Ein Interview mit den Tierschutzbeauftragten der CAU Kiel

Warum gibt es einen Schweinestall hinter der Mensa? Welche Forschung nutzt Tiere an der CAU und an anderen Instituten in Schleswig-Holstein? Was für Versuche mit welchen Tieren gibt es? DER ALBRECHT geht einigen Fragen bezüglich Forschung mit nichtmenschlichem Leben auf den Grund. Das folgende Interview wurde mit den Tierschutzbeauftragten der CAU-Kiel, Frau Vieten und Herrn Schultheiß, geführt und soll einen Überblick über die Tierversuche und die Legitimation derselben von Seiten der Universität geben. 

DER ALBRECHT: Welche Tiere sind in Versuchsaufbauten an der Uni Kiel integriert?

Schultheiß: Primär wird an Labornagern wie Maus und Ratte geforscht. Darüber hinaus haben wir sporadisch Kaninchen und Schafe, des Öfteren Schweine. Auch Minischweine. Dauerhaft sind bei uns Rinder und sonst kommen und gehen, wie sie benötigt werden, Reptilien, Krallenfrösche, Würfelquallen, Zebrafische und Seepferdchen. Sie sind aufgeteilt auf mehrere Haltungsstandorte an der Uni und am Uniklinikum. 

Welche Versuche werden an der CAU durchgeführt? 

Schultheiß: Auf Grund der vielfältigen Forschung an der CAU wird ein breites Spektrum an Tieren gehalten. An den Seepferdchen zum Beispiel werden die Unterschiede mütterlicher und väterlicher Trächtigkeit untersucht. Es gibt Versuche mit Futtermitteln an unseren sogenannten Fistelkühen. Das sind Kühe, deren Pansen durch einen operativen Eingriff mit der Außenhaut verbunden wurde, um das Eingeben von Futtermitteln, aber auch die Entnahme von Pansensaft zu ermöglichen. Die Kühe sind im Prinzip unsere Biogeneratoren.

Zuständig sind wir auch für Versuche mit Wildtierpopulationen, wie beispielsweise das Ausstatten mit Sendern einiger wild lebender Tierarten, wie Kegelrobben, Seehunden oder Seevögeln. Das fällt ebenfalls in die Kategorie Tierversuch. Hier wird der Einfluss von Offshore-Windparks oder die Habitatwahl unter bestimmten, sich verändernden Faktoren untersucht. Weiterhin wird der Stoffwechsel von Schweinen erforscht.

Die Tiere werden oftmals nach diesen Versuchen dann noch für die chirurgische Ausbildung verwendet. Das Bild von Tierversuchen wird in der Gesellschaft oft verklärt wahrgenommen. Wenn ich in der Veterinärmedizin beispielsweise Student*innen vermittle, wie sie die Gehörgänge eines Tieres untersuchen oder eine Haarprobe durch Auszupfen zu Forschungszwecken entnehmen, handelt es sich bereits um einen Tierversuch. 

Wie viele in Tierversuchen umgekommene Tiere gab es an der CAU und am UKSH in 2022? Wie viele Tiere wurden getötet, ohne jedoch an einem Versuch teilgenommen zu haben? 

Diese Tierzahlen umfassen alle Institute/Einrichtungen, die wir betreuen, also neben der CAU und dem UKSH auch das GEOMAR, MPI Plön und FZ Westküste. Sie umfassen alle eingesetzten Tiere, was nicht zwingend heißt, dass die Tiere im Rahmen der Versuche euthanasiert werden mussten, beispielsweise zählen die Versuche mit Wildtierpopulationen auch in die Statistik mit rein. Wir hatten 15 070 Mäuse, 5 854 Ratten, 2 Kaninchen, 404 Vögel, 5 079 Fische, 48 Frösche, 139 Schweine, 34 Rinder und 18 andere Säugetiere. 

Die gezüchteten, aber nicht eingesetzten Tiere belaufen sich auf 21 406 Mäuse, 386 Ratten und 705 Fische. Dies inkludiert auch Tiere, die noch als Futtertiere eingesetzt werden konnten. 

Wie sind die Versuche reguliert, wie legitimiert? 

Vieten: Für uns relevant ist die Tierschutzrichtlinie EU-2010/63, darauf beruht das Tierschutzgesetz. Die Tierversuche sind auf Länderebene geregelt und haben dort jeweils eine eigene genehmigende Behörde. Implementiert in das Tierschutzgesetz ist die Überwachung der Versuche durch das lokale Veterinäramt in Schleswig-Holstein, sowie durch die einzelnen Tierschutzbeauftragten. Die Tierschutzbeauftragten sind in ihrer Tätigkeit weisungsfrei. Das bedeutet, dass kein Einfluss auf ihre Stellungnahme genommen wird. Die Behörde hat das letzte Wort, was die Entscheidung betrifft, einen Versuch durchzuführen oder nicht. Wenn wir den Versuch als unsinnig betrachten oder das Leid zu hoch einstufen, erfolgt eine Stellungnahme an die Behörde, welche den Versuch dann mit hoher Wahrscheinlichkeit ablehnt. 

Schultheiß: Es gibt einen Teil in einem solchen Antrag, wo ethisch abgewogen werden muss, ob der Versuch vertretbar ist. Als dieser Teil neu dazukam, hatten wir versucht, eine einheitliche, ethische Legitimierungsgrundlage für die Versuche heranzuziehen und uns dafür mit einem Ethiker zusammengesetzt. Doch nach einiger Diskussion wurde klar, dass es leider nicht den einen ethischen Ansatz gibt, mit dem wir unsere Versuche rechtfertigen können. Wir müssen abwiegen zwischen dem wissenschaftlichen Nutzen und dem Leid der Tiere. Eben auf der einen Seite den Vorteil unseres erlangten Datensatzes mit dem Nachteil der beteiligten Tiere vergleichen. 

