Frisistik – ein Studiengang, den es nur einmal in Deutschland gibt

Vorlesungen mit hunderten Studierenden, nervenaufreibende Kurswahlen zu Beginn des Semesters und Gruppenkuscheln im Seminarraum mit über 30 anderen Studierenden. Wohl jeder kennt die kleinen und großen Tücken des UniAlltags. Jeder? Das stimmt so nicht ganz, denn es geht auch anders.
Mit meist acht oder weniger anderen Studierenden zusammen in einem Seminar sitzen, selten wird die Zehnermarke überschritten – so kennen es Frisistik-Studierende wie Sinje. Die überschaubaren Seminare finden in dem Raum der kleinen Fachbibliothek oder im Büro des einzigen Professors für Frisistik, Prof. Dr. Jarich Hoekstra, statt.

Schon 15 Neueinschreibungen in einem Jahrgang sind in diesem Fach viel, erzählt Sinje, die von Sylt nach Kiel gezogen ist, um Friesisch und Geschichte zu studieren. Denn die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel ist die einzige Hochschule in ganz Deutschland, an der Frisistik als Vollfach studiert werden kann. Sonst wird Friesisch selten angeboten und dann höchstens als Ergänzungsfach. Trotzdem entscheiden sich nur wenige, dieses Studium in Kiel anzutreten, denn bei dieser Sprache gibt es wohl noch mehr als bei anderen Geisteswissenschaften das Vorurteil, dass sie kaum Berufschancen bietet. Denn viele sehen Friesisch nicht als eigene Sprache, sondern als Dialekt, wie zum Beispiel Plattdeutsch.

Auch Sinjes Eltern waren zunächst gegen den Plan ihrer Tochter, Friesisch zu studieren. Viele Eltern in Nordfriesland sprachen oder sprechen nach wie vor kein Friesisch mit ihren Kindern, da es eine negative Konnotation hatte und als ‚Sprache der Bauern‘ herabgesetzt wurde. Doch Friesisch ist eine eigenständige Sprache, die an der schleswig-holsteinischen Küste im Kreis Nordfriesland, auf den Inseln Föhr, Amrum und Sylt sowie auf den Halligen und Helgoland gesprochen wird. Es gibt zehn nordfriesische Varietäten und das Westfriesische, das in den Niederlanden gesprochen wird. Die Sprache wird wieder zunehmend gefördert, um sie und das Kulturgut zu erhalten.

Die Varietäten der friesischen Sprache // Quelle: Onno Gabriel
Die Varietäten der friesischen Sprache // Quelle: Onno Gabriel

Im Frisistikstudium, das mit sprachwissenschaftlichen und literaturwissenschaftlichen Aspekten ähnlich aufgebaut ist wie andere sprachliche Studiengänge auch, werden zwei Varietäten erlernt, wobei zwischen Sölring (Sylter Dialekt), Fering (Föhrer Dialekt), Mooring (Dialekt des nordfriesischen Festlandes) und dem Westfriesischen gewählt werden kann. Eine dieser Möglichkeiten wird als Hauptmundart gewählt, in der auch Konversationskurse absolviert werden, um sich ausdrücken zu können. Zusätzlich werden bei der  Veranstaltung ‚Einführung in das Friesische‘ die Kultur und die Bräuche der Friesen gelehrt.

Die sprachwissenschaftlichen Kurse können durchaus voller werden als die Friesisch-Seminare, denn diese werden gemeinsam mit den Studierenden der empirischen Sprachwissenschaften belegt. In den Literaturkursen werden friesische Schriftstücke behandelt, wobei es sich in den meisten Fällen um Dorfchroniken, Heimatdichtungen und Theaterstücke handelt, da der Bestand an friesischer Literatur nicht sehr umfangreich ist. Sinje erzählt, wie frei gestaltbar die Seminare sind, in denen die Studierenden selbst entscheiden können, mit welcher Ausrichtung des Seminarthemas sie sich beschäftigen möchten und zeigt deutlich ihre Begeisterung für den Studiengang. Zu Beginn des Semesters treffen sich alle Lehrenden und Studierenden, um abzusprechen, wann welche Lehrveranstaltung stattfinden soll – stressige Kurswahl mit überlasteten Servern gibt es hier nicht. Von einer familiären Atmosphäre erzählend, in der jeder den anderen kennt und alle miteinander per du sind, inklusive der Dozenten und des Professors, ist Sinje sich sicher, dass sie sich immer wieder für das Studium der Frisistik entscheiden würde. Ein Studium, das so ganz anders erscheint als alle anderen.

Autor*in

Judith ist seit April 2015 beim ALBRECHT. Sie studiert Deutsch und Geschichte auf Fachergänzung seit dem Wintersemester 2013/14.
Sie leitet das Lektorat des ALBRECHTS.

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