Es fällt mitunter schwer, der Vergangenheit nicht nachzutrauern. Unbeschwerte Tage der Kindheit, die Aufregung erster Male: alleine Autofahren, einen Schulabschluss schaffen, verlassen werden, jemanden küssen, Liebe, Haustiere beerdigen, Großeltern beerdigen, absurde Aufzählungen zu Papier bringen. Unsere mehr oder weniger leitende Funktion innehabende Popkultur tut außerdem ihr Bestes, uns nicht vergessen zu lassen, wie gut das früher eigentlich alles war. Dauernd sind da die 90er Parties, 80er Parties, alles ist Retro oder gar Vintage, manche verzichten auf Essen, zu dessen Erzeugung Landwirtschaft nötig wäre, eine Viertelmillion Wahlberechtigter geht in Sachsen-Anhalt sogar so weit und hört einfach mal ganz mit dem Denken auf.

Wir machen uns konstant vor, dass es früher besser gewesen wäre. Die gerade im Aufschwung begriffene Generation zum Beispiel wird über die 1990er Jahre so hart/feucht, es ist kaum noch auszuhalten. Das wäre ja eigentlich nicht weiter schlimm, nur leider findet hier keine Rückbesinnung im Form einer Renaissance statt, die Fortschritt schafft. Die aktuelle Retrowelle wird von Menschen bestimmt, die die 90er, wie jeder, der sich erinnert, sehr selektiv rezipieren und zielsicher immer das schlechteste auswählen. Bist du heute Mitte Zwanzig, warst du damals einfach zu jung, um anspruchsvollere Lieder als Wannabe zu verstehen.

Als dein Englisch endlich gut genug war, haben Oasis schon keine gute Musik mehr gemacht. Das erste Interesse für Politik kam zu einem Zeitpunkt, als 16 Jahre Fruktokratie gerade zu Ende gingen in Deutschland. Falco war schon tot, bevor dir jemand einreden konnte, Rock Me Amadeus sei die Krone seines Schaffens. Doch der Popkultur ist das egal, Hipster auf Mate tanzen auch zu Ace of Base – korrigiere: Hipster stehen mit Mienen, die kaum mehr Kritik ausdrücken könnten am Rand, während ihr euch einen abstrappelt, als hättet ihr zum ersten Mal ungestreckte Drogen genommen.

Aber ganz genau genommen ist der Hipster auch schon wieder tot. Bereits am 2. Januar 2014 mahnte Vice seine Leserschaft, den Begriff zu meiden. Geht man durch die Straßen einer jeden deutschen Großstadt, so trifft man dennoch auf viele Menschen, die dem Stereotyp entsprechen. Individualisten um jeden Preis, die sich dennoch oder gerade dadurch, dass sie individuell sein wollen, gleichen. Die Mujahedin hatten im Krieg gegen die Sowjets keine Uniform, wie sie die rote Armee hatte, dennoch waren sie durch Turban oder Pakol sowie Kalaschniknow-Sturmgewehr eindeutig zu erkennen.

Die Menschen, die Vice und bis vor zweieinhalb Jahren ‚Hipster‘ nennen lies, tragen große Brillen mit dünnem Goldgestell und Wollpullover, ihre AK ist die Mateflasche. Längst scheint der Trend des Hipstertums und Individualismus abgelöst. Im Herbst 2013 beschrieb die Trendforschungsagentur K-Hole eine neue Attitüde der jungen Menschen und gab ihr, in Anlehnung an ein 2009 zuerst dokumentiertes Modephänomen den Namen ‚Normcore‘. Hier ist Dazugehörigkeit und Gleichartigkeit Ziel. Es ist nicht mehr cool, Coldplay zu hassen, man steht zur Band. Weiße Tennissocken werden zum Modeaccessoire, genau wie Baseballmützen mit gebogenem Schirm. Als Gegenbewegung zum Individualismus entstanden, scheint Normcore nun auserkoren, der neue Trend zu sein. Modezeitschriften sind schon aufgesprungen.

Der Individualismus der 2000er, der den Hipster gebar, entsteht durch die Fusion von Konsens und Ablehnung, das ist der Grundstein des Pop. Ein junger Herr mit stets kurzen Haaren hat vor gut 17 Jahren dazu einiges gesagt, das Buch ist beim List Verlag erschienen.

Autor*in

Paul war seit Ende 2012 Teil der Redaktion. Neben der Gestaltung des Layouts schrieb Paul gerne Kommentare und ließ die Weltöffentlichkeit an seiner Meinung teilhaben. In seiner Freizeit studierte Paul Deutsch und Anglistik an der CAU.

Share.
Leave A Reply