August 2015. Drei Jahre nachdem wir gemeinsam aus einer British Airways-Maschine am Frankfurter Flughafen stiegen, treffe ich Tom wieder. Tom, ich und zwölf weitere deutsche Freiwillige waren zusammen für ein Jahr in Lesotho, südliches Afrika. Wir haben dort alle ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) über das vom Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit unterstützte weltwärts-Entsendeprogramm absolviert. Zwölf Monate entwicklungspolitischer Freiwilligendienst, so heißt es. „Ich würde das heute nicht wieder machen“, sagt Tom.

Mein ehemaliger Weggefährte erzählt mir, dass er Freiwilligendienste mittlerweile für vollkommen falsch hält. „Wir reproduzieren den Kolonialismus“, sagt er. Dieser Gedanke lässt mich seither nicht mehr los. War mein FSJ nicht das, wofür ich es gehalten habe?

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Auf ins Abenteuer: Profitieren die Freiwilligen deutlich mehr von ihrem FSJ als das Projekt, in dem sie arbeiten?

Ich war 18, als ich mich entschied, nach dem Abi ein Jahr ins Ausland zu gehen. Nach Afrika, was mit Kindern machen, auf jeden Fall helfen. Ein Projekt in Thailand lehnte ich ab, es musste unbedingt Afrika sein – als hätte ich die geringste Ahnung, wie sich das Leben in 55 verschiedenen Staaten gestaltet. Über diese Attitüde kann ich heute nur den Kopf schütteln. Durch die Vorbereitungsseminare des Entsendeprogramms weltwärts wurden mir glücklicherweise die meisten Flausen dieser Art aus dem Kopf geschlagen. Es wurde viel Wert darauf gelegt, deutlich zu machen, dass wir junge Europäer nicht qualifiziert genug sind, um „dort unten“ – eine Formulierung, von der man uns dringend und vollkommen berechtigt abriet – irgendetwas zu ändern. Es ging um Critical Whiteness und um unterschwelligen Rassismus. Und dass sich unsere Entsendung nicht ums Helfen, sondern um Hilfe zur Selbsthilfe dreht. Unterstützung. Kultureller Austausch. Voneinander lernen. Heute frage ich mich: Verändert die angepasste Wortwahl auch den Hintergrund?

Ich kam, sah, half?

Der Kolonialismus steckt der Welt in den Knochen. Ist es nicht bezeichnend, dass wir mit British Airways nach Südafrika flogen? British Airways, die aus einer Fusionierung von ehemals Imperial Airways entstand, welche 1924 gegründet wurde, um die Kolonien schneller zu erreichen und den Handel zu vereinfachen. Postkolonialismus ist das Stichwort. Es ist kein Geheimnis, dass ehemalige Kolonialmächte noch immer wirtschaftlich von ihren ehemaligen Kolonien profitieren. Und auch das Entsenden von Freiwilligen ist mittlerweile ein ganz eigener Wirtschaftszweig. Der so genannte ‚Voluntourismus‘ – zusammengesetzt aus den Begriffen Volunteering und Tourismus – erhält stetig mehr Einzug in die junge deutsche Zukunftsgestaltung. Von ein paar Tagen bis hin zu einigen Monaten kann so ein Aufenthalt in einem Entwicklungsland gehen. Der Klassiker: Arbeit in einem Kindergarten. Zum Beispiel in Namibia, ehemals deutsche Kolonie. Das Basispaket der Entsendeorganisation Rainbow Garden Village mit Sitz in München beinhaltet beispielsweise vier Wochen Namibia, inklusive Flüge bis maximal 700 Euro und Unterbringung im Student House für gar nicht mal so läppische 1850 Euro. Eine Teilnahmebescheinigung gibt’s dann auch. Einzige Anforderung laut Projekt: „Spaß an der Arbeit mit Kindern, Flexibilität, Eigeninitiative.“ Die Organisation verspricht außerdem ein „einzigartiges Auslandserlebnis mit Mehrwert und Sinn“.

