Student Mirko Voß fasste mit 21 Jahren den Entschluss ein soziales Projekt in Kapstadt zu gründen. DER ALBRECHT hat exklusiv mit ihm über die außergewöhnliche Idee, Siyazama ins Leben zu rufen, gesprochen.

DER ALBRECHT: Dein Projekt heißt Siyazama – was verbirgt sich hinter dem Namen?

Mirko Voß: Siyazama ist Zulu und steht für „We are trying“. Ich habe mir den Namen ausgesucht, weil ich gerne betonen würde, dass es in dem Projekt um – vorerst – zwei Shop-Besitzer aus benachteiligten Verhältnissen geht. Das heißt, um Menschen, die sich selbst irgendwas aufbauen, zum Beispiel einen Shop. Die sich nicht auf Spenden anderer ausruhen oder einfach nur betteln gehen. Es war mir sehr wichtig zu klären, dass die die Leute, die unterstützt werden, aktiv sind und alles was ihnen möglich ist, tun, um selbst ihre Situation zu verbessern. Das Projekt ist eingegliedert in den Obz Lifestyle Market, er wurde vor einigen Jahren gegründet. Ein junger Unternehmer aus dem Viertel hat die bis dahin ungenutzte Fläche am Bahnhof gekauft, um benachteiligten Händlern aus der Region die Möglichkeit geben, ihre Waren anzubieten. Der Markt wird so genannt, weil es nicht nur darum ging, etwas zu verkaufen, sondern auch darum, einen Hotspot für soziale Events zu gründen. Menschen sitzen dort, hören Musik, unterhalten sich, zeichnen, lesen – das Ganze sollte nicht nur irgendein Markt sein. Und das ist glücklicherweise auch gelungen.


Die wenigsten haben ja schon ihr eigenes Projekt mit 21 Jahren, was hat Dich zur Gründung bewogen?

Ich habe eigentlich schon die letzten Jahre immer viel soziale Arbeit geleistet. Angefangen hat es mit Jugendarbeit in der Kirchengemeinde, dann habe ich ein Praktikum in einem Township in Namibia gemacht und jetzt das Projekt in Südafrika. Ich engagiere mich vor allem aus dem Grund, dass es mir Spaß macht anderen zu helfen und in einer Gruppe an etwas ‚Größeren‘ zu arbeiten. Darüber hinaus habe ich durch die langjährige Erfahrung und Reisen erkannt, dass ich, in Deutschland und hier in Südafrika, unter sehr privilegierten Umständen lebe. Speziell dass ich Deutschland so jung verlassen konnte und hier studieren darf, überhaupt die Chance habe, diese Menschen treffen zu dürfen, ist ja im Grunde Produkt eines wohlhabenden Elternhauses. In Kapstadt kann es einem schnell passieren, dass man das vergisst – es gibt eine große Party- und Modeszene, viele Freizeitaktivitäten und Kulturangebote. Ich finde soziale Arbeit hilfreich, um sich dies wieder ins Bewusstsein zu holen und das gute Leben schätzen und zufrieden sein sollte.

Als ich im Juli 2014 aus Namibia zurückgekommen bin und mit meinem Onkel, der mir das Studium finanziert, über meine Kapstadt-Pläne gesprochen habe, ging es auch um soziale Arbeit. Er war selber immer aktiv, er hat unter anderem mit Mutter Theresa zusammen in Kalkutta gearbeitet und er meinte zu mir, dass ich ihm die finanzielle Unterstützung in Form von sozialem Engagement zurückgeben kann.

Als ich im Juni 2015 in Südafrika angekommen bin, stand die Entscheidung, dass ich konstant sozial aktiv sein möchte, schon fest. Es ging dann nur darum, in welcher Form. Es gibt viele Möglichkeiten sich zu engagieren, allerdings habe ich nicht so ganz das passende für mich gefunden. Ich wollte gerne meine Interessen mit meiner sozialen Aktivität kombinieren und der Obz Lifestyle Market liegt bei mir um die Ecke. Ich hatte das Gefühl, dass meine Unterstützung hier sinnvoll wäre und ich mich gerne einbringen würde. Ich bin dann mit Ivy und Iry ins Gespräch gekommen und war sehr beeindruckt. Die beiden hatten Hilfe nötig und verdienen sie auch, weil sie sehr hart arbeiten. Dazu kommt, dass ich selber auch unternehmerisch interessiert bin und gerne mal meine eigenen Fähigkeiten testen wollte, was die Organisation so eines Projektes angeht.


Du hast die beiden von dir unterstützten Händler gerade schon angesprochen. Kannst Du uns kurz etwas zu ihren Geschichten erzählen?

Iry hat eine Schneiderei und ist Modedesigner. Sein Vater wollte, dass er es mal besser hat als er und so landete er am College und nicht in einer Mine. Eigentlich hatte er sich für einen Tontechnik-Kurs eingeschrieben, landete dann aber im Mode-Kurs. Der Gründer des Colleges sah sein Potential und hat ihm Startkapital gegeben, seitdem hat er den Shop auf dem Markt. Ivy ist im Nyanga Township in Kapstadt aufgewachsen. Sie hat einen Bachelor in Verwaltung gemacht, Kochen war aber ihre eigentliche Leidenschaft. Ivy hat sich dann entschieden zur Kochschule zu gehen und nach ihrem Abschluss für eine Catering-Firma gearbeitet. Mittlerweile ist sie Besitzerin von Ivy‘ Kitchen und kocht traditionelles Xhosa Essen.

Wie hat sich Siyazama seit Beginn entwickelt?

Am Anfang stand der Kontakt mit Ivy und Iry. Ich bin am Markt vorbeigelaufen und habe dann bei Ivy etwas gekauft. Wir haben dann einfach ein bisschen gequatscht und uns kennengelernt. Aus den Gesprächen entstand dann die Idee. Es ging schließlich um die Konzeptualisierung, also Namensfindung, Ansatz, Finanzierung und ob ich das alleine oder mit anderen zusammen machen möchte. Ich habe mich dazu entschiedene, das Ganze mithilfe einer Website aufzubauen. Damit ging es dann in die Entwicklungsphase, die mich den Rest des letzten Jahres beschäftigt hat. Ich habe die Seite gestaltet, Iry und Ivy gebeten ihre Geschichte aufzuschreiben, gefragt, was sie am dringendsten bräuchten und die Texte verfasst.

In der Weihnachtszeit habe ich das Projekt bei Freunden und Familie Zuhause vorgestellt. Sie waren meine erste Anlaufstelle, weil ich mich bei ihnen noch am wohlsten gefühlt habe und diese Gruppe am einfachsten zu erreichen war.  Außerdem kann man hier aufgrund des Wechselkurs schon mit einem Betrag von 20 Euro viel ausrichten. Ivy hat angefangen ein Frühstücksangebot anzubieten und Iry hat kleinere Events und Mic-Sessions sowie Ausstellungen für Künstler zu organisiert. Parallel dazu haben wir mit Ivy an ihrer Buchhaltung gearbeitet. Sie ist eine passionierte Köchin, aber das Hintergrundwissen für Buchhaltung fehlte noch.

Am 15. Januar 2016 kam dann die erste Spende. Eine Lehrerin aus den USA, die den Markt bereits kannte, hatte sich entschieden eine Mikrowelle zu spenden. Anfang Februar haben wir die erste Spende aus Deutschland erhalten, von meiner Tante. Das war aus meiner Sicht das entscheidendste Ereignis, weil es einerseits für mich, andererseits auch für Ivy und Iry der Beweis war, dass das Projekt funktionieren kann. Von dem Geld haben wir neue Küchenutensilien und traditionelles Geschirr für Ivy gekauft und ein Aushängeschild für ihren Shop angeschafft. Kurz danach kam die zweite Spende aus Deutschland, von einer engen Freundin der Familie. Davon werden wir ein großes Schild kaufen, das an den Obz Lifestyle Market kommt, mit Ivys und Irys Namen und der Webadresse von Siyazama. Wir wollen die Leute hier vor Ort noch mehr auf das Projekt und die Website aufmerksam machen.

Mitte März ist noch ein Freund von mir, Sabello, zum Team dazugestoßen. Der Name des Projekts stammt quasi von ihm. Er ist hier vor Ort sehr gut vernetzt, kennt viele Leute, hat eine große Familie in Kapstadt. Als ersten Schritt arbeitet er jetzt an einem eigenen kleinen Projekt für Siyazama, dabei geht es um seinen 21. Geburtstag. Er möchte ihn bei uns auf dem Markt feiern und anstatt Geschenken einen kleinen Eintritt nehmen, der Siyazama zugutekommt.

Außerdem haben sich während der ganzen Zeit in und um den Obz Lifestyle Market Veränderungen ergeben. Es sind neue Shops dazugekommen und Iry hat expandiert. Er hat noch einen weiteren Shop eröffnet, mittlerweile einen Angestellten und gibt Nähkurse. Gerade deswegen sind auch Spenden für Iry so wichtig. Wir sammeln momentan für eine industrielle Nähmaschine und sind auf viele kleinere Beträge angewiesen. Ivy hat schon ziemlich viele Zuwendungen bekommen, von dem Preisschild an Irys Wunsch lassen sich die Leute leider noch abschrecken.


Deine Unterstützung ist sehr umfangreich – Werbung, Buchhaltung, Design – woher nimmst Du das Know-How?

Zum einen nehme ich das Wissen aus meinem Studium, Marketing und Management, zum Beispiel was die Buchhaltung angeht. Natürlich in viel sehr vereinfachter Form. Das ist auch gar nix wildes, das kann man auch ohne ein Wirtschaftsstudium schaffen. Neben viel gesundem Menschenverstand, lerne ich vor allem von Menschen mit denen ich darüber quatsche. Iry und Ivy selber haben häufig gute Ideen oder kennen sich mit Sachen aus. Dazu kam dann zwangsläufig auch learning-by-doing, gerade auch bei der Website. Dass, was ich dann immer noch nicht wusste, habe ich gegoogelt.

Neugierig geworden? Mehr Informationen zu Mirkos Projekt und wie Ihr helfen könnt, findet ihr auf www.projects4growth.com 

Das Interview führte Rebecca Such

 

Autor*in

Rebecca war von 2014 bis 2019 teil der ALBRECHT-Redaktion. In der Zeit hat sie für ein Jahr das Lektorat geleitet und war ein weiteres Jahr die stellvertretende Chefredakteurin.

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