‚Männlichkeit’ ist ein Wort, dem erhebliches Triggerpotenzial innewohnt. Frage ich den Duden nach einer Pauschaldefinition dieses Wortes, spuckt er mir „männliches Wesen“ als ersten Erklärungsversuch aus. Dabei weiß eigentlich jede:r, die:der im Deutschunterricht länger als eine Minute aufgepasst hat, dass ein Fremdwort nie durch ein Wort mit gleichem oder ähnlichem Verwandtschaftsgrad erklärt werden sollte.  

Auf die Frage, was denn unter „männlich“ zu verstehen ist, hat sich das Sprachenlexikon dann aber mit einem Querverweis vorbereitet.  
Männlich laut Duden ist Materie, die … 
… „dem zeugenden, befruchtenden Geschlecht zugehörig ist“, 
… „zum Mann als Geschlechtswesen gehört“, 
… „für den Mann typisch, charakteristisch ist“ 
und „dem grammatischen Geschlecht Maskulin zugehörend ist“. 
Im Zusammenhang mit dem grammatischen Aspekt taucht auch das erste Negativwort, als beschreibendes Adjektiv, auf: „stumpf“. 

Da saß ich also vor einem nüchternen Dudeneintrag. War die Suche nach Antworten aussichtslos? Da kam mir der Gedanke, direkt an die Männlich-Fühlenden heranzutreten. An diejenigen, die Männlichkeit vor allem etwas angeht. Auf meiner Suche nach Interviewpartnern wurde ich zunächst verhöhnt und veralbert, bekam kurze WhatsApp-Zeiler von diskutierfreudigen Personen à la „das ist die Frage nach dem Ursprung von Henne oder Ei“, „da wirst du aber viele Penisbilder kriegen“ oder „guck dir Football an, das ist Männlichkeit“. Spätestens als ich von der ersten Person blockiert wurde, zweifelte ich daran, ob ich diesen Beitrag je schreiben können würde. Nur vorsichtig trudelten ein paar Rückmeldungen ein, hinter denen Personen steckten, die nicht weniger erschlagen als ich selbst von dem philosophischen Denkansatz waren. 

Dem Aufruf folgten unterschiedliche heterosexuelle Cis-Männer mit einem durchweg liberalen Geschlechterbild. Um den Einstieg in die Thematik zu erleichtern, versuchte ich meine Interviewpartner mit teilweise polarisierenden Klischeegedanken an die Leitfrage heranzuführen. 

Die Namen wurden von der Redaktion geändert.


Welchen Beruf empfindest du als besonders männlich?


„Ich finde es viel männlicher, wenn ein Mann einem typischen Frauenberuf nachgeht. Diese Leute zeigen, dass es ihnen egal ist, ob sie einen typischen Männer- oder Frauenberuf ausüben. Und sie ihr Beruf nicht in ihrer Selbstwahrnehmung als Mann beeinträchtigt.“ Max, 22 Jahre 

„Ein Beruf mit heranwachsenden Kindern/Jugendlichen wie z. B. Betreuer, Jugenddiakon etc.“ Alexander, 22 Jahre 
 

„Personenschützer.“ Paul, 21 Jahre 

„Ich sehe keinen Grund dafür, der Männlichkeit einen Beruf zuzuschreiben. Wahrscheinlich rechnest du damit, dass ich nun Berufe wie Bauarbeiter:in oder Fußballer:in hier hinschreibe, aber das widerspricht meiner Grundeinstellung in Bezug auf Berufe und Geschlechter. Berufe in männlich und nicht männlich zu unterscheiden ist eines der Probleme unserer heutigen Zeit. Es gibt nicht den Beruf, der nur von Männern ausgeführt werden darf.“  Leon, 23 Jahre 

„Handwerker, Tischler.“ Tom, 22 Jahre 


Welche Sportart empfindest du als Inbild von Männlichkeit? 

„Aus klassischer Sicht Autosport, Fußball, Wrestling. Ich persönlich finde es schöner, wenn Männer auch tanzen, turnen und Volleyball spielen.“ Max, 22 Jahre 
 

„Eine Sportart, die meiner Meinung nach viele gute Seiten der Männlichkeit hervorbringt, ist Handball. Fußball ist der mit Abstand unmännlichste Sport. Natürlich hat Fußball auch gute Seiten, aber die Intoleranz, Habgier und hinterlistigen Manöver spiegeln all die Dinge wider, die ein Individuum, das sich als männlich erachtet, während seines Reifungsprozesses ablegen sollte.“ Alexander, 22 Jahre 

„Boxen.“ Paul, 21 Jahre 

„Ich denke, Männlichkeit wäre ein Teamsport. Wir können immer von den Menschen um uns herum lernen und unser Verhalten reflektieren. Daher würden in diesem Team aller Geschlechter vertreten sein. Alle zusammen verfolgen doch eigentlich dasselbe Ziel: Gemeinsam leben.“ Leon, 23 Jahre 

„Bodybuilding.“ Tom, 22 Jahre 


Wenn es DIE männliche Person gäbe, wie sähe sie deiner Meinung nach aus?

