In der Not steht KI auch mal für kostenlose Inspiration

Ich schaue Freitagabend aus dem Fenster der Bibliothek. Die Dunkelheit lädt zum Feiern ein, die Bäume tanzen zum Rhythmus des Windes und die ersten Kommiliton*innen räumen vorfreudig ihre Tische. „Mal wieder zu spät begonnen“, denke ich und schaue frustriert auf die Uhr. Morgen ist Abgabe, dabei lässt mein Fazit zu wünschen übrig. Das Telefon flimmert auf und die Freundesgruppe debattiert über die Wahl der heutigen Kneipe. Mittlerweile fokussiere ich mich schon lange nicht mehr auf den Inhalt, sondern versuche eine Lösung für mein Fiasko zu finden.  

Der technische Fortschritt ermöglicht mittlerweile allen, künstliche Intelligenz zu nutzen. Im November 2022 machte das US-Amerikanische Unternehmen OpenAI die Plattform ChatGPT der Öffentlichkeit zugänglich und sorgte für Aufregung in vielen Bereichen. Vor allem Einrichtungen wie Schulen und Universitäten wurden von der Geschwindigkeit der Entwicklung überrollt. Die ersten Regelwerke bildeten die wahrzunehmende Herausforderung und Unsicherheit der Zuständigen ab. Gegenwärtig befindet sich diese Thematik in einer Phase der Überarbeitung. Die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel veröffentlicht auf ihrer Website einige Punkte zum Thema KI-Anwendungen und Prüfungen. Diese bilden bislang einen Leitfaden, jedoch fehlen Konkretisierungen.  

Probleme von KI – Der Hochschulblick 

Wissenschaftliches Schreiben bedeutet wissenschaftliche Vorarbeit. Literatur durchforsten, Inhaltsverzeichnis ansetzen und Belege sammeln, um schlussendlich ein Meisterwerk zu erschaffen. Wie lobenswert, dass künstliche Intelligenz dies in einem Klick abdeckt. Aber kann sie das wirklich? So gut die outgesourcte Hausarbeit auch wirken mag, es gibt viele Mängel, welche vor allem bei wissenschaftlichen Schreibarbeiten auffallen. Zum einen wirken Texterzeugnisse unpräzise und haben ein unwissenschaftliches Klangbild. Zum anderen treten auch inhaltliche Fehler sowie Logikfehler auf. Insbesondere bei komplexen Forschungsfragen wirkt die künstliche Intelligenz überfordert. Dies stellt sich durch allgemeine Sätze zum Thema oder häufige Wiederholungen des Gesagten dar. Der Bereich deutsche Rechtschreibung und Grammatik funktioniert nach anfänglichen Schwierigkeiten recht zuverlässig. Trotzdem kann Fehlerfreiheit nicht garantiert werden. Um jedoch das grundlegendste Problem von künstlicher Intelligenz in Bezug auf wissenschaftliche Schreibarbeiten zu verstehen, muss man einen Blick auf den eigentlichen Kern werfen.  

Eine wissenschaftliche Hausarbeit soll keine Reproduktion von Bekanntem sein, sondern eure Ideen und Gedanken mit Anderem verknüpfen, um Neues zu erschaffen. Künstliche Intelligenz basiert auf der Zuführung von Daten und bereits veröffentlichten Wissenschaftstexten. So beschreibt das Sprichwort ‚same thing, different font’ die KI-Arbeit wohl am besten.  

Inspiration statt Automation 

Die Spielregeln von künstlicher Intelligenz an Universitäten sind vergleichbar mit Fußball. Auch ohne konkrete Regeln zu kennen, weiß man, Treten ist nicht erlaubt. So ist es untersagt, Passagen in Hausarbeiten oder Essays auf Knopfdruck verfassen zu lassen und anschließend zu übernehmen. Ebenso verhält es sich bei Texten, welche umgeschrieben oder abgeändert wurden. Schließlich steht der Inhalt der Hausarbeit an erster Stelle und dieser verändert sich letztendlich nicht. Wie kann künstliche Intelligenz also eine Hilfe für jede Schreibarbeit werden, wenn doch ich zum Schreiben verdammt bin? Das Stichwort lautet: Inspiration. „Das ist doch Auslegungssache“, könnte man denken. Jedoch ist es wichtig, seinen eigenen juristischen Kompass zu befragen. Das wohl passendste Beispiel liegt im Bereich der Struktur. Jede Schreibarbeit benötigt einen schlüssigen Aufbau. Künstliche Intelligenz kann bei Inhaltsverzeichnissen und Einteilung der Abschnitte eine echte Unterstützung bieten. Ideenlose Verfasser*innen können zu inspirierten Autor*innen werden, wenn ein roter Faden gegeben ist. Aber auch als Suchmaschine eignen sich bestimmte Plattformen wie ChatGPT, Bard oder Bing AI. Jahreszahlen und allgemeine Fakten lassen sich so schnell und präzise abfragen.  

