Künstliche Intelligenz in der Medizin

Die Nase läuft, das Fieber steigt und auf dem rechten Arm finden sich ein paar Pusteln – statt sich jetzt ins Wartezimmer eines Arztes zu quälen, reichen ein paar Klicks im Internet. Eine Atemprobe gegen den Bildschirm gehaucht oder ein kurzer Stich in den Finger und den Blutstropfen auf den Fingerprint-Sensor des Laptops gelegt, schon analysiert ein Rechner die Symptome und Werte und bestellt flugs das benötigte Medikament. Eine Stunde später wird es per Drohne geliefert.

So könnte Medizin in der Zukunft aussehen. Dafür unabdingbar sind autonome künstliche Intelligenzen (KI) mit riesiger Rechenleistung. Obwohl die Entwicklung in diesem Bereich rasch und mit großen Fortschritten betrieben wird, wird es bis zur Telemedizin ohne Arzt wohl noch einige Zeit dauern. Doch es gibt bereits heute Ansätze in der Medizin, bei denen Ärzte durch KI unterstützt werden.

Das prominenteste Beispiel für diese Zusammenarbeit ist Watson. Von der IT-Firma IBM passend nach Sherlock Holmes Gehilfen benannt, stellt dieses System eine besondere Art der Suchmaschine dar. Anders als konventionelle Suchmaschinen, die den Nutzer beim Eintippen einer Frage meist zu einer Website mit Fragen gleichen Wortlauts anderer User leiten, kann Watson die Intention hinter der Syntax erkennen. Das gibt dem System die Möglichkeit, Beiträge aus besagten Foren statistisch auszuwerten und sie mit wissenschaftlichen Daten zum Thema zu kombinieren. Das System machte bereits 2011 Schlagzeilen: Im Wettstreit gegen zwei menschliche Gegner bei der TV-Show Jeopardy! ging das Watson-System als klarer Sieger gegenüber mehrfachen Gewinnern der Show von der Bühne.

Obwohl dieses Potenzial anfangs mit einem hohen Trainingsaufwand verbunden ist, kann es in der Medizin dort ansetzen, wo die schiere Masse an Informationen es Ärzten und Forschern schwer macht, schnell fundierte Entscheidungen zu treffen. Ein Beispiel sind genomische Daten. In der Onkologie ist die genetische Information der Krebszellen besonders gewinnbringend für die Patienten, da oft verschiedene Mutationen der DNA die unkontrollierte Wucherung der Zellen bedingen. Die Aussicht, hier vernetzt mit anderen Krebszentren aus den gesammelten Genomdaten vieler Patienten die relevante Mutation zu finden und damit ein möglichst effektives Medikament zu wählen, wäre an sich schon eine große Hilfe. Doch das Watson-System könnte auch auf alle im Netz vorhandenen wissenschaftlichen Publikationen zurückgreifen, diese bewerten und verknüpfen – mehr als ein Arzt in seinem Leben je lesen könnte. Auf diese Weise wurde das System bereits 2016 in Japan eingesetzt und schaffte es, anhand der genetischen Informationen und dem Zugriff auf 20 Millionen onkologische Studien, die genaue Form der Leukämieerkrankung einer Patientin zu diagnostizieren, wo deren Ärzte nicht mehr weiterkamen – nach nur zehn Minuten Suche.

Der riesige Wissensschatz, den Watson so spielend durchforsten und verknüpfen kann, soll den Ärzten auch bei der Diagnose seltener Krankheiten helfen, neue Erkenntnisse zu gewinnen. Im Zentrum für unerkannte und seltene Krankheiten Marburg läuft seit einem Jahr eine Testphase für das IBM-System. Durch die Kombinations- und Vergleichsfähigkeiten dieses Systems soll Patienten, die seit Jahren unter unzugeordneten Beschwerden leiden, geholfen werden. Die Ergebnisse stehen noch aus.

Das Potenzial, das Systeme wie Watson bergen, ist deutlich zu erkennen. Mit dem Fortschreiten der Forschung werden die Anwendungsmöglichkeiten noch weiter wachsen. Gleichzeitig müssen die Programme genau wie Menschen für ihre Aufgaben trainiert werden, damit sie genaue und fehlerfreie Diagnosen stellen können. Das erfordert viel Training, eine Innovation in diesem Bereich böte nur das Deep Learning (s. Artikel Seite 3) – den Arztberuf werden die Systeme also auf keinen Fall eigenständig ausüben können. Gleichzeitig macht sich in anderen Branchen Ernüchterung breit: Laut Medienberichten brachen die beiden größten Rückversicherungsgesellschaften der Welt bereits Projekte mit Watson ab, da die Erwartungen der Konzerne sich nicht erfüllten. Ebenso stellt sich gerade in der Medizin auch die Frage, wie die Sicherheit so sensibler Daten wie Patientenakten gewährleistet werden kann. Bis zur kompletten Diagnose und Behandlung von Krankheiten mit dem Computer als behandelndem Arzt, ist es also noch ein weiter Weg. Ob diese Richtung wirklich eingeschlagen werden sollte, ist dabei noch eine ganz andere Frage.

Autor*in

Eva ist seit November 2015 in der Redaktion. Sie studiert Biochemie und Molekularbiologie an der CAU. Als Ressortleiterin hat sie sich bis Anfang 2019 um den Hochschulteil der Zeitung gekümmert, mittlerweile schlägt ihr Herz für Online.

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