Das Semester neigt sich langsam dem Ende zu und die Klausurenphase steht an. Was das bedeutet? Es ist ganz plötzlich wieder genug Zeit, die Wohnung ordentlich zu putzen, die ein oder andere neue Serie für sich zu entdecken oder eben auch, sich auf dem Weg zur perfekt ausformulierten Hausarbeitsfrage über Themen den Kopf zu zerbrechen, die die Welt nicht braucht. Eine dieser Fragen lautet „Was war eigentlich zuerst da – das Huhn oder das Ei?”. Wer hat sich darüber noch nie den Kopf zermartert? 

Um des Rätsels Lösung zu erhalten, hat DER ALBRECHT bei zwei Expert*innen an der Uni nachgefragt und sehr unterschiedliche Antworten erhalten. 


Dr. med. vet. Irena Czycholl (Agrar- und Ernährungswissenschaften) 

Bild: Irena Czycholl

Diese Frage ist tatsächlich leicht zu beantworten: Natürlich das Ei. Zumindest wenn man an die Evolutionstheorie glaubt, was ich definitiv tue. 

Evolutionsgeschichtlich betrachtet war nämlich lange vor dem Huhn, das ja ein Vogel ist, das Reptil. Und Reptilien legen Eier. Aus Reptilien haben sich dann letztlich Vögel entwickelt, stark vereinfacht dargestellt. Die Zwischenform stellt der sogenannte Archaeopterix dar. Dieser legte ebenfalls Eier. Viele, viele Jahre später entwickelte sich dann irgendwann basierend auf diesem Vorläufer unter anderem das Huhn – natürlich aus einem Ei.  

Manchmal ist Wissenschaft einfach und nüchtern. Wer es komplizierter mag, möge bitte einen Philosophen dazu befragen. 


Dr. Ole Kliemann (Philosophie) 

Bild: Ole Kliemann

Der Beitrag der Philosophie besteht in vielen Fällen weniger darin, dass sie Antworten gibt – das kann sie meistens nicht – , als dass sie hilft, die Frage richtig zu stellen. Wer fragt, was zuerst da war, das Huhn oder das Ei, der will ja nicht wirklich eine Antwort in der Form: „Das Ei“, oder etwa: „Das Huhn“. Wahrscheinlich könnte man für beide Antworten gute Argumente und Gründe finden. Aber das ginge eben an der eigentlichen Frage vorbei. 
 
Worum geht es also eigentlich? Wir wissen, Hühner schlüpfen aus Eiern; das Ei ist also die Ursache für das Huhn. Gleichzeitig wissen wir, Eier werden von Hühnern gelegt; das Huhn ist also die Ursache für das Ei. Das Paradoxe an der Frage ist die zirkuläre Kausalität, die sich offenbart. Unser Verstand ist darauf programmiert, lineare kausale Zusammenhänge zu finden, greift hier aber ins Leere. Das fasziniert uns an der Frage: Es gibt keine sinnvolle Antwort darauf. Zumindest so lange nicht, wie man an einem rein kausalen Denken festhält. 
 
Und genau hier kommt die Philosophie ins Spiel. Die Frage lautet dann nicht: Was war zuerst da, womit hat es alles angefangen? Vielmehr ist die Frage, wie es kommt, dass in sich abgeschlossene Systeme wie das von Huhn und Ei, die keinen Anfang zu haben scheinen, trotzdem sein können. 
Wie kann man so etwas denken? Und was heißt es, selbst Teil eines solchen Systems zu sein? 
Denn schließlich lässt sich die Frage nach Huhn und Ei ja ausdehnen auf das Leben in seiner Ganzheit. 
 
Das sind natürlich erst recht keine einfachen Fragen. Und es ist mehr als fraglich, ob irgendjemand Antworten darauf geben kann. Die Leistung der Philosophie ist hier eher eine therapeutische: Wir lernen, abzulassen von den Fragen, die uns verwirren, und stattdessen den Blick zu richten auf die, die uns in Erstaunen versetzen. 
 

Autor*in

Kristin studiert Soziologie und Politikwissenschaft. Sie ist seit Ende 2018 beim ALBRECHT und war im Jahr 2020 Ressortleiterin der "Hochschule". Außerdem unterstützt sie das Lektoratsteam.

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