 
„Ich habe da keine wirkliche Vorstellung, ehrlich gesagt. Aus traditioneller Sicht wohl hochgewachsen, muskulös, emotionslos, selbstbewusst, erfolgsorientiert, durchsetzungsfähig, pflichtbewusst, fleißig, attraktiv.“ Max, 22 Jahre 

„Die männliche Person hat in meinen Augen kein spezielles Aussehen.“ Alexander, 22 Jahre 

„Das Erscheinungsbild hat für mich nur eine untergeordnete Rolle, aber Leggings sind für mich nicht männlich. Ich empfinde gepflegtes Auftreten und zuvorkommendes Verhalten als wichtig.“ Paul, 21 Jahre 

„Menschen haben immer ihren individuellen Stil. Das kann sich auf Kleidung, Charakter oder auch Lebensstile beziehen. Zum Thema Kleidung: Es ist mir ziemlich egal, was die Person anhat, ob sie sich schminkt oder sich die Nägel lackiert. DIE männliche Person ist aware. Sie ist sich dessen bewusst, was es heißt beispielsweise ein Cis-Mann zu sein (nachts durch schlechtbeleuchtete Orte zu laufen ist einfach weniger schlimm). Die Person setzt sich auch mit Dingen auseinander, die sie nicht direkt betreffen (z.B. Verhütung, Pille, Spirale und Kupferkette). Diese Person reflektiert das eigene Verhalten und hinterfragt es.“ Leon, 23 Jahre 

„Groß, breit gebaut, angenehme tiefe Stimme, Bart, Kurzhaarfrisur, einfühlsam.“ Tom, 22 Jahre 


Gibt es männliche Stereotype, die du ablehnst, dich eventuell sogar belasten?  

 
„Sobald Männlichkeit toxisch wird, wirkt sie auf mich nur noch abstoßend.“ Max, 22 Jahre 

„Fuckboys, die sich damit brüsten, mit wie vielen sie schon geschlafen haben. Personen mit großem Ego allgemein.“ Paul, 21 

„Ich habe so mein Problem mit übertriebenem Mackertum. Ich sehe häufig Cis-Männer, die sich verhalten wie Steinzeitmenschen. Männer, die schon vom Auftreten her andere einschüchtern wollen, um zu zeigen, wer hier der Chef ist, haben in meinen Augen den Schuss nicht gehört. Belasten tut mich so etwas nicht, ich habe nur einfach kein Verständnis für ein solches Verhalten.“ Leon, 23 Jahre 

„Das stereotypische Bild eines breitgebauten Mannes und zum Beispiel, dass ein Bart als Zeichen der Männlichkeit gilt.“ Tom, 22 Jahre 


Hattest du jemals Angst davor, dich in Situationen nicht männlich zu verhalten? 

„Nein, eigentlich nicht. Ich hatte oft Angst mich nicht so zu verhalten, wie ich es gerne würde und andere Menschen zu enttäuschen. Aber das hat, denke ich, nichts mit Männlichkeit zu tun.“ Alexander, 22 Jahre 

„Ich denke, dass die meisten Cis-Männer schon einmal in einer solchen Situation waren. Gerade in der Pubertät ist der Alltag gefüllt von solchen Situationen. Die Frage ist, wie das Ganze abgefangen wird oder vielmehr, was die Personen aus der Situation machen. ‘Sei mal keine Pussy’ zum Beispiel. Als Jugendlicher war das für mich Alarmbereitschaft. Wenn ich jetzt nicht XY mache, bin ich dann kein Mann? Ich habe aber mit der Zeit gut filtern können, was ich lieber nicht machen sollte. Und wenn ich keine Lust habe, etwas zu machen, dann mache ich es nicht, jenseits von irgendeiner ‚Männlichkeit’, die ich dann ‚verlieren’ könnte.“ Leon, 23 Jahre 

