Impressionen vom Wacken Open Air 2014

Festivaljahre sind Hundejahre. Diese Erkenntnis legt zumindest ein Besuch auf dem 25. Wacken Open Air nahe – präsentiert sich die Veranstaltung doch weitgehend eben nicht jung und dynamisch, sondern legt viel mehr das Verhalten eines alten Mannes an den Tag, der seine Absichten stur durchdrückt und dem es herzlich egal ist, ob andere diese für Unsinn halten. Beispiel gefällig? Die neuangeordneten Eingänge zum Festivalgelände zwingen etwa das Publikum nicht nur, unnötige Irrwege über die Campgrounds zu absolvieren, sie lassen sich auch optisch nicht mehr von den Ausgängen unterscheiden, wodurch sich so manches Anstehen als vergeblich erweist. Großvater, was hast du dir nur dabei gedacht?

Trotzdem bedeutet Alter auch Erfahrung und die wird nirgendwo höher geschätzt, als in der Festivalbranche – außer im Heavy Metal natürlich. Das Sinnbild hierfür stellen Motörhead dar, die als ewige Headliner für Wacken sind, was der Mount Rushmore für Amerika ist: Nach Konzertabbruch wegen Schwächeanfall im letzten Jahr und Einbau eines Herzschrittmachers zieht Frontmann Lemmy Kilmister seinen Rock ‘n Roll-Stiefel 2014 wieder durch, als wäre nie etwas gewesen. Virtuos ist das natürlich nicht, offenbart aber ein Selbstverständnis und eine Entschlossenheit, wie man sie nur bei denen findet, die sich einer Sache über Jahrzehnte weg verschrieben haben. Hier zeigt sich das tiefsitzende Arbeiterklasse-Ethos, das dem Heavy Metal ursprünglich immanent war: Der Laden wird am Laufen gehalten, weil es keine Alternative gibt, weil nun einmal der verdammte Job ist – als die Band Mitte der 1970er anfing, waren Burnout und Altersteilzeit schließlich noch Fremdworte. Man kann nicht anders als Staunen über so viel Unverwüstlichkeit.

Wacken steht im Zenit, scheint 2014 aber noch hell und klar. (Foto: Heiko Bannick)
Wacken steht im Zenit, scheint 2014 aber noch hell und klar (Foto: Heiko Bannick)

Dass das Setzen auf Senioren nicht immer Garant für eine denkwürdige Show ist, zeigte sich hingegen einen Tag zuvor bei Accept, den deutschen Urgesteinen des Metal: Es hatte schon etwas Museales, wie hier Stücke von 1982 reproduziert wurden. Das mag den geneigten Historiker zu einem genaueren Blick verleiten, den Nacken bringt es leider kaum in Bewegung. Überhaupt erinnerte das Konzert unangenehm an einen Geburtstag im Altersheim: Da kommt die Familie noch einmal zusammen um mit Ur-Oma zu jubilieren und simuliert Ausgelassenheit, während die Gefeierte gar nicht mehr mitbekommt, was eigentlich um sie herum passiert. Irgendwie traurig.

Auch der Sound wirkt über weite Strecken, als wäre er vorzeitig in die Jahre gekommen. Klar, der Heavy Metal leidet generell unter einer gewissen Schwerhörigkeit, weshalb die Lautstärke auch dieses Jahr wieder ohrenbetäubend ist und die Double-Base wummert, dass den Dubstep-Kids glatt der Hipster-Vollbart aus dem Gesicht fällt. Dagegen leidet, wie das im Alter nun einmal so ist, die Aussprache: Wenn das Mikro nicht gerade zu leise ist, werden die Ansagen in die Gesichtsbehaarung genuschelt, dass selbst ein auf elf gedrehtes Hörgerät keine Hilfe mehr darstellt. Am schlimmsten ist dies traditionell bei den Ansprachen der Veranstalter Holger Hübner und Thomas Jensen, bei deren Gestammel man sich schon einmal fragt, ob es sich hier um einen in Vergessenheit geratenen Wackener Dialekt handelt oder doch eher um die Folgen eines Schlaganfalls.

Wo sich die jungen den alten zu Füssen legen - Motörhead auf Wacken.  (Foto: Heiko Bannick)
Wo sich die jungen den alten zu Füssen legen – Motörhead auf Wacken.
(Foto: Heiko Bannick)

Warum Wacken dennoch so beliebt ist und das Festival einen Umsatz abwirft, dass sich Hübner und Jensen allein mit den Erlösen aus den T-Shirt-Verkäufen 2014 je ein eigenes Altenheim kaufen könnten, liegt auf der Hand: In der alten Brust schlägt ein hart-rockendes Herz, dass jeder Wummern hört, der am ersten Wochenende auch nur in die Nähe des berühmten Dorfes kommt. Oder um es mit anderen Worten zu sagen: Opa weiß es halt am besten. Heute wie vor 25 Jahren.

Die Festivalsaison ist noch nicht vorbei

Wer noch Bedarf an Metal unter freiem Himmel hat, dem sei an dieser Stelle das Ackerfestival in Kummerfeld bei Pinneberg empfohlen, am Samstag den 6. September spielen dort mit Kadavar und Space Chaser zwei herausragende Vertreter ihres Genres. Wer hingegen frische Luft und Sonne eklig findet, dem sei ausdrücklich das Metal Hammer Paradise im Ferienpark Weissenhäuser Strand ans Herz gelegt: Am 14. und 15 . November treten hier gut 25 Bands in drei Indoor-Locations auf, Unterbringungen in Hotelzimmern oder Bungalows sind im Ticketpreis enthalten. Angekündigt haben sich bereits Größen wie Gamma Ray, Amorphis oder Satyricon. Und zu guter letzt: Das 26. Wacken Open Air findet vom 31. Juli bis 1. August statt. Das muss allerdings keinen mehr interessieren – die 75.000 Karten sind nach einem Tag ohnehin restlos ausverkauft.

Für die Unterstützung an diesem Artikel dankt der Autor dem traditionsreichen Wacken-Camp „120 Schweine“, besonders Heiko Bannick, Marc Neubauer und Lars Rubel.

Autor*in

Janwillem promoviert am Institut für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft. Er schreibt seit 2010 regelmäßig für den Albrecht über Comics und Musik, letzteres mit dem Schwerpunkt Festivalkultur.

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