der genannten Ambivalenz lässt sich aus dieser Schilderung ihres Lebens auch die Frage ableiten, ob ihr Alltag sie vielleicht nicht genug oder langfristig befriedigt, und sie deshalb in die Ferne strömen, um Neues zu sehen.

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Lisa hält Ausschau nach noch mehr Selbstvalidierung. Das Bild hat Lukas gemacht. // as

Was in der Nähe an Meinungen, Handlungen und Orten zur Verfügung steht, schöpfen nur wenige Menschen voll aus. Denn der Flug ins Exotische validiert das Selbst, das eigene Leben, den Verlauf eines Studienjahres und bescheinigt Fernreisenden Offenheit, Aufregung und Neugierde. Doch sollte es nicht unser Ziel sein, uns diese Attribute an jedem Tag unseres Lebens zu verdienen? Nicht Reisebilder auf Instagram, die Liste der bereisten Länder, Bräune und die schönen Geschichten von dem komischen Typen aus dem Hostel sollten unseren Wert bestimmen oder rechtfertigen, sondern der offensichtliche Genuss eines spannenden und erfüllenden Alltags.

Das soll nicht als Aufruf zur Stornierung aller Flüge verstanden werden, sondern als Anstoß, zu hinterfragen, warum wir reisen und ob uns andere Dinge oder andere Arten zu reisen nicht dauerhaft befriedigen können. Pegi Vail weist in ihrer Dokumentation auf die Möglichkeiten des kulturell und ökologisch nachhaltigen Tourismus hin. Dieser ist zwar meist mit Mehrkosten verbunden, schafft aber wahrscheinlich tiefere Eindrücke, als an den Stränden Goas oberflächlich mit einem Händler zu plaudern. Doch auch ohne ein exotisches Reiseziel und deutlich beiläufiger können neue und vor allem tiefgründige Erfahrungen gewonnen werden. Regelmäßige Unterhaltungen mit Menschen, die nicht in der studentischen Blase leben, andere Meinungen oder Fachrichtungen verfolgen, können uns neue Perspektiven eröffnen und uns bereichern. Auch sportliches, politisches, soziales oder künstlerisches Engagement kann den Kreis des Bekannten erweitern und eine Flucht aus dem Alltag überflüssig machen. Eine wunderbare Gelegenheit, mit Unbekanntem und Unbekannten in Kontakt zu kommen und Neues zu lernen, ist es übrigens, statt mit der Bahn nach Hause zu fahren oder auch statt eines Fluges nach Indien, Thailand oder Kanada, das Reisen per Anhalter – nach Haus, zu Freunden oder in unbekannte Ecken Europas. Denn Trampen ist ohne Offenheit und Spontaneität kaum möglich, sorgt für tiefgreifende Eindrücke und erfordert auch weitaus weniger Planung und finanzielle Mittel.

Die Tourismusbranche hat die Macht der jungen Reisenden schon erkannt und versucht, sie zu lenken. Nun wird es Zeit, dass wir uns unserer Macht bewusst werden und sie für etwas einsetzen, das wir vertreten können und wollen und uns langfristig einen spannenden und freudigen Alltag garantiert.


Titelbild: Alba Campus

Autor*in

Studiert seit 2013 Psychologie in Kiel, und frönt dem ALBRECHT seit dem Wintersemester 2014/15, von 2015 bis 2017 als Bildredakteurin und von Januar 2017 bis Januar 2018 als stellvertretende Chefredakteurin.

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