Wenn es beim Freiwilligendienst vorrangig darum geht, Armut mit eigenen Augen gesehen zu haben, läuft etwas schief // Quelle: lse
Wenn es beim Freiwilligendienst vorrangig darum geht, Armut mit eigenen Augen gesehen zu haben, läuft etwas schief

Aber für wen? Der Nord-Süd-Austausch frewilliger Helfer*innen erfreut sich zwar bester Beliebtheit: Im Jahr 2016 wurden 3749 deutsche weltwärts-Freiwillige und rund 25 000 Freiwillige kommerzieller Organisationen ausgesandt. Andersherum sieht es allerdings mau aus. Zwar hat weltwärts gerade eine dreijährige Pilotphase für den Süd-Nord-Austausch hinter sich, jedoch gibt es noch keine offiziellen Zahlen. Der gemeinnützige Verein Zugvögel, interkultureller Süd-Nord-Austausch e.V. schafft es immerhin, in Eigeninitiative pro Jahr einer Hand voll internationalen Freiwilligen die Entsendung nach Deutschland zu ermöglichen. Die Organisation habe sich den Abbau von institutionellem Rassismus und globalen Ungleichgewichten zum Ziel gesetzt, schreibt sie auf ihrer Website.

Das Problem mit den ehemaligen Kolonialmächten

Globales Ungleichgewicht trifft es. Die Gelder liegen immer noch auf Seiten der ehemaligen Kolonialmächte, die nun ihre junge Generation in die ehemaligen Kolonien schickt, um Erfahrungen zu sammeln. Die Schaffung einer erneuten Abhängigkeit ist so unumgänglich. Junge Deutsche werden ausgesandt, um staats- oder eigenfinanziert in Entwicklungsländern zu arbeiten und nehmen gegebenenfalls sogar Menschen vor Ort die Arbeitsplätze weg – etwas, was hierzulande sonst nur umgekehrt in faschistisch-anmutenden Parolen zu hören ist. Hat Namibia nicht genügend Arbeitskräfte, die ähnlich wenig oder deutlich qualifizierter wären, als 17-jährige deutsche Schulabgänger? Doch, sehr wahrscheinlich schon. Nur stellt sich dann die Frage, wer die bezahlt. Deutsche Eltern?

Redakteurin Leona vor ihrer Unterkunft in Lesotho – ihr Erfahrungsschatz wurde deutlich erweitert, doch reicht das zur Rechtfertigung ihres Freiwilligendienstes?
Redakteurin Leona vor ihrer Unterkunft in Lesotho – ihr Erfahrungsschatz wurde deutlich erweitert, doch reicht das zur Rechtfertigung ihres Freiwilligendienstes?

Dass mehr und mehr Eltern nicht nur finanziell ihre Kinder in einem solchen Auslandsaufenthalt unterstützen, kommt nicht von ungefähr. Das Kind profitiert, das haben selbst besorgte Eltern mittlerweile verstanden. Toll, wenn der Sprössling Erfahrungen in einem fremden Land sammelt und globale Zusammenhänge kennenlernt. Doch stellt sich die Frage, ob beim Helfen im Ausland nicht lediglich ein schlechtes Gewissen beruhigt wird, während die postkolonialistischen Strukturen weiterhin munter ausgenutzt werden. Wo lange ausgebeutet wurde, wird jetzt geholfen. Oder eben doch nicht? Helfen wir nicht eigentlich wieder nur uns selbst, indem wir all diese Erfahrungen machen, uns kulturell weiterbilden, nach ein paar Wochen oder Monaten das Projekt wieder verlassen und in unser Land des Überflusses zurückkehren und behaupten, wir wollten nun bewusster essen, weniger wegschmeißen und das Licht häufiger ausschalten, wenn wir den Raum verlassen?

