Eine Reise ins Land von Minztee, Couscous und Kamelen

Überraschend grün. Mein Blick schweift noch im Landeanflug auf den Flughafen nahe der Stadt Casablanca über fruchtbare Felder bis zu schneebedeckten Gipfeln in der Ferne. Wie Puzzleteile fügen sich die kleinen Höfe und bunt gefleckten Wiesen zu einem Flickenteppich zusammen. Das also ist Marokko: Vor meiner Reise dachte ich bei diesem Wort wie Antoine St. Exupéry an Wind, Sand und Sterne. Meer tauchte in meiner Vorstellung dieses orientalischen Landes höchstens in Form von Wüstenschiffen auf – ziemlich naiv, wie sich herausstellte.

Statt Wüste und Nachthimmel gab es für mich und eine Freundin auf der zweiwöchigen Reise durch dieses Land größtenteils Meer und Berge zu sehen. Denn Gebirge sind allgegenwärtig in Marokko, Ketten mit bis zu mehr als 4 000 Metern Höhe ziehen sich durch das gesamte Land; bei gutem Wetter, an dem hier kein Mangel herrscht, sind sie selbst von vielen Stellen der fast 2 000 Kilometer langen Küste in der Ferne zu sehen.

Marokko 1

Auch in Marrakesch, der spirituellen Hauptstadt des Landes, lassen selbst bei staubigen 30 Grad Celsius die schneebedeckten Gipfel des hohen Atlas eine frische Brise erahnen. Obwohl hier zu jeder Saison Horden kulturbeflissener Urlauber aus aller Welt in den Monumenten vergangener Sultan-Dynastien ihr Unwesen treiben, haben sich die Bewohner der Metropole einen traditionellen Lebensstil bewahrt: Ein Gegensatz, der sich besonders auf dem Djemaa el Fna, dem zentralen Platz der Stadt, zeigt. Der Duft gegrillter Lammspieße weht von zahlreichen Essensständen über den Platz. Unzählige Schlangendompteure, Musiker, Henna-Künstlerinnen und Geschichtenerzähler bieten hier zum Einbruch der Dunkelheit ihre Dienste an. Es könnte sich auch um eine perfekte Inszenierung für Tourist*innen handeln, doch schon auf den ersten Blick zeigt sich, dass die meisten Besucher tatsächlich Marokkaner sind, die hier den Abend nach der Arbeit ausklingen lassen. Der Gender-Star fehlt hier allerdings gewollter Weise, denn obwohl zwar vereinzelt marokkanische Frauen in männlicher Begleitung zu sehen sind, hüten traditionellerweise viele Frauen noch das Haus und begeben sich ab Einbruch der Dunkelheit nicht mehr nach draußen. Doch gerade für Analphabet*innen, deren Anteil an der Bevölkerung traurigerweise trotz Bildungsprogrammen immer noch 30 Prozent beträgt, bieten die arabisch sprechenden Geschichtenerzähler eine Möglichkeit zur Unterhaltung abseits von untertiteltem Kino und Büchern. Auch die umliegende Altstadt, die Medina, bietet zahlreiche Kontraste. Während im futuristischen Straßencafé eine Mischung aus marokkanischen Jugendlichen und Backpackern vegetarische Pizzen für umgerechnet zwei Euro verspeist, dekoriert auf der gegenüberliegenden Seite der Schlachter sein Schaufenster mit abgeschnittenen Rinderfüßen und Schafsköpfen; nebenan kocht eine Frau auf einem Holzkohlefeuer das delikate Schmortopf-Nationalgericht Tajine.

