Kaum ein Thema hat im Jahr 2022 die westliche Welt mehr in Atem gehalten als der Krieg in Europa. Schockierende Bilder von der Front, Angst und Empörung befeuern Rufe nach Aufrüstung, Frieden und Sicherheit.  

Aber was ist Sicherheit? Welche Rolle spielt Sicherheit für den Frieden? 

Über diese Fragen diskutierten fünf Vertreter*innen der Theologie, Wirtschaft, Rüstung, und Politik im ETHIK-Salon der Theologischen Fakultät Kiel. Die vorgestellten Sicherheitskonzepte waren so unterschiedlich wie die Auswahl an diskutierenden Gästen. 

Elke Krahmann von der CAU verweist neben einer militärischen Sicherheit auf ein verändertes Sicherheitsbedürfnis. Sie nennt es ein kollektives, ein menschliches Sicherheitsbedürfnis, das entstand, nachdem in den 80er Jahren zum ersten Mal saurer Regen die Landesgrenzen übertrat.  

Ralf Becker von der Initiative ‚Sicherheit neu denken‘ hingegen prangert auch das Dominanzstreben der USA seit den 2000er Jahren an. Dies und die NATO-Ost-Erweiterungen haben das Sicherheitsbedürfnis Russlands zunehmend unterminiert. Neben der Bewältigung der Klimakrise sei ein weiterer großer Faktor für eine zukunftsfähige Sicherheitspolitik also, Beziehungen auf Augenhöhe zu führen. 

Zu ganz anderen Schlüssen kommt der Vertreter der Rüstungsindustrie, des Arbeitskreises für Wehrtechnik Schleswig-Holstein, Dieter Hanel. Der AK umfasst 30 Unternehmen der Rüstungsindustrie, allein 15 davon ortsansässig in Kiel. So verwundert also nicht, dass Hanels Verständnis von Sicherheit auf einer militärischen Sicherheit und auf Abschreckung basiert. Der Mann verdient sein Geld damit.

Den Grundpfeiler stellen daher leistungsfähige Streitkräfte dar.  Diese, so Hanel, würden menschliches Zusammenleben pflegen und sogar überhaupt nur ermöglichen. Für ihn erschafft militärische Sicherheit erst Freiräume und fördert somit Vertrauen. Die Art von Vertrauen, die er beschreibt, kann ich, im Gegensatz zu zwei Stimmen aus dem Publikum, hier nicht ganz nachvollziehen, die seine Forderungen an die Sicherheitspolitik noch durch die Forderung „Atomwaffen für alle Nationen“ übertreffen,. 

Dies sei für sie der einzige Weg, Frieden zwischen den Völkern herzustellen.  

Diese Forderungen wirken absolut grotesk und bisweilen irrational, denn die Analyse, so zum Frieden zu gelangen, ist nicht nur falsch, sondern unmöglich, da das Aufrüsten aller Völker zu Nuklearmächten den Planeten an das Ende seiner Ressourcen führen würde. Frieden ist hier lediglich in einem absoluten Fallout-Szenario vorstellbar, in dem die Bewältigung aller Reaktorkatastrophen bis zum Erreichen des Zieles die Menschheit und die Ökosysteme so lange und intensiv in Atem hielte, dass die Kapazitäten, um noch gegeneinander Krieg zu führen, schlichtweg fehlten.  

Eine Selbstverpflichtung von wissenschaftlichen Einrichtungen wie Universitäten, ausschließlich für zivile Zwecke zu forschen, eine Zivilklausel also, lehnt Hanel selbstverständlich mit Verweis auf die Freiheit der Forschung ab. Die Forschung muss also frei sein, für den Krieg forschen zu dürfen. Auch unter dem Leitspruch ‚Der Frieden ist das höchste Gut‘, Pax Optima Rerum – dem Leitspruch der CAU zu Kiel. 

Für Hanel und einige aus dem Publikum ist die Lage sehr eindeutig und die Welt leicht zu erklären. Sie ist stabil, solange der Rest der Welt nur den Westen fürchten muss und die Supermachtstellung der USA durch keine andere Macht in Frage gestellt werden kann. 

Die meisten Fragen werden an ihn und Ralf Becker von der Initiative ‚Sicherheit neu denken‘ gerichtet. Sie vertreten beide auch die jeweils kontroverseste Position. 

Ich fühle mich wie sinnbildlich an zwei Blöcke erinnert, die sich leider trotz Bemühungen nicht annähern können. 

Im Laufe der Auseinandersetzung wird versucht, die Anschuldigungen an ein kriegstreiberisches Russland in einem größeren Rahmen zu betrachten. 

Bisweilen gelingt das Ralf Becker durch fundiertes, geschichtliches Hintergrundwissen. 

Die Theologie verweist auf kollektive Traumata, die alle Völker bewältigen müssen, die allen Völkern gemein sind. Diese müssen aufgearbeitet werden, damit die Menschheit schlussendlich als ein global vernetzter Akteur den Klimakollaps verhindern kann.  

Das und Beckers Perspektive verschaffen der Problematik eine größere Komplexität als die von so vielen gewünschte vereinfachte Erklärung der Ereignisse. Die Einteilung der Welt in Ost und West, in Gut und Böse muss abgelegt werden, muss Geschichte werden und darf keine Geschichte mehr schreiben. 

Der Krieg in der Ukraine ist ein Verbrechen. Doch der Krieg darf nicht kompromisslos sein. 

Autor*in

Tim studiert Praktische Philosophie und ist seit Januar 2023 Teil der Redaktion.
MIt 13 Jahren hat er seine ersten Zeitungen verteilt und jetzt schreibt er selbst an einer mit; die er dann auch wieder verteilt.

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