Viele Studierende erfahren vor Studienbeginn, dass Lateinkenntnisse Pflicht in ihrem Studiengang sind. Blöd nur, dass man damals in der siebten Klasse, als die Entscheidung zwischen Französisch, Russisch, Spanisch oder Latein fiel, noch nicht wusste, dass man einmal Philosophie oder Geschichte studieren wird. An vielen Schulen wird es auch nur selten angeboten. Nun muss also das Latinum nachgeholt werden. „Was andere in fünf Jahren (+/- ein Jahr) lernen, soll ich in drei Semestern lernen?“, fragt sich so mancher Student und tut es gleich als Ding der Unmöglichkeit ab.

Jedes Semester bestehen zahlreiche Studenten nicht das Latinum. Foto: HW

Aber ja doch, lieber Student, du bist jetzt nicht mehr in der Schule, sondern an der Uni. Hier geht alles etwas flotter. In der Regel sieht die traurige Wahrheit aber so aus: Student X belegt Latein I. Spätestens wenn er mitgekriegt hat, dass Atticus erfreut ist, wenn der Freund sich freut und anders herum, schaltet er ab. Danach belegt Student X den Latein II-Kurs. Entweder bricht er den Kurs nach der Hälfte ab oder er sitzt weiter zum Zeitvertreib da. Im Lektüre-Kurs kann er dann – wie vorher – gar nichts und geht nach der ersten Sitzung nicht mehr hin. Folge: Latein wird aufgeschoben, Latein ist scheiße, Latein ist schuld.

Aber so muss es nicht laufen. Als erstes sollte man es als Geschenk ansehen, das die Uni den Studenten macht. Sie erlaubt uns, Kenntnisse, die eigentlich Studienvoraussetzung sind, nachzuholen. Und sie bietet genügend Kurse an. Ganz umsonst. Toll oder? Ab diesem Semester wird dieser Lateinkursschluderei ein Riegel vorgeschoben. Die Latein I- und II-Kurse dürfen jeweils nur noch dreimal belegt werden, der Lektürekurs nur noch viermal. Wobei man sich ernsthaft Gedanken um seine Studierfähigkeit machen sollte, wenn man zum vierten Mal im Grammatik I-Kurs sitzen müsste. „Dadurch soll verhindert werden, dass Studenten anderen die Plätze wegnehmen, wenn sie immer wieder Kurse anfangen und abbrechen“, sagt eine Sekretärin des Instituts für Klassische Altertumskunde. Alle Kurse, die schon eingeschriebene Studenten bis zu diesem Semester belegt haben, werden dabei jedoch nicht mitgezählt.

Die meisten Studenten mit Lateinproblemen sind Geschichtsstudenten. Bis zum dritten Semester müssen sie das KMK-Latinum nachweisen, sonst bleibt ihnen offiziell der Zugang zu den Aufbauseminaren verwehrt. Studenten, die auf BAföG angewiesen sind, haben es da jedoch viel schwerer, da sie ohne Latinum zum vierten Semester nicht weiter förderungswürdig sind. Teilweise absurde Ratschläge gibt das BAföG-Amt, um diese Regelung zu umgehen. Man solle doch absichtlich durch eine Klausur fallen, damit nicht Latein allein schuld am unvollständigen Leistungsnachweis hat.

Aber es gibt ihn, den deus ex machina, den rettenden Onkel aus Amerika: Er heißt Crashkurs. In den Sommersemesterferien werden in neun Wochen alle drei Kurse durchgepaukt. Und in den Wintersemesterferien werden Lektüre-Crashkurse angeboten. Auch in diesen Kursen kristallisiert sich schnell heraus, wer es ernst meint. Der Rest ist nach zwei, spätestens drei, Tagen nicht mehr anwesend. Da man sich ausschließlich mit Latein beschäftigt und nicht wie im Semester nur die eineinhalb Stunden absitzt, ist die Wahrscheinlichkeit im Anschluss das Latinum zu bestehen äußerst hoch.

Die Ferien für Latein opfern? Ja! Das ist das Beste, was passieren kann. Man schlägt sich einmal ein paar Wochen damit herum, hat dafür aber nicht, wie manch andere Studenten, sechs oder mehr Semester diese Bedrohung noch vor sich. Einmal vier Wochen investieren, statt drei Jahre Gewissensquälerei. Das dachte sich auch Anne. Anne hat zwei Grammatikkurse besucht, aber nichts verstanden und nichts gelernt. „Aus Faulheit“, wie sie später zugibt. Dann hat sie sich in den Kopf gesetzt in vier Wochen von null auf KMK-Latinumniveau zu kommen.

In den Wintersemesterferien besuchte sie vormittags fünf Tage die Woche vier Stunden den kostenpflichtigen AStA-Kurs und an drei Tagen abends vier Stunden den kostenfreien Lektürekurs. „Wenn, dann richtig.“, dachte sich Anne. Nachdem sie vier Tage Latein hatte, schrieb sie die erste Probeklausur. Eine Fünf. (Wer schon einmal eine geschrieben hat, weiß, dass eine Fünf Grund zum Feiern ist.)

Und nach vier Wochen, so ganz im Rausch, schrieb sie trotz Abratens ihres Dozenten die Klausur und bestand mit einer Vier. Dann in die mündliche Prüfung und fertig war nach vier Wochen das Latinum. „Ich habe ihm gesagt, dass ich ein Vorzugskind des Himmels bin und deswegen auch mit einer Fünf minus als Vornote mitschreiben will. Hinterher war er sehr überrascht.“

Annes Tag sah so aus. „Morgens stand ich auf und machte Hausaufgaben für den Grammatikkurs. Danach lernen. Abends ging es zum Lektürekurs. Der Dozent meinte nach Schluss: „Auf zum Arbeitsplatzwechsel.“ Also fuhr ich nach Hause und übersetzte die 70 Sätze oder füllte bis nachts um zwei massenweise Konjugationstabellen aus. Einmal träumte ich, dass mein Dozent sagte: „Wenn du nicht aufstehst, verrate ich dir die Deponentien nicht.“

Aber auch wenn es nicht beim ersten Mal klappt, ist das Studium noch nicht verloren. Insgesamt hat jeder Student viermal die Chance das Latinum zu erwerben. Zweimal das große, zweimal das KMK. Hat man jedoch zweimal das KMK nicht bestanden, besteht keine Möglichkeit mehr das große Latinum (an der Uni!) zu schreiben. Das klingt schrecklicher als es ist. Bei normalen Klausuren hat man in der Regel auch nur drei Versuche. Nach allen gescheiterten Versuchen sollte man in einem nicht an Schleswig-Holstein grenzenden Bundesland einen fünften Versuch wagen. Aber soweit kommt es hoffentlich bei niemandem. Wer Prioritäten setzt, wird Latein schon bewältigen.

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