Eine kleine Enttäuschung war hingegen der vermeintliche Sehnsuchtsort Casablanca. Wer hier Flair und Romantik des gleichnamigen Films sucht, muss sich viel Mühe geben. Die Millionenstadt am Atlantik ist das Wirtschaftszentrum Marokkos, mit ungefähr vier Millionen Einwohnern leben hier fast fünfmal so viele Menschen wie in der Hauptstadt Rabat. Doch an klassischen Sehenswürdigkeiten gibt es abgesehen von der drittgrößten Moschee der Welt nicht viel zu bestaunen. Dieses imposante Gebäude wurde wohl in Anlehnung an Venedig mit viel italienischem Marmor auf Pfählen im Wasser des Atlantiks am Strand gebaut, allerdings erst in den 1990er Jahren. Das macht das Gebäude mit Plätzen für 20 000 Menschen zwar nicht weniger beeindruckend, die als Säulenfüße getarnten Lautsprecher irritieren aber doch etwas im sonst eher kathedralenartig gehaltenen Stil des Bauwerks. Im Vergleich zum Rest des Landes kommen wenige Touristen nach Casablanca, sodass es hier kein Problem ist, unbehelligt von Souvenirverkäufern einen Café au lait zu trinken und das geschäftige Treiben in der Innenstadt zu beobachten. Einziges Manko: Genauso gut könnte man in jeder europäischen Innenstadt sitzen. Anzugträger und Damen im Kostüm eilen zur Arbeit oder halten für ein schnelles Frühstück aus Croissant oder Baguette am Tresen. Von der Pariser Innenstadt unterscheidet sich die Szenerie nur durch die etwas heruntergekommenere französische Kolonialarchitektur und den drei Stunden längeren Flug. Im Rest der Stadt geht es dagegen ganz anders zu, hier finden sich fast ausMarokko 2schließlich traditionelle Cafés, die nur von Männern besucht sind, die hier ihre Freizeit mit Pfefferminztee, Rauchen und Fußball schauen verbringen. Für Frauen sind diese Cafés tabu, was die Nahrungsaufnahme sowie das Wohlgefühl abseits des Zentrums deutlich erschwert.

Gerade in zwei Küstenstädten bietet sich ein ganz anderes Bild, jedoch auf unterschiedlichste Weise. In Agadir und Essaouira sind ganze Stadtteile nahezu ausschließlich von Touristen bevölkert. Essaouira hat wahrscheinlich fast jeder schon einmal auf der Leinwand als Kulisse einer mittelalterlichen orientalischen Stadt erblickt – wie zum Beispiel in Lawrence von Arabien oder Game of Thrones. Während die wunderschöne Altstadt erst in den letzten Jahren zu einem Must-See in Marokko avanciert ist, ist Agadir ein Pauschalurlaubsziel wie aus dem Reisekatalog geschnitten. Wer sich nicht für Hotelarchitektur der 1980er Jahre interessiert oder mit schnödem Strandurlaub – am zugegeben famosen Strand – zufrieden gibt, ist hier falsch. Umso schöner ist stattdessen die Umgebung der Bettenburg: Im Süden locken die Ausläufer des Anti-Atlas, wo selbst im März schon bei soliden 25 Grad Celsius Wanderungen und Klettertouren durch wüstenähnliche Natur inmitten von Granitfelsen locken. Im Norden bezwingen Surfer die großen Wellen einer der wenigen auch von Kamelen bevölkerten Küstenabschnitte in Mittelstreckenflugnähe zu Europa. Nur 40 Kilometer landeinwärts lockte eine atemberaubende Landschaft schon in den 1970ern Hippies zum Überwintern an. Von Dattelpalmen umgeben mit den Füßen im Fluss sitzend und an einem frischen Orangensaft schlürfend, lässt sich erahnen, warum sie dieses Tal mit dem Namen Paradise Valley versehen haben. Wenn dann die Sonne langsam und riesig hinter den Bergen verschwindet, macht auch die offizielle Landesbezeichnung, die übersetzt ‚Land des Sonnenuntergangs‘ bedeutet, ihrem Namen alle Ehre.

 

Autor*in

Eva ist seit November 2015 in der Redaktion. Sie studiert Biochemie und Molekularbiologie an der CAU. Als Ressortleiterin hat sie sich bis Anfang 2019 um den Hochschulteil der Zeitung gekümmert, mittlerweile schlägt ihr Herz für Online.

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