Gibt es einen Unterschied zwischen legitimierten Versuchen und einem respektvollen Umgang? 

Schultheiß: Wir gehen auf jeden Fall respektvoll mit den Tieren um. Alle, die mit den Tieren arbeiten, müssen einen tierschutzkonformen Umgang mit den Tieren erlernen. Pfleger*innen werden ausgebildet und alle, die an den Versuchen arbeiten, bekommen spezielle Schulungen. Sie werden es nicht schaffen, bei einer Ratte eine Injektion durchzuführen, wenn die Ratte dies nicht toleriert. Das bekommen wir nur durch den respektvollen Umgang mit den Tieren hin. Wir haben das Tier dann so konditioniert, dass es nach kurzer Zeit ruhig sitzen bleibt und die Injektion toleriert.

Die Schweine werden ebenfalls konditioniert und dabei stellen wir immer wieder fest, dass die Tiere Individuen mit einem ganz eigenen Charakter sind. Das eine Tier lässt sich nur mit Äpfeln, das andere mit Bananen und das nächste wiederum lässt sich eben nur mit Cola konditionieren. Tiere werden mit der Belohnung konditioniert. Dann tolerieren sie auch, dass sie manipuliert werden. Wir konditionieren die Tiere mit verschiedensten Möglichkeiten. Wir versuchen fast vollständig ohne Zwangsmaßnahmen auszukommen, auch wenn es nicht immer ganz möglich ist. 

Können Sie mir ein Beispiel für einen abgelehnten Tierversuch geben und die Begründung dafür? 

Schultheiß: Es ging mal um einen Versuch, in dem man erforschen wollte, wie man Parkinson verhindern könnte. Eine Arbeitsgemeinschaft hatte dazu geforscht. Es sollte in dem Versuch die komplette Großhirnrinde von Katzen entfernt werden, um an die entsprechenden Neuronen zu gelangen. Der Wissensgewinn stand hierbei in keinem Verhältnis zu dem erwartbaren Leid der Tiere und tatsächlich hatten wir auch Zweifel an der Kompetenz des ausführenden Wissenschaftlers. Eine Durchführung wurde nicht empfohlen und die Behörde hat dies dann auch abgelehnt. 

Mögliche ethische Prinzipien, unter denen Tierversuche rechtfertigbar sind, könnten zum Beispiel das Nicht-Verursachen unnötigen Leids, die wissenschaftliche Relevanz solcher Versuche und die Koppelung an hohe Tierhaltungsstandards sein. 

Wie wird bei den Versuchen an der CAU unnötiges Leid definiert? 

Schultheiß: Wir haben grundsätzlich ein Problem: Wir können Belastung beziehungsweise Schmerz schwer bis gar nicht messen. Wir können lediglich die sensorische Verarbeitung der Schmerzrezeptoren messen, können daher aber leider keine Aussage über den tatsächlich empfundenen Schmerz machen. Jedes Lebewesen verarbeitet seine Umwelt auf ganz individuelle Art und Weise. Wir kommen daher nicht weiter, wenn wir von uns Menschen auf das Tier schließen. Das bedeutet für uns in der Praxis, dass wir Leid nur so weit zuführen, um den geforderten Datensatz zu generieren. Darüber hinaus ist unnötig, davor nötig. 

Es wird nach Alternativmethoden gesucht, bevor am Tier geforscht wird. Das war vor 20 Jahren anders. Früher galt viel mehr das Trial-and-Error-Prinzip. Wir haben hier in Kiel ein MRT-Gerät für Maus und Ratte. Damit können wir zum Beispiel einen Tumor anhand eines Tieres deutlich besser untersuchen. Früher hätte man zu einem bestimmten Zeitpunkt alle Tiere im Versuch töten müssen. Wir nutzen heute einen Bruchteil der Tiere mit einer höheren Datenausbeute. 

Vieten: Die Grundbedürfnis-Vorgabe wird durch die EU-Richtlinie vorgegeben. Sie definiert die Minimalanforderungen an Futter, Platzbedarf, Ausgestaltung und Spielzeug bei der Haltung. Die Haltung darf keine Belastung sein, sondern geht vom Versuch aus. Was es noch gibt, um das Tierwohl in Tierversuchen zu steigern, sind Tierversuche. Die Medizinische Hochschule Hannover ist da ganz groß. Die machen etliche Tierversuche, um Wissen darüber zu generieren, was wir bei Tierversuchen noch besser machen können. Wir handeln nach dem Prinzip der drei R von Russel und Burch. Ziel des 3-R-Prinzips ist es, Tierversuche durch andere Forschung zu optimieren oder erstmal an weniger komplexen Organismen zu erforschen (Replacement), die Zahl der Tiere so gering wie möglich zu halten (Reduction) und ihr Leiden in Versuchen auf ein nötiges Maß zu beschränken (Refinement). 

Vielen Dank für das Gespräch. 

Autor*in

Tim studiert Praktische Philosophie und ist seit Januar 2023 Teil der Redaktion.
MIt 13 Jahren hat er seine ersten Zeitungen verteilt und jetzt schreibt er selbst an einer mit; die er dann auch wieder verteilt.

Share.
Leave A Reply