Vor einem Monat schrieb ich den ALBRECHT an, um mich als Schreiberin zu beteiligen. Ich hatte bereits einige Ideen für Artikel und konnte es kaum erwarten, endlich anzufangen. Ich hatte Lust, Ideen und Zeit – nur keine Energie.  
Die Energie- und Antriebslosigkeit umschloss meinen Alltag: Egal ob Pflichten oder Optionen, Aufgaben oder Hobbies – oft schaffte ich es noch nicht einmal mehr zu beginnen.  
Ich habe Depressionen. Und diese bestimmen sehr oft meinen Alltag.  

Wie alles begann 

Mit 15 Jahren wurde ich das erste Mal mit Depressionen diagnostiziert. Ich bekam eine Kinder- und Jugendtherapeutin und wiederholte eine Klasse. Es schien für einige Zeit besser zu gehen: Ich machte meinen Realschulabschluss und freute mich riesig auf das Gymnasium. Doch auf der neuen Schule wurde mir schnell alles zu viel. Nicht inhaltlich, sondern strukturell. Panikattacken begleiteten meinen Schulalltag und an meinem 18. Geburtstag bin ich freiwillig für drei Monate in eine Tagesklinik gegangen. Insgesamt fehlte ich sechs Monate in der Schule, daher beschloss ich, ein weiteres Mal eine Klasse zu wiederholen. Doch die Klinik und mein Therapeut konnten nur wenig helfen, sodass ich nach dem zweiten Mal in der elften Klasse das Abitur schmiss. Ich machte einen Bundesfreiwilligendienst, zog ans andere Ende von Deutschland und wurde endlich etwas gesünder.  
Also beschloss ich dem Abitur eine zweite Chance zu geben. Zurück in meiner Heimat begann ich eine Erzieherinnenausbildung mit angeschlossenem Abitur. Die Schule und Ausbildung fielen mir leicht, ich war motiviert und hatte die besten Noten, die ich je hatte. Doch im zweiten Halbjahr der zwölften Klasse fiel ich wieder in ein Loch. Meine Motivation und meinen Spaß hatte ich gänzlich verloren, ebenso wie jegliche Energie. Ich ließ mich für zwei Monate krankschreiben, zog aus meiner geliebten WG aus und zurück zu meinen Eltern. Außerdem hörte ich mit allen meinen Hobbies auf.  
Nach den zwei Monaten ging ich zurück in die Schule. Meine Noten wurden schlechter und die Lehrer*innen drängten mich, die zwölfte Klasse doch zu wiederholen. Ich weigerte mich. Das letzte Schuljahr vor dem Abschluss brachte ich irgendwie hinter mich. Die Schule endlich verlassen zu können, war zu dem Zeitpunkt mein einziges Ziel.  
Zwei Jahre lang arbeitete und reiste ich viel. Dann zog ich nach Kiel, um zu studieren.  
Ich hatte mich für Physik des Erdsystems entschieden. Dessen Umfang und Schwierigkeit war mir durchaus bewusst und so bereitete ich mich bereits ein dreiviertel Jahr vor Studienbeginn inhaltlich vor.  

Das Problem mit dem Aufstehen 

Bereits in der dritten Studienwoche fiel ich wieder in ein tiefes, schwarzes Loch. Ich war nur noch müde. Abends schlief ich auf der Couch früh ein und wachte morgens müde auf. Wenn ich dann beschloss, die erste Vorlesung sausen zu lassen, um noch etwas schlafen zu können, konnte ich nicht mehr einschlafen. Ich konnte aber auch nicht aufstehen. So blieb ich liegen, bis ich dann irgendwann mittags das Bett verließ, eventuell zu einer Vorlesung ging, aber meist auf dem Sofa versackte. „Ich konnte einfach nicht aufstehen“ klingt für viele nach Faulheit, doch das war es nicht. Ich wollte aufstehen. Ich wollte zur Uni gehen und ich wollte mich mit meinen neuen Freunden treffen. Nur konnte ich das nicht. Es war, als hatte die Gravitation um ein Vielfaches zugenommen und würde mich nun auf das Bett drücken. Es kostete mich alle Kraft, wenigstens zu meiner Pflichtveranstaltung zu gehen.  
Mein Glück war, dass es für mich nichts Neues war. Ich kannte das. Ich kannte es, depressiv zu sein. Und es machte mir keine Angst mehr. Es machte mich nur sehr traurig. Recht schnell wurde mir bewusst, dass meine Chance auf Besserung die Aufgabe meines Studiums beinhaltete. Zumindest des Studienfaches. Ich ging nur noch zu zwei Kursen und überlegte mir ein alternatives Studienfach. Das war mein erstes Semester an der Uni. Sehr antiklimatisch.  
Und auch das zweite Semester sollte anders sein als geplant. Und diesmal nicht nur für mich. Corona kam und machte allen Studierenden einen Strich durch die Rechnung. Und ich war froh. Ich war so froh, dass alles für alle anders laufen würde. Denn dies bot mir die perfekte Ausrede, warum ich auch dieses Semester nicht auf meine Punkte kommen sollte. Ich meldete mich für zwei Kurse an, die nichts mit meinem eigentlichen Studienfach zu tun hatten und machte einen Mathekurs weiter. Wobei es zu weit gehen würde dies zu behaupten, denn eigentlich schrieb ich die Matheaufgaben, die Pflicht für das Bestehen des Kurses waren, nur bei einer Freundin ab und uploadete sie zur Bewertung. Und das auch nur zweimal. Als der dritte Aufgabenzettel fällig war, hatte ich die Lösungen zwar vorliegen, fand aber nicht die Energie, sie abzuschreiben. Ich schaffte es bei bestem Willen nicht, die dreieinhalb DIN-A4-Seiten abzuschreiben.  
Dies war für mich der Punkt, an dem mir klar wurde, wie schlecht es mir gerade wirklich ging. Ich beschloss, mir eine*n Therapeut*in zu suchen. Doch jede*r, der schon einmal auf Therapeut*innen-Suche war, weiß, wie viel Zeit und Energie dies kostet. Und Energie war gerade das, was ich nicht hatte. Es ist ein Teufelskreislauf, wie ein Sog ins Bodenlose: Ich habe Depressionen, brauche unbedingt Hilfe, habe aber nicht die Energie mir selbst welche zu suchen und so werde ich noch depressiver.  
Aber ich hatte Glück. Nach gut anderthalb Monaten Suche fand ich eine Therapeutin. Und eine fähige noch dazu.  

