Es rattert, als die Räder mit ungewohnt deutlich zu spürender Wucht auf der Rollbahn des Moshoeshoe I International Airport nahe der Hauptstadt Maseru aufsetzen. Aus einem der runden Fenster der kleinen Zwanzig-Passagier-Maschine sehe ich das Flughafengebäude. Es ist nicht besonders groß, auch gibt es hier keinen Zaun. Ich könnte also genauso gut um die Mauern herum laufen, um mich in Lesotho zu befinden – dann aber illegal.

Lesotho ist ungefähr so groß wie Belgien. Vollständig umrandet von Südafrika ist es die größte Enklave der Welt. Während in Belgien jedoch 369 Einwohner auf einen Quadratkilometer kommen, sind es in Lesotho 64. Grund dafür ist unter anderem Lesothos besondere Eigenschaft: Es hat den höchsten tiefsten Punkt der Erde. Das gesamte Staatsgebiet des „Kingdom in the Sky“ liegt über 1390 Metern. Die größten Städte und meisten Einwohner befinden sich auf dem westlichen Streifen des Landes, den so genannten Lowlands, die mit 1400 bis 1700 Metern über dem Meeresspiegel deutlich besser bewohnbar sind, als der restliche Teil Lesothos: Flusstäler, Bergketten und die berühmten Drakensberge durchziehen den Osten des Landes. Hier ist auch der „Highest Pub in Africa“ zu finden, der mit seinen 2874 Metern Höhenlage eine maximale Herausforderung für Pub Crawl Fans darstellt. Neben dem Verzehr des landestypischen, eisgekühlten Maloti-Biers in luftiger Höhe, lädt das Mountain Kingdom ein zum Bergsteigen, Ponytrekking, Mountainbiking und ja, Skifahren. Tatsächlich schneit es in Lesotho, dank der Höhenlage.

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Vor vier Jahren betrat ich das erste Mal lesothischen Boden. Über 14 600 Kilometer von dem Ort entfernt, den ich Zuhause nenne, sollte ich für ein Jahr in einem kleinen Dorf namens Malealea leben und in einer Nichtregierungsorganisation arbeiten. Drei Stunden fuhr ich mit meiner neuen Chefin im ‚Bakkie‘, einem Pick-up, Richtung Malealea, während am Straßenrand kleine Verkaufsstände, Kühe, weite, trockene Felder, Berghügel, allmählich blühende Bäume und auf den Sommer wartende, in Decken gehüllte Menschen an uns vorbeizogen. Dass es hier anders als in Deutschland aussehen würde, wusste ich. Umso spannender war es, „anders“ endlich mit eigenen Augen zu sehen. Angekommen in Malealea, quälte sich der Bakkie die Geröllhänge hinauf – dem Allradantrieb sei Dank – bis wir schließlich mein neues Zuhause erreichten. Ausgerüstet mit dem obligatorischen ‚Backpack‘, Wanderschuhen und dem Wissen, mit dem der entwicklungspolitische Freiwilligendienst weltwärts seine so genannten ‚Volunteers‘ in ausführlichen Vorbereitungsseminaren ausstattet, war ich nichtsdestotrotz alles andere als vorbereitet auf den freudig wartenden Kulturschock: Eine vielleicht zehn Quadratmeter große Rundhütte mit Strohdach, einem Gitter vor der blau gestrichenen Tür und zwei kleinen Fenstern auf der Sonnenseite lag vor mir. Ich öffnete die Tür. In der Hütte standen ein rostiges Metallbett mit Matratze und ein Tisch. Kein Stuhl, kein Schrank, kein Herd, keine Dusche, kein Waschbecken, keine Toilette, kein Licht. Aber staubiger Boden und ein penetranter Geruch nach Feuer. Monate später erzählte mir meine Chefin, dass ich dermaßen geschockt in das Innere der Rundhütte gestarrt hätte, dass sie glaubte, ich würde sofort wieder verschwinden. Ich blieb.

