Die Klimabewegung sollte fossiles Kapital effektiver bekämpfen

Am 15. März 1920 steht in Deutschland das gesellschaftliche Leben still. Im Zuge des Kapp-Putsches, der den Sturz der jungen Weimarer Demokratie zum Ziel hatte, rief die geflohene Regierung unter Friedrich Ebert zum Generalstreik auf. Fast die gesamte werktätige Bevölkerung legt die Arbeit nieder. Der größte Generalstreik der deutschen Geschichte ist ein Erfolg: Innerhalb weniger Tage scheitert die Konterrevolution der reaktionären Freikorps-Putschisten.  

Rund hundert Jahre später, am 3. März 2023, wird wieder gestreikt. Jedoch hat nicht die Regierung mobilisiert, sondern Fridays for Future (FFF). Anders als damals geht es zumindest nicht direkt um unsere Demokratie, sondern um die materielle Lebensgrundlage unserer Spezies. Und anders als vor einem Jahrhundert steht das gesellschaftliche Leben leider nicht still.  

Die Klimabewegung befindet sich in einer Strategiekrise. Nach wie vor geht es für sie in erster Linie um Aufmerksamkeit. Klimastreiks, die keine wirklichen Streiks sind, weil die Produktion nicht unterbrochen wird oder Protestaktionen wie die der Letzten Generation sind durchaus geeignete Mittel, um der Öffentlichkeit die Klimakatastrophe immer wieder vor Augen zu halten. Jedoch sind wir schon längst über den Punkt hinaus, auf die Notwendigkeit des Klimaschutzes hinweisen zu müssen. Eine große Mehrheit der Bevölkerung hat begriffen, dass es so nicht weitergehen kann. An diejenigen, die fast schon pathologisch leugnen und nie ihre Augen öffnen werden, braucht man keine Energie zu verschwenden. Trotzdem verbrennt unser Wirtschaftssystem weiterhin Unmengen fossiler Brennstoffe. Wie kann die Klimabewegung angesichts dieser Diskrepanz zwischen Öffentlichkeit und Ökonomie effektiv intervenieren? Durch Streiks und, ja, Sabotage. 

Ein Streik ist deshalb erfolgreich, weil er den Produktionsprozess lahmlegt und so Wertschöpfung verhindert. Kapitalist*innen können ohne Ausbeutung von Arbeitskraft keinen Profit generieren. Durch die Verweigerung der Arbeit erlangen Arbeitnehmer*innen ein Druckmittel, um ihre Forderungen durchzusetzen. Bei den Klimastreiks fehlt diese Komponente: Kein*e Unternehmer*in verliert Geld, wenn Schüler*innen nicht zur Schule gehen und kein Hochofen steht still, wenn Aktivist*innen sich auf Straßen kleben oder Monets mit Suppe bewerfen. Während genervte Autofahrer*innen schimpfen, macht die fossile Wirtschaft völlig unbeeindruckt weiter. 

Dementsprechend muss die Klimabewegung in eine neue Phase übertreten: Sie muss eine Strategie entwickeln, wie durch echte Streiks und auch Sabotage an der fossilen Infrastruktur der Wertschöpfungsprozess gestört werden kann. Wenn Belegschaften der fossilen Industrien regelmäßig streikten oder von Aktivist*innen an ihrer Arbeit gehindert würden, wären die saftigen Gewinne fossiler Investitionen schneller passé. Wenn immer wieder die Gleise der Kohlekraftwerke oder die Maschinen der Kohlegruben sabotiert würden, würden die Versicherungspolicen solcher Unternehmen in die Höhe schießen. Plötzlich wäre es deutlich einfacher, Kapital in erneuerbaren Wirtschaftszweigen ungestört zu vermehren. Natürlich gäbe es dann immer noch den Kapitalismus, und nein, es gibt keinen grünen Kapitalismus. Aber immerhin wäre konkret etwas gewonnen. 

Ein Vorbild könnte die französische Klimabewegung sein. Unser westlicher Nachbar hat eine aggressivere Streikkultur und auch aggressivere Aktivist*innen. Ende letzten Jahres haben rund einhundert Vermummte in einer kurzen, gut organisierten Aktion ein riesiges Zementwerk lahmgelegt. Es wäre für die fossile Wirtschaft ein Alptraum, wenn so etwas flächendeckend und regelmäßig geschehe. 

Das alles ist leichter gesagt, als getan. Die Konsequenzen, die aus solchen Aktionen folgen können, sind gravierend. Generell gilt außerdem: Der Feind sitzt nicht in der Blockade. Fridays for Future und die Letzte Generation machen immerhin etwas und das ist mehr, als die meisten tun. Zu begrüßen ist auch, dass beim letzten Klimastreik wirklich gestreikt wurde, denn Gewerkschaften und Klimademonstrierende gingen gemeinsam auf die Straße. Die Solidarisierung der Klima- und der Arbeiter*innenbewegung ist auch überfällig. Wer jedoch an den 15. März 1920 denkt, weiß: Da geht noch was. Das schärfste Schwert, das wir haben, wurde noch nicht gezogen. 

Autor*in

Jebril ist 22 Jahre alt und studiert seit einer gefühlten Ewigkeit Philosophie und Anglistik. In seiner Freizeit fotografiert er gerne, verbringt Zeit mit seinen Freunden, spielt gerne Schach und ist leidenschaftlicher Fahrradfahrer. Beim Albrecht ist er für das Ressort Hochschule tätig.

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