Alles, was fehlt, ist Akzeptanz 

Ich fand wieder Hoffnung. Ich dachte, jetzt wo ich eine Therapeutin gefunden hatte, wird alles Schlag auf Schlag besser. Doch so kam es natürlich nicht. Meine Therapeutin sagte mir zu Beginn, dass es erst einmal schlechter werden würde, bevor ich eine Besserung feststellen könne. Selbst ich, die seit Jahren Erfahrungen mit Depressionen hat, habe dieses unrealistische Bild des klassischen Heilungsprozesses einer Erkältung oder eines gebrochenen Armes vor Augen. Doch Depressionen sind anders. Sie sind eine Krankheit, für die es keine Heilung gibt. Durch eine gute und zielführende Therapie kann sie besser, aber nie wirklich besiegt werden. Oft bleibt einem nur die Hoffnung, dass es etwas besser wird und man dann lernt damit umzugehen. Das ist sehr schwer zu akzeptieren, sowohl als Betroffene als auch als Außenstehende*r.  
Dass ich meine zwei Kurse in manchen Wochen einfach nicht machen konnte, stresst mich ungemein. Ich schämte mich. Ich dachte, dass es doch nicht so schwer sein könne, sich vier Mal die Woche vor den Computer zu setzen und vorher die paar Hausaufgaben zu machen.  
Meine Therapeutin meinte daraufhin, dass sie sehr beeindruckt sei, dass ich mit einer schweren Depression es überhaupt schaffe, irgendwas für die Uni zu machen.  
Und auch eine gute Freundin von mir sagte, dass ich meine Leistung nicht mit der Leistung eines gesunden Menschen vergleichen darf. Für meine Umstände leiste ich gerade sehr viel. So würde ja auch keiner die Kletterkünste eines körperlichgesunden Menschen mit denen eines Menschen mit körperlichen Einschränkungen vergleichen.  
Doch das zu akzeptieren ist fast noch schwerer, als Leistung zu erbringen. Zu akzeptieren, dass einem Dinge einfach schwerer fallen als den meisten anderen, dass für dieselben Resultate mehr gearbeitet werden muss, mehr Energie aufgewandt werden muss – und das ‘nur’, weil die Krankheit einen einnimmt – kostet sehr viel Kraft und Überwindung.  
Und leider hört es ja bei der Selbstakzeptanz nicht auf. Die Gesellschaft muss es auch akzeptieren. Freund*innen, Familie, Dozierende – alle müssen akzeptieren, dass manche Menschen nicht so leistungsfähig sind wie die Durchschnittsstudierenden. Doch leider fehlt sehr vielen Menschen ein Verständnis für psychische Krankheiten. Es ist schließlich nichts, was gesehen wird. Es ist kein gebrochener Arm. Es ist meistens unsichtbar, nicht nur wortwörtlich, sondern auch im übertragenen Sinne.  
Doch auch hier hatte ich Glück: Ich habe wunderbare Freund*innen und eine großartige Familie, die sehr verständnisvoll und unterstützend sind. Auch habe ich mit meinen Dozent*innen über das Thema gesprochen und bin auch hier auf viel Verständnis und Unterstützung gestoßen. Doch das ist nicht selbstverständlich. Ich habe es schon anders erlebt und ich kenne einige Menschen, die noch schlechtere Erfahrungen als ich gemacht haben.   
Ich wünschte mir, dass mehr Menschen wie meine Freund*innen, Familie und Dozierenden wären. 
Denn: Wir wollen Leistung bringen, wollen was erreichen und uns mit unseren Freund*innen treffen. Doch oft können wir einfach nicht. Dann aber Menschen im Umfeld zu haben, die einem Tag für Tag zeigen, dass es okay ist, nicht zu können, die einem Steine aus dem Weg räumen, anstatt welche hinzulegen – das sind die Menschen, die am Ende genauso viel zur Besserung beigetragen haben, wie Therapeuten*innen, Antidepressiva und natürlich die erkrankte Person selbst.  

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