Es dauerte ein paar Wochen, dann gewöhnte ich mich an das tägliche Wasserholen am Brunnen am Ende des Gartens der Familie, auf deren Grundstück ich wohnen durfte; den Feuergeruch hatte ich längst lieben gelernt. Ich machte es mir gemütlich in meiner Hütte: Bei Kerzenlicht bastelte ich mir nach der Arbeit einen Schrank aus Pappkartons und hängte einen Ast als Kleiderstange unter die Decke. Zum Essen ging ich oft ins Haus meiner Gastfamilie. Sie hatten einen Herd und kochten Brei, Reis oder das Nationalgericht ‚Papa le moroho le nama‘, eine aus Maismehl hergestellte Polenta, mit regionalem Gemüse, in unserem Fall frischer Spinat aus dem Garten, und Hühnchen. Geradezu himmlisch kam mir jedoch das Hefebrot ‚Lipapata‘ vor, das es auf dem Dorfplatz zu kaufen gab und mir in dieser Form in bisher keinem anderen Land begegnete. Typisch Lesotho sind außerdem ‚Makoenya‘, zu Englisch ‚Fatcakes‘, was die in Fett gebackenen Teigbälle ziemlich treffend beschreibt. Für nur 10 Cent das Stück sichern sie das Mittagessen auch für die, die nur wenig Geld übrig haben.

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Während es in der Hauptstadt Maseru ähnlich wie in vielen westlichen Städten zugeht, war Malealea für mich jedoch stets Sinnbild des ruralen Lesothos. Auf meinen Wegen durch das Dorf sah ich nicht selten einen Hirtenjungen in der Ferne. Eingehüllt in blaue, rote, oder gelbe Decken hüten sie das Vieh. Basotho-Decken sind besonders warm, jedoch teuer. Sie werden verschenkt, wenn die Kinder erwachsen werden. Leider bedeutet Hirtenjunge sein, nicht zur Schule gehen zu können. Kostenlose Bildung kann im Land, das auf dem Human Development Index auf Rang 162 von 187 liegt, noch nicht gewährleistet werden. Auf meinem Fußmarsch zur Arbeit über tatsächlichen Stock und Stein, begegnete ich jedoch auch anderen Dorfbewohnern. Das lesothische Volk heißt Basotho, eine Person Mosotho und alle zusammen sprechen sie Sesotho. Da ich jünger war als die meisten, war es an mir, zuerst zu grüßen. Männer und Frauen, die verheiratet sind, oder einen gewissen Reifegrad erreicht haben, werden mit Vater und Mutter angesprochen: „Lumela Ntate, lumela M‘e“ – Hallo Vater, hallo Mutter. Jungs und Mädchen werden zu Bruder (Abuti) und Schwester (Ausi). Junge Leute unter sich verwandeln die Förmlichkeit meist in ein einfaches „wie geht’s“: „Ho joang?“ – „Sharp, sharp“ aus dem Englischen ist dabei immer die richtige Antwort.

„Kea leboha haholo“ denke ich, als ich ein Jahr später wieder in die Zwanzigpassagiermaschine steige: Meine Dankbarkeit, dieses Land erlebt haben zu dürfen, ist riesig. Mit Lesothos Landschaft, Kultur und seinen Menschen ließen sich Bücher füllen. Am allerbesten jedoch leere Reisepläne.

Autor*in

Leona ist seit Juni 2014 Teil der Redaktion und war von Dezember 2014 bis Februar 2017 Chefredakteurin der Print-Ausgabe des ALBRECHT. Anschließend leitete sie die Online-Redaktion bis Mitte 2018. Leona studiert Englisch und Französisch an der CAU, schreibt für verschiedene Ressorts der Zeitung und kritisiert Land, Leute, Uni und den Status Quo ebenso gerne wie Platten.

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