„Mich persönlich nervt es am meisten, dass man als Mann einen externen Druck hat, seine Gefühle nicht zeigen zu dürfen und zum Teil sowas wie ‚Man up!’ oder ähnliches abbekommt. Ich bin zum Beispiel mit diesem Gedanken groß geworden und konnte mich erst mit 20 Jahren bei meiner damaligen Freundin das erste Mal emotional öffnen. Vorher habe ich alles mit Absicht unterdrückt, was auch nur einem Gefühl nahekam.“ Tom, 22 Jahre 

„Ich würde sagen, dass ich zum Beispiel vor meinem ersten Mal Gedanken hatte in gewisser Weise ‚nicht männlich genug’ zu sein. Ich spiele American-Football und dort wird übertrieben männlich getan, erst habe ich das ironisch aufgenommen, aber es ist ernst. Beim Rumschreien, beim Sporttraining und Muskelzeigen.” Tom, 22 Jahre 


Gibt es Dos and Don’ts in Bezug auf Männlichkeit?

 
„Ich denke, ein Mann sollte seine Männlichkeit nicht zu ernst und wichtig nehmen. Es ist im Sinne nichts, was über der individuellen Persönlichkeit steht. Als Mann hat man ebenso ‚soft skills’ wie Frauen ‚hard skills’. Empathie ist keine Schwäche und Emotionen zuzulassen auch nicht. Sich dagegen zu wehren ist meiner Meinung nach nicht richtig. Andere dafür fertig zu machen erst recht nicht.” Max, 22 Jahre 

„Jemand anderes Freund:in anzugraben ist ein Don’t. Ein Do ist respektvolles Verhalten gegenüber Frauen.“ Paul, 21 Jahre 

„Im Freundeskreis wird eine gewisse Loyalität vorausgesetzt. Wenn eine männliche Person eine dumme Entscheidung trifft, spricht man sie humorvoll darauf an. Frauen reagieren auf sowas eher abweisend – Männer sind da meistens lockerer.” Alexander, 22 Jahre 

„Die Gesellschaft gibt einem da ja eine ungefähre Rolle vor. Ein riesiges No-Go meiner Meinung nach wäre meine physische Überlegenheit gegenüber jemandem auszunutzen, der schwächer ist und sich nicht wehren kann.“ Tom, 22 Jahre 


Was bedeutet Männlichkeit für dich? 

„Männlichkeit ist für mich nichts, was gänzlich festgelegt ist. Ich fühle mich männlich, weil ich mich selber so wahrnehme. Ich weiß, dass ich mich männlich finde, aber auch, dass einige das anders sehen.“ Max, 22 

„Männlichkeit bedeutet für mich, zu lernen, dass aus Handlungen Konsequenzen folgen. Deshalb ist es meiner Meinung nach wichtig, dass es für Kinder und heranwachsende Jugendliche verschiedene männliche Bezugspersonen gibt. Wahrscheinlich ist das, was ich als ‚männlich’ empfinde einfach eine Auflistung der Dinge, die ich an anderen Menschen positiv finde und die eigentlich gar nicht an das Geschlecht gebunden sind – zumindest aber die Dinge, an die ich mich selbst gerne halten möchte.“ Alexander, 22 Jahre

„Männlichkeit bedeutet für mich, in eskalierenden Situationen vorne zu stehen beziehungsweise, wenn es darauf ankommt, präsent zu sein. Zum Beispiel auf einer Party, wenn es aufgrund des Alkoholkonsums zu Problemen kommt. Im Zuge dessen sich auch eine zu fangen, egal ob psychisch oder physisch. Es bedeutet für mich aber auch, einen respektvollen Umgang untereinander und vor allem gegenüber Frauen zu haben. Männlich ist nicht das Versenden von Dickpics oder Kommentare gegenüber fremden Frauen abzugeben.”  
Paul, 21 Jahre 

„Ich empfinde es so, dass Männlichkeit von Sozialisation geprägt wird. Wie wird einem ein bestimmtes Verhalten vorgelebt? Damit meine ich Aussagen wie zum Beispiel: ‘Der Mann bringt das Geld ins Haus.’ ‘Ein Mann muss stark sein.’ ‘Männer weinen nicht.’ Sowas bringt uns nicht voran und schafft auch keine Gerechtigkeit zwischen Geschlechtern. Es ist nun mal so, dass Frauen, Inter-, Nichtbinäre-, Trans- und Agender-Menschen (Finta-Personen) in Teilen unserer Gesellschaft weniger Lohn, mehr Arbeit (also auch Care-Work) haben, weniger in der Politik vertreten sind und dazu einen schlechteren Stand in der Gesellschaft haben. Männlichkeit bedeutet für mich, sich Gedanken über das Patriarchat zu machen und zu reflektieren, welche Prozesse und welches Verhalten verantwortlich sind. Ich frage mich, ob ich mit meinem Verhalten meine marginalisierten Gruppen unterdrücke. Dann ist es nämlich ein gemeinsamer Weg in eine aufgeklärte Gesellschaft, die fair für alle und nicht nur für einige ist.“ Leon, 23 Jahre 