Egotrip für den Lebenslauf

Fakt ist, dass gute Vorbereitung auf Freiwilligendienste nicht zwangsläufig gegeben ist. Selbst im weltwärts-Programm variiert die Qualität und Länge der Vorbereitungsseminare je nach Entsendeorganisation drastisch. Und selbst in meiner Freiwilligengruppe gab es einen, der nach ein paar Bier bereitwillig zugab, das alles nur für seinen Lebenslauf zu tun. Ich war empört – doch dann wiederum musste ich mich fragen, wofür ich das eigentlich mache. Ein Auslandsjahr zu absolvieren scheint heutzutage fast schon ein Muss. In meinem anschließenden Studium wurde ich oft von Kommiliton*innen, die nach dem Abi ohne Umschweife an die Uni gingen, um meine Erfahrungen in Lesotho beneidet – sie hätten auch mal ins Ausland gehen sollen, ein Gap Year machen, anstatt direkt weiter büffeln zu müssen, meinten sie. Gut für die Erfahrungen, gut für die berufliche Zukunft, den dass der Eintrag auf meinem Lebenslauf in der Sparte ‚Auslandserfahrungen‘ Potenzial hat, mir zukünftig beruflich Türen zu öffnen, war auch mir von vornherein klar. Sogar der Filialchef eines Modekonzerns, bei dem ich neben dem Studium zeitweilig jobbte, fragte mich im Bewerbungsgespräch beeindruckt, was ich in Lesotho alles erlebt hätte. Er wollte viel wissen, wie es dort so ist, wie meine Arbeit aussah, was ich von der Politik des Landes hielte. Eine Woche später hängte ich für sieben Euro die Stunde auf 200 Quadratmetern Ladensfläche in Taiwan genähte Kleidung auf Stangen.

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Auch Redakteurin Leona hat ein FSJ absolviert – heute fragt sie sich, ob das so richtig war

Hat Tom also Recht? War das alles für die Katz und was ich in meinem Projekt getan habe, eigentlich ein riesengroßer Egotrip? Für mich persönlich heißt es Ja und Nein. Tom hat andere Erfahrungen gemacht als ich, war in einem anderen Projekt, in einer anderen Stadt und es gibt einige Faktoren, die zeigen, dass die nachhaltig angelegten Strukturen in meinem Gastprojekt erlaubten, meine Arbeit zumindest in Teilen sinnvoll zu machen. Trotzdem bin auch ich nach einem Jahr wieder gegangen und ein neuer junger neunzehnjähriger Deutscher ohne entsprechende Sprach- und Sachkompetenzen kam, um meinen Job zu übernehmen.

Gleichzeitig frage ich mich, ob Tom und ich uns überhaupt diese Gedanken machen würden, hätten wir diese Erfahrungen nicht gesammelt. Vielleicht sind es kritische Rückkehrer*innen wie wir, die den Anstoß in eine neue Richtung geben können, die ihre im Ausland gemachten Erfahrungen tatsächlich mit in ihr Berufsleben nehmen, postkolonialistische Strukturen aufzeigen und aufbrechen, wo sie ausgenutzt oder nicht wahrgenommen werden. Trotzdem bleibt die Ungerechtigkeit. Plakativ: Die bildungsnahe Generation der oberen deutschen Mittel- bis Oberschicht profitiert vom Elend der Anderen. Entwicklungszusammenarbeit ist das nicht, nicht einmal kultureller Austausch. Es ist Ausnutzung und Abhängigkeit. Uns muss bewusst sein, dass einseitige Freiwilligendienste postkolonialistische Strukturen weiter implementieren und mit einem „nur mal kurz die Welt retten“ à la Tim Bendzko sicherlich noch nie irgendeine Welt gerettet wurde.


Bilquellen: Leona und Marenka Sedlaczek

Autor*in

Leona ist seit Juni 2014 Teil der Redaktion und war von Dezember 2014 bis Februar 2017 Chefredakteurin der Print-Ausgabe des ALBRECHT. Anschließend leitete sie die Online-Redaktion bis Mitte 2018. Leona studiert Englisch und Französisch an der CAU, schreibt für verschiedene Ressorts der Zeitung und kritisiert Land, Leute, Uni und den Status Quo ebenso gerne wie Platten.

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