Es ist Donnerstag, kurz vorm Wochenende, aber eben doch noch nicht so richtig Wochenende. So ein sonniger Frühlings-Donnerstag, an dem man es bereut, nur für den Gang zum Glascontainer draußen gewesen zu sein, um die Weinflaschen der letzten Wochen, die man insgeheim lieber mit dem Mann fürs Leben als mit Freunden getrunken hätte, und das Preiselbeerglas der Mitbewohnerin, das wieder mal nicht richtig leer gemacht wurde, zu entsorgen („Das Landliebe Joghurt-Glas aber bitte nicht mitnehmen, da ist Pfand drauf!“). Nach einem Tag, der nur halb so produktiv war, wie er hätte sein sollen, schalte ich um 20:10 Uhr meinen alten Lifetec Fernseher ein. Der stand schon in der WG meiner ältesten Schwester. Die ist jetzt aber medizinischer Lifetec (note to self: Wortwitz-Skills verbessern) und rettet Leben und braucht den nicht mehr. Deswegen versauert er bei mir, denn DVDs guckt man irgendwie trotzdem immer auf dem Laptop und Streamen geht auch besser im Bett, in Embryonalstellung, Laptop auf der Seite stehend an die Knie gelehnt.

Aber jetzt ist Donnerstag und da brauch ich den Fernseher dann doch. Es ist mein Trash-TV-Tag. Germany’s Next Topmodel kommt. Wenn ich mich mit Freunden in der Model-Saison für ein Donnerstagabend-Date verabrede, behaupte ich immer scherzhaft, ich könne nicht kommen, weil ich sonst Germany’s Next Topmodel verpassen würde. Dann lachen immer alle und ich auch – aber mehr, weil ich als einzige weiß, dass ich Freitag nach der Uni direkt auf „Ganze Folge ansehen“ auf prosieben.de klicken werde. Warum, weiß ich auch nicht so genau. Vielleicht alte Gewohnheit und Überbleibsel der Jugend, weil ich es da noch nicht besser wusste. Vielleicht einfach stumpfes Entertainment und damit für zwei Stunden nicht an die persönlichen bis weltbewegenden Probleme denken müssen, denn bei Germany’s Next Topmodel ist es wichtig, zu erörtern, ob es jetzt in Ordnung ist, ein Male Model zu küssen, wenn man einen Freund zuhause hat, oder eben nicht. Klar bin ich Feministin, klar weiß ich, dass viel zu junge Frauenkörper hier munter weiter als Objekt betrachtet werden und dass das alles sehr destruktiv ist. Aber manchmal rauche ich ja auch auf Partys, obwohl ich ganz genau weiß, dass ich davon Krebs bekommen könnte.

Aiman Abdallah erzählt bei Galileo irgendwas davon, dass Zara in der Herrenabteilung alles nach Farben sortiere, denn Männer wollen angeblich nicht lange suchen müssen. Ich höre mit einem Ohr zu und lache kurz. Und Frauen schon, oder was? Dann geht’s los mit Germany’s Next Topmodel. Die Boyfriends, Mütter, oder Väter wurden in dieser Folge eingeflogen, großes Geheule, schließlich war man vier Wochen getrennt. Es sei ihnen ja gegönnt. Keine fliegt raus, Friede, Freude, Eierkuchen. Mit Stevia. Nach GNTM kommt red – das Starmagazin. Ich lass‘ den Fernseher an. Ein Bericht über das Coachella Festival. Ich verdrehe die Augen. Schon seit Tagen schicke ich mit einer Freundin über whatsapp jegliche Coachella Memes hin und her, die uns auf Instagram entgegenblitzen. Zum Beispiel sowas wie ein Hund mit einem Gänseblümchenkranz auf dem Kopf und der Bildaufschrift „Not sure if Coachella or just a dog with flowers on its head“. Das finden wir lustig. Das Coachella Valley Music and Arts Festival ist nämlich in dieser Woche im vollsten Gange. In der kalifornischen Colorado-Wüste wird an zwei Wochenenden dasselbe Festival abgehalten – exakt gleiches Line-Up. Wochenende Eins liegt gerade hinter uns. Wer da spielt ist aber eh nicht so wichtig (dieses Jahr zum Beispiel Guns N‘ Roses und Ellie Goulding), denn eigentlich geht es nur um Selbstinszenierung der Stars, Sternchen und aller, die es gerne wären. Instagram sprudelt über vor Coachella Posts. Von denen, die sich mit Hunden in Blumenkränzen über die Coachella Menschen lustig machen und dann von den anderen, die tatsächlich da sind. Und das sind viele. Besonders Social Media Gurus wie Kylie und Kendall Jenner und Stars wie Taylor Swift, Katy Perry, Alessandra Ambrosio, Zach Braff, Orlando Bloom, Rihanna und Leonardo DiCaprio. Zugegeben, neben denen würde ich auch gerne mal stehen, aber will man da hin, zahlt man dieses Jahr mindestens 399$ fürs Bändchen und dann nochmal 99$ fürs Campen. Sowas sterbliches machen die Stars natürlich nicht. Die lassen sich mit Helis einfliegen, oder wohnen in krassen Apartments. Geht auch nicht anders, denn every day is style day! Darum geht’s beim Coachella schlicht und einfach. Möglichst hip(pie) aussehen. Ein paar mal am Tag umziehen, viel posen, viel fotografieren, viel Social Media Fans beglücken und dabei ganz viel Geld verdienen – hauptsächlich durch Klamottenlabels und vice versa.

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Wer auch auf dem Coachella war, ist Lena. Meyer-Landrut. Aber die heißt ja jetzt nur noch Lena. Ich weiß das, weil ich Lena auf Instagram und Snapchat folge, denn eigentlich ist das schon ’ne ganz fesche Braut. Jemand, der auf einer Pressekonferenz Boyzone covert, um mit deutschem Englisch die Presse zu verarschen, ist mir zutiefst sympathisch. Aber diese Woche ist Lena mir auf die Nerven gegangen. VIERUNDZWANZIG Coachella Posts. Und dann auch noch so ganz schlimme. So mit weißem Bikinioberteil aus Spitzenstoff, Wildlederjacke, Denim Hot Pants, Oberarmreifen, Milliarden Ketten, Armbändchen und der obligatorischen Sonnenbrille, in der Luxuskarosse, vor Blumenbeeten, vor Palmen, vor dem Riesenrad, alles immer möglichst bei Sonnenuntergang. Geposed wird mit Germany’s next Topmodel Gewinnerin Stefanie Giesienger, die ganz genauso aussieht. Verlinkt sind die Bilder fast alle mit @paulripke. Ich dachte immer, der sei dauerhafter Marteria Kompagnon, aber scheinbar wurde er abtrünnig und fotografiert jetzt junge deutsche Frauen auf dem Coachella. Ich bin enttäuscht. Wo sind die Bilder mit dem amerikanischen Äquivalent zu 5,0 Bierdosen, die Flunkyball-Turniersieger, die glücklichen Gesichter und schweißnassen Körper, die sich in unendlicher Ekstase vor den Bühnen wiegen – ja, wahrlich, wo ist die Musik? Irgendwo verschwunden hinter Kommerz, Sponsoren, Riesenradselfies und #instalife. Die meisten kennen die Bands kaum, es wird einfach gehypet „I love this band! (Who is that anyway?)“, weil man das so macht auf dem Coachella. Bewiesen im Jimmy Kimmel Lie Witness News Video.

Benommen lasse ich mich rückwärts auf mein Bett fallen. Mein Blick bleibt am Plastikblumenkranz über mir an der Wand hängen, mit dem ich letztes Jahr auf dem Hurricane Festival rumgerannt bin. Kurz Panik. Bin ich unbewusst etwa auch schon Teil des Coachella Wahns? Aber dann fällt mir ein, dass der Blumenkranz nur drei Euro gekostet hat, ich auf dem Hurricane mit gelben Gummistiefeln, verschwitzten Haaren und verlaufenem Mascara mein ganz normales T-Shirt ausgezogen habe, es wie die Menschenmasse um mich herum zu Marterias Musik durch die Luft wirbelte und mir im Traum nicht eingefallen wäre, stattdessen lieber ein Selfie vorm Riesenrad zu machen. Ich schalte den Fernseher ab. Morgen früh hab ich Gender-Seminar. Da behaupte ich dann, ich würde Germany’s Next Topmodel nur zu Recherche-Zwecken gucken.

Quelle Titelbild: Jason Persse

Autor*in

Leona ist seit Juni 2014 Teil der Redaktion und war von Dezember 2014 bis Februar 2017 Chefredakteurin der Print-Ausgabe des ALBRECHT. Anschließend leitete sie die Online-Redaktion bis Mitte 2018. Leona studiert Englisch und Französisch an der CAU, schreibt für verschiedene Ressorts der Zeitung und kritisiert Land, Leute, Uni und den Status Quo ebenso gerne wie Platten.

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