„Männlichkeit ist für mich irgendwie nicht so richtig greifbar. Es fällt für mich relativ nah mit dem physischen Aspekt zusammen, also: groß + stark + kräftig = männlich. Also würde ich es vom gesellschaftlichen Standpunkt eher als etwas Oberflächliches einordnen, vielleicht ein Stereotyp? Abgesehen davon hat für mich persönlich Männlichkeit auch etwas mit dem Verhalten zu tun. Beispielsweise wenn man mit Menschen respektvoll umgeht und quasi physische Vorteile, wie eine tiefere und dadurch besser hörbare Stimme, in Diskussionen anderen gegenüber nicht missbraucht.“ Tom, 22 Jahre 


Und jetzt? 

Was nehme ich aus dieser kleinen Umfrage mit? Ich bin zwar eine Cis-Frau, aber nicht zuletzt aufgrund meines Unisex-Vornamens, durch den ich zu 99 % fehlgegendert werde, setze ich mich sehr intensiv mit Geschlechter-Schubladen auseinander. Natürlich gibt mir dieser Bezug nicht das Recht, über die Männlich-Fühlenden zu urteilen oder gar für sie zu sprechen. Trotzdem möchte ich an dieser Stelle ein kurzes Fazit ziehen. Ich bin immer noch überrascht über die Resonanz und wirklich beeindruckt, wie tief ich Einblicke bekommen durfte.  

Als Außenstehende verhalte ich mich häufig, trotz meiner Abscheu für Schubladendenken, wenn man so will noch “erzkonservativ”. Dieses Kategorisieren, für das ich mich schäme, passiert mir ganz unbewusst und ungewollt. Und das Traurige ist, dass ich denke, dass ich damit kein Einzelfall bin. Durch das mediale Geschlechterbild – bei dem auch die Damenwelt nicht gut abschneidet und auf ein paar wenige Eckdaten runtergebrochen wird – und unsere Erziehung wachsen wir in einer stereotyp-geprägten Matrix auf. Das suggerierte Bild des ‚starken’ Kerls, der nicht über seine Gefühle redet, als Inkarnation von Männlichkeit nehmen viele von uns fast schon passiv auf. Mit dem Blick hinter die Kulissen haben die Interviewpartner mir gezeigt, wie toxisch Stereotypen sein können, aktiv und passiv. 

Mir ist klar, dass diese Umfrage nur einer Stichprobe gleichkommt und nicht wirklich repräsentativ ist, aber vielleicht ist sie für die eine oder den anderen unter uns ein Anfang für einen Perspektivenwechsel oder ein Fünkchen Mut, sich zu öffnen. Wenn ich ehrlich bin, dann habe ich so viel reflektiertes Mischfeedback nicht erwartet und bin positiv überrascht. Männlichkeit ist vielschichtig und hört nicht an der Stoffhülle auf und fängt auch nicht bei muskulösen Schultern an. Lasst uns doch vielleicht gemeinsam umdenken und uns von Stereotypenschubladen verabschieden, was meint ihr? 


Hast du Lust noch mehr über Männlichkeit zu philosophieren? 

Da dieses Thema so viel Anklang gefunden hat und diese Thematik den Rahmen gesprengt hätte, hier ein Angebot: Du hast Lust über Männlichkeit zu philosophieren und dich untereinander mit Jungs auszutauschen? Dann folge unserer Einladung zum sogenannten Buddy-Read, d.h. auf Oma-Deutsch „Lesezirkel“ mit Diskussion. Gelesen wird das Buch Sei kein Mann: Warum Männlichkeit ein Albtraum für Jungs ist von J.J. Bola. Angedacht ist das Sommersemester. Melde dich gerne unter redaktion@albrecht.de 

Autor*in

Tjorven studiert im 5. Fachsemester Agrarwissenschaften in der Fachrichtung Nutztierwissenschaften. Neben der Uni ist sie als freie Schriftstellerin und Journalistin aktiv. So oft wie möglich ist sie zwischen dem lieben Vieh, oder auf dem Traktor zu finden.

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