So komplex künstliche Intelligenz auch sein mag, so kompliziert ist auch der bildungstechnische Umgang mit ihr. Darum ist es sinnvoll, seinen inneren Kompass rotieren zu lassen, um reflektiert abzuwägen, ob es sich um eine Inspiration oder Automation handelt. 

Richtlinienfindung für künstliche Intelligenz  

Allumfassende Statuten bedürfen viel Zeit. Theorie ohne Praxiserfahrung ist ein stetiges Durchdenken und Abwägen. Bei der Breite des Themas verwundert es nicht, dass erste Ansätze Lücken aufweisen. Dazu kommen die grundlegenden Unterschiede in Studienfächern und deren Anwendungsfeldern. Die philosophische Fakultät schrieb auf Anfrage, dass es bei 119 Studiengängen nur bedingt Vergleichbarkeiten gäbe. Momentan sei es schwierig, einen Konsens zu finden. Außerdem könne man bislang keine detaillierten Regelungen verabschieden. In diesem Semester sollen fächerspezifische Leitlinien erarbeitet werden. Eine einheitliche Lösung scheint fern. Die deutschen Universitäten gehen verschiedene Wege. Während Münster und Köln die Verwendung von künstlicher Intelligenz vorerst ausschließen, versucht Kiel das Werkzeug der künstlichen Intelligenz zu reglementieren. Die Zeit schreitet voran. Können die Hochschulen mit der Geschwindigkeit der Entwicklung mithalten? Die Zukunft wird es zeigen.  

Früher war alles besser – Muss sich das System Hochschule wandeln? 

Dass die Hochschulwelt sich wandeln wird, ist unabdingbar. Das ‚wie’ jedoch ist die Frage unserer Generation. Prof. Dr. Doris Weßels von der Fachhochschule Kiel prognostizierte in einem Interview: „Wir werden diese Technologie nicht ausbremsen können, das ist irreversibel und es wird sogar noch rasant weitergehen“. Es ist wichtig, Neuerungen entgegenzutreten. Man darf sich nicht auf der mittleren Spur ausruhen, sondern die Überholspur zur Kontrollspur machen. Ist künstliche Intelligenz der Sargnagel der gegenwärtigen Hochschule oder eine Chance für Wissenschaft und Lehre? Das Stichwort lautet Transparenz. Je transparenter der Umgang mit KI in wissenschaftlichen Schreibarbeiten ist, desto besser kann man Chancen und potenzielle Werkzeuge erkennen. Der Wandel ist somit keine Grenzziehung, sondern ein Prozess, dessen Dauer Resultate bringt. Jede neue Technologie schafft Veränderungen. Der dadurch angestoßene Wandel darf nicht als Risiko, sondern muss als Möglichkeit angesehen werden. Gewiss muss sich das System Hochschule wandeln, aber ist das nicht natürlich?  

Ich schaue wieder aus dem Fenster. Die Bäume tanzen nicht mehr, ich sitze im Raum mit wenigen Verbliebenen und die feierfreudige Dunkelheit ist zur Nacht geworden. „Vielleicht habe ich keine andere Wahl“, denke ich und packe meine Bücherstapel ein. Die Bibliothek schließt gleich und ich nehme den letzten Bus. So sehr ich auch im Ozean voller Nachtarbeit versinken mag, ein Leuchtturm in der Brandung bleibt: Mein morgendlicher Kaffee ist warm geblieben. 

Autor*in
Onlineredaktion

Karl ist 20 Jahre alt und studiert Geschichte sowie WiPo an der CAU. Er schreibt seit dem WiSe 23/24 für den Albrecht und ist zuständig für die Online